Cry Macho – Kritik

Clint Eastwood bricht die Geschichte vom alten Mann, der einen wilden Jungen zähmen soll, auf ihre elementaren Bestandteile herunter. In seiner Knochigkeit ähnelt Cry Macho seiner Hauptfigur, die keinen Sinn mehr darin sieht, sich wie ein Gockel zu benehmen.

Ein cry baby ist auf Deutsch eine Heulsuse. Das Gesamtwerk Clint Eastwoods könnte dagegen die Frage beantworten, was ein cry macho ist. Immer wieder sind die Filme des Regisseurs und Darstellers von harten, wortkargen Männern bevölkert, immer wieder offenbaren sie – mal offen, mal dezent – Sensibilität und Verletzlichkeit. In Eastwoods aktuellem Werk gibt es nun den 13-jährigen Rafo (Eduardo Minett), einen naiven, in vielerlei Hinsicht noch unschuldigen Jungen. Und der trägt einen Kampfhahn namens Macho mit sich herum. Die harte Schale des weichen Kerns ist nur mehr Accessoire, an das sich geklammert wird und das die eigenen Kämpfe austrägt. Mehrfach macht der Hahn mexikanische Gangster unschädlich – völlig ernst dargestellt, als ob nichts Ungewöhnliches passiere. Das offenbart am eindrücklichsten, wie absurd überzogene Männlichkeit im Werk des 91-jährigen Eastwood inzwischen aussehen kann.

Der klassische Plot liegt offen da

Erzählt wird die Geschichte vom ehemaligen Rodeostar und Pferdezureiter Mike Milo (Clint Eastwood), der nach Mexiko gesandt wird, um dort Rafo mit Versprechungen eines besseren Lebens zu dessen Vater Howard (Dwight Yoakam) in die USA zu locken. Dort angekommen, trifft Mike aber zuerst auf Rafos zwielichtige Mutter Leta (Fernanda Urrejola), die wie der Vater zuvorderst ein materielles Interesse an ihrem Sohn hat. Wenn sie nun erzählt, dass ihr Sohn ein unbezähmbarer Rowdy und Gangster sei, liegt der klassische Plot offen da. Auf der Flucht vor den Schergen Letas werden sich der Mann am Ende seines Lebens und der Junge, der gerade herausfindet, wer er ist, zusammenraufen. Beziehungsweise wird Milo statt eines Wildpferds eben den wilden Rafo zähmen.

Der vielbeschworene effiziente Stil Eastwoods kocht diese klischeehafte Geschichte jedoch auf ihre Stichwörter herunter. Das Ergebnis ist, ohne mit dem Erwartbaren allzu offen zu brechen, geradezu abstrakt. So möchte Leta im Verlauf ihrer Zusammentreffen mit Mike ins Bett. Ehe sich aber herauskristallisiert, ob das ein Mordanschlag auf den vom Alter Gezeichneten sein soll oder nur Teil ihrer Charakterisierung als lasziver Vamp, ist ihre intensive Präsenz auch schon wieder auf Nimmerwiedersehen aus dem Film verschwunden. Rafo selbst wird seinem Ruf derweil nicht gerecht werden. Höchstens trinkt er mal heimlich Bier oder knackt ein verlassenes Autowrack. Statt einen unzähmbaren bekommen wir einen grünen Jungen. Das Bonding ist deshalb auch kaum der Rede wert und schnell vollzogen. Zu sehr sehnt er sich nach einer Vaterfigur. Und die Gegner lassen sich, amüsant anzusehen, einfach durch den Hahn abwimmeln, oder mit „Geschlossen“-Schildern. Ein herzliches Buddy-Roadmovie, aber wie von jemanden inszeniert, dessen Interessen anders gelagert sind.

Keine Zeit für eitles Selbstsezieren

In seiner Knochigkeit ähnelt Cry Macho so seiner Hauptfigur, die nicht mehr auf andere Menschen hofft oder keinen Sinn mehr dafür hat, sich wie ein Gockel zu benehmen. Milos Desillusionierung ist allgegenwärtig, wenn sich auch der Film nicht dafür interessiert, was alle Figuren an Ballast mit sich herumtragen. Wunden und Narben sind überall sichtbar, die Vergangenheit nagt an den Seelen, aber ihre Geschichten bleiben lediglich Potenziale. Es bleibt Sache der Figuren, die es mit sich ausmachen müssen – und Sache unserer Fantasie. Leben ist Schmerz, das scheint die einfache Erkenntnis zu sein, wenn die Schicksale schlicht hingenommen werden.

Die Konsequenz ist nun aber kein fatalistischer, niedergeschlagener oder heruntergekurbelter Film. Ganz im Gegenteil. Eastwood, der mit The Mule (2018) das Warten auf den Tod von sich hat abfallen lassen und seinem Alter zum Trotz sich wieder mitten im Leben verortet, scheint keine Zeit mehr für eitles Selbstsezieren zu haben. Immer wieder werden in Cry Macho Umwege genommen, auf immer staubigere Straßen. Die Orte werden abgelegener. Die Diners entvölkerter. Die Kommunikationsmöglichkeiten geringer. Doch in der Einsamkeit, gestrandet im Nirgendwo an der Grenze zwischen USA und Mexiko, entfernt von beiden Elternteilen und damit von der Familie als tiefverwurzeltem Schmerzverursacher, findet Cry Macho keine Verlorenheit, sondern Intimität.

Ein herzerwärmender Tanz zum Lohn

Mike und Rafo finden Unterschlupf bei der Barbesitzerin Marta (Natalia Traven). Woraufhin der Film Verfolgung und Flucht, Familie und anderen Ballast weitestgehend von sich abschüttelt. Platz macht er für eine flüchtige Romanze. Für Momente von Zuneigung und Verständnis. Für ein sentimentales Säuseln, in dem der Rest der Welt keine Rolle spielt. Eastwood zeigt sich eben nicht als effektiver Genrefilmer, sondern als empfindsamer Impressionist. Das Bild des Films sind dann auch zwei umschlungene, tanzende Körper, umgeben von Staub und diffusem Sonnenlicht. Es ist keine utopische Lösung aller Probleme, sondern ein fragiles, umso wertvolleres Glück, das sich mit dem Ende der Musik verflüchtigt.

N. Richard Nashs Drehbuch zirkuliert schon seit den 1970er Jahren in Hollywood und wurde von ihm auch schon zum Roman umgearbeitet. Robert Mitchum, Roy Scheider und Arnold Schwarzenegger sollten Mike Milo bereits spielen. Nun ist es ein vom Alter gezeichneter Clint Eastwood geworden, der seinem Körper jeden Schritt abringt. Bei dem jedes Hinsetzen final wirkt. Er lässt sich zwar beim Reiten doubeln, ansonsten spielt er selbst die Schlägereien noch selbst. Eine solche Präsenz unterstreicht das Brüchige des Films, zeugt aber auch von einem Trotz, der das Zum-alten-Eisen-Zählen nicht akzeptiert.

Dass er in Frauen romantische (und ähnliche) Gefühle weckt, dass er Schergen mit einem Faustschlag niederschlägt, obwohl er kaum laufen kann, ist möglicherweise irreal. Darin verwirklicht das Kino aber die Würde eines Mannes, der das Leben überlebt hat und nun in sich ruht. Er bekommt als Lohn einen herzerwärmenden Tanz, der umso bitterer ist, als Rafo kein Teil davon ist. Denn er hat all den Schmerz des Lebens noch vor sich und braucht noch einen Hahn namens Macho.

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