Das blutrote Kleid – Kritik
Neu auf DVD: Seventies, Genrebewusstsein, trockener Humor und allerlei Absurditäten. Das blutrote Kleid wartet nicht nur mit einem ätherischen Zeitlupen-Cumshot auf, sondern spitzt alle Eigenschaften des Kinos von Peter Strickland zu. Und will dann auch noch gesellschaftlicher Kommentar sein.

Zwei Frauen, wahrscheinlich handelt es sich um Hexen, ziehen eine Schaufensterpuppe aus und waschen sie. So wie ihre Hände über das Plastik der Brüste streichen, wie BH und Höschen ausgezogen werden, wie der Schritt gefingert wird, handelt es sich dabei eher um sexuelles Ritual als um eine nächtliche Inventur in der Discounterboutique, die die Massen mit teuflischen Stoffen versorgt und in der die beiden arbeiten. Vor dem Schaufenster findet sich ein älterer Herr ein, der den Prozess mit großen Augen beobachtet, der sich in die Hose greift und zu reiben beginnt. Die Gesten, Handlungen, Blickkontakte und mimischen Entgleisungen der drei sind penibel durchchoreographiert und perfekt zur Musik abgestimmt, die das stumme Treiben umstreicht. Wenn der Höhepunkt erreicht ist, fliegt weißleuchtendes Sperma in Zeitlupe vor einem schwarzen Hintergrund dahin, eine Hexe leckt das rote Sekret vom Finger, das aus der Scheide der Puppe zu fließen beginnt, und die Musik bricht ab. Es bleibt eine Stille, die dreimal von einem präzise getimten Stöhnen unterbrochen wird.
Penibles, absurdes Kino

Dieser Welt entspringt das blutrote Kleid, das Peter Stricklands jüngstem Film seinen Titel gibt – das seine Träger erst mit einer Brandwunde an der Brust zeichnet und sie schlussendlich umbringt, vorher noch ihre Waschmaschine zerstört. Zugleich vereint diese Szene die Grundeigenschaften von Stricklands Kino. So befinden sich die (zumeist sexuell aufgeladenen) Dinge penibel an ihren Plätzen. Bildgestaltung, Schnitt und Ton zeugen von einem Gespür für Atmosphäre, aber auch von der gewissenhaften Arbeit, die Stilmittel der Filmgeschichte – vor allem der Genrefilm der 1970er Jahre hat es Strickland sichtlich angetan – aufzugreifen und zu etwas Eigenem zu machen. Besonders das Sounddesign bekommt dabei eine zentrale Rolle und scheint in seiner starken Akzentuierung von Details zuweilen darauf aus, ASMR-Reaktionen hervorzurufen.

Kein Zufall auch, dass etwa der Vorgängerfilm The Duke of Burgundy (2014) Masochismus als Grundmotiv nutzt: Stricklands Inszenierung tendiert zur Fesselung, Fetische und Trigger werden zur Luststeigerung genutzt. Die Filme verfallen schlussendlich dem Surrealen und in einen Rausch, die Intensität wird immer mehr angezogen, Wiederholungen und Spiegelungen dienen der Verdichtung, bis der Höhepunkt erreicht wird, auf dem die Realität zerspringt. In dieser Struktur liegt aber auch begründet, dass diese Filme dazu neigen, überdeutlich bis aufdringlich zu sein. Sie spielen eher mit einem, als dass sie mit sich spielen lassen.

Eine andere Grundeigenschaft ist die Absurdität. Ob es nun Melonen sind, die in Berberian Sound Studio (2012) manisch zerhackt werden, die Szenen einer masochistischen Ehe in The Duke of Burgundy, in der es auch die Perversen sind, die mit Routinen und fehlender Rücksichtnahme zu kämpfen haben, oder die Bankangestellten und Ehefrauen in Das blutrote Kleid, die von den fachlichen Erklärungen eines Waschmaschinenmonteurs in ein Delirium befördert werden. Oder eben ätherische Zeitlupen-Cumshots zum Abschluss des Betatschens von nackten Puppen. Der Humor ist meist so trocken wie bei David Lynch und seiner selbst bewusst wie der von Monty Python.
Frust, rotes Kleid, Ausbruch

Das blutrote Kleid erzählt grob zwei Geschichten. Die Bankangestellte Sheila (Marianne Jean-Baptiste) sucht nach der Trennung von ihrem Mann nach einem neuen Liebesleben und kauft für die kommenden Dates ein leuchtend rotes Kleid. Gleichzeitig macht das Zusammenleben mit ihrem erwachsenen Sohn Vince (Jaygann Ayeh) und dessen Geliebten Gwen (Gwendoline Christie) sie in ihrem eigenen Haus zum Fremdkörper. Im zweiten Teil geht das Kleid an Reg (Leo Bill) über, der genötigt wird, es zu seinem Junggesellenabschied zu tragen, danach an dessen Frau Babs (Hayley Squires) – während das gemeinsame Eheleben langsam den Bach runtergeht.

In diesen familiären Kontexten steht das Kleid für sexuellen Frust, für Ausbruchsversuche aus den eigenen Sackgassen, für deren Unmöglichkeit in dieser hoffnungslosen Welt, für die Entmännlichung Regs, für das Aufbrechen einer Beziehung auf Autopilot. Darüber hinaus haben Sheila als auch Reg Chefs aus der Hölle. Die Bank-Executives lächeln jovial, wenn sie Sheilas herausragende Arbeit loben und kurz danach ihre Anstellung wegen ihres unpassenden Händeschüttelns oder einer Klopause in Frage stellen. Der Boss der Waschmaschinenreparaturfirma spricht hingegen kein Wort, als personifiziertes Über-Ich starrt er Reg nur wortlos in den Boden. Die von Hexen geleitete Boutique lockt solche verlorenen Seelen einer entfremdenden Gesellschaft mit ihren Sonderangeboten und den Versprechen von Glamour in ihre Fänge, um sie dann vollkommen zu zerstören. Der Stoff und seine Textur werden deshalb auch wiederholt wie ein Fetisch von der Kamera angestarrt.
Durchwachsene Perlenkette

Konzentrierten sich Stricklands andere Filme auf einen Ort und eine Problematik, möchte Das blutrote Kleid breit angelegter gesellschaftlicher Kommentar sein, springt zwischen Figuren und sozialen Dynamiken und möchte die Boutique gleich noch zum Wiedergänger von Dario Argentos Suspiria (1977) machen. Dabei geht das Zentrum des Ganzen verloren. Der Wechsel der Protagonisten nach der Hälfte des Films bricht den Film in zwei Teile, lässt den Aufbau des ersten verpuffen und den zweiten kaum noch Fahrt aufnehmen. Die beflissene Stilisierung setzt zwar einzelne (absurde) Glanzlichter, doch ohne die nötige Verdichtung schafft sie keine rauschhaften Zustände. Schöne Allgemeinplätze rund um Konsumwahn und Ausbeutung werden etwas wahllos aneinandergereiht.

Zu Beginn kommt Sheila nach Hause und trifft ihren Sohn mit seiner Geliebten an. Sie stellt fest, dass sie nun wohl für drei kochen müsse. Mehrere Fragen nach Essens- und Getränkewünschen werden von der reglosen Frau nicht beantwortet. Sie modele gerade für eine Zeichnung von Vince und könne nicht reagieren. Als Sheila sich die Zeichnung anschaut und für schön befindet, öffnet Gwen doch die Augen und blickt ein klein wenig auf Sheila herab. Ihr Narzissmus ist in gewisser Weise auch der Peter Stricklands, der seinerseits in einer Kunst aufgeht, die zu keinem geringen Teil ziemlich blasiert und gefallsüchtig ist. Entstanden daraus bislang trotz allem gute Filme, scheint die durchwachsene Perlenkette von Das blutrote Kleid nur noch vom zwanghaften Wunsch bestimmt, als großer Künstler wahrgenommen zu werden.
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