Das Leben ist ein Wunder – Kritik
In seiner chaotischen Groteske Das Leben ist ein Wunder zelebriert Emir Kusturica den Bürgerkrieg in Jugoslawien als Verlängerung eines extravaganten Balkangefühls.

Esel sind dumme Tiere und noch dazu stur. Wenn sie es sich in den Kopf gesetzt haben, sind sie einfach nicht von der Stelle zu bewegen. Ein ganz besonders bockiges Exemplar steht als stets wiederkehrende Metapher in Emir Kusturicas neuem Film Das Leben ist ein Wunder herum. Auf den Bahngleisen erwartet der liebeskranke Esel stoisch seinen Freitod. Von Menschenhand ist er nicht von den Gleisen zu bewegen, weder durch gutes Zureden noch durch Krieg. Überhaupt scheinen die Tiere in dieser surreal-amüsanten Welt die Übermacht über die Menschen gewonnen zu haben: Am Morgen findet der Postbote den Empfänger eines Briefes tot in einem Baum hängend, während es sich eine Bärenfamilie in dessen Haus gemütlich gemacht hat. Eine charakterstarke Katze ist ständig auf Beutezug und hysterische Hühner flattern durch die Szenerie des Balkanidylls.
Genau wie sich Katz und Hund in den Haaren liegen und für Chaos sorgen, lärmen auch die Menschen ohne Unterlass: Bei einem Fußballspiel pinkeln Fans den gegnerischen Torwart an. Der Bürgermeister wird auf der Bärenjagd von einem Heckenschützen erschossen. Die jugoslawische Mafia zieht sich in der Nacht Koks während einer Zugfahrt von den Eisenbahngleisen in die Nase. Und natürlich darf die bewährt ohrenbetäubenden Blasmusik zwischen Balkanfolklore, Punk und ekstatischem Saufgelage nicht fehlen. Denn wir befinden uns im filmischen Universum von Emir Kusturica und dort geht es bekanntlich nicht gerade ruhig und besinnlich zu.

In all dem Durcheinander verliert sich allerdings etwas die nicht ganz stringent erzählte Geschichte. Kusturicas neueste schwarze Komödie spielt zu Beginn des Bosnien-Krieges 1992 und ist auf gewisse Weise eine Fortsetzung seines vorletzten Films Underground (1995), der in drei Etappen, von der deutschen Besatzung über das Tito-Regime bis zum Anfang des Balkankriegs, 50 Jahre jugoslawischer Geschichte behandelt. Hier wie dort zündet Kusturica ein Feuerwerk an visuellen Extravaganzen ab vor dem Hintergrund der politischen Situation seiner Heimat und die Realität wird zur Groteske. Luka (Slavko Stimac), ein Ingenieur aus Belgrad, soll durch den Ausbau einer Eisenbahnlinie Bosnien mit Serbien verbinden und so eine abgelegene Bergregion für Touristen erschließen. Zusammen mit seiner Frau Jadranka (Vesna Trivalic), einer ehemaligen Opernsängerin, und dem Sohn Milos (Vuk Kostic), der auf dem besten Weg ist, Profifußballer zu werden, lebt Luka in einer verlassen Bahnstation etwas oberhalb eines kleinen Bergdorfs. Als unverbesserlicher Optimist überhört er die Gerüchte vom herannahenden Konflikt. Selbst als seine Frau mit einem Musiker durchbrennt und der Sohn zum Militär eingezogen wird, bleibt er zuversichtlich. Mit der hübschen Muslimin Sabaha (Natasa Solak), die Luka als Geisel bewachen soll, ist nicht nur der Krieg an der einsamen Bahnstation angekommen, sondern auch die Liebe.

Kusturica bestückt von Anfang an die Handlung mit verschiedenen kleinen und großen Konflikten, die durch den Bürgerkrieg nur mehr verstärkt werden. Sei es das zum Vorboten des Kriegs werdende Fußballspiel, oder die sich in angetrunkener Ausgelassenheit Bierflaschen vom Kopf schießenden Freunde. Jede Szene atmet latent Gewalt und zeigt ganz klar, dass hier Menschen Luft ablassen müssen. Für Kusturica scheinen die Grenzen zwischen tatsächlichem Konflikt und ungebändigter Lebensfreude fließend und in der Psyche seines Landes begründet.
Gewohnt überzeichnet, gewohnt grell und gewohnt hysterisch zeigt sich Das Leben ist ein Wunder und erscheint wie ein Aufguss Kusturicas vorheriger visueller Ideen. Der obsessive Bild-Erfinder hält an bewährten Lieblingszutaten fest. Das Groteske seiner Bilder wird durch vermehrten Gebrauch von Untersichten, Großaufnahmen und einer verrückt-märchenhaften Ausstattung unterstützt. Jedoch wird aus dem einstmals überbordenden Arrangements nichtssagendes Getöse, das die Form des Films entgleiten lässt. Die hektische Unruhe gehört selbstverständlich zu Kusturicas Konzept. Doch hat sie sich vormals fulminanter mit der Erzählung zu einer schmissigen Überzeichnung verwoben.

Am Ende wird Kusturica zum Optimist und der Film gerät in eine eigenartig idyllische Schieflage. Entgegen der Vernunft siegt die Liebe über den Krieg. Der sture Esel will sich nicht mehr umbringen und verlässt freiwillig die Eisenbahngleise. Liebe ist stärker als der Tod und Krieg ist mit Humor zu ertragen? Angesichts der nicht fernen Erinnerung an die Gräuel des Balkankonflikts ist das ein äußerst befremdliches Statement. Auf dem letztjährigen Filmfestival in Cannes wurde Kusturica dafür heftig gefeiert.
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