Die Liebesfälscher – Kritik
Der erste Film, den Abbas Kiarostami komplett außerhalb des Irans gedreht und produziert hat, ist gleichzeitig eine Reflexion des modernistischen europäischen Kunstkinos und dessen Fortschreibung.

Hauptdarsteller William Shimell ist einer der bekanntesten Opernbaritone Großbritanniens, Hauptdarstellerin Juliette Binoche die Ikone nicht nur des französischen Autorenfilms. Die Liebesfälscher (Copie conforme) ist eine italienisch-französische Koproduktion, von der man Linien ziehen kann zu mindestens jeweils einem Meilenstein der italienischen und der französischen Kinomoderne: Wie in Roberto Rossellinis Reise in Italien (Viaggio in Italia; 1954) betrachten ein Mann und eine Frau die hochkulturellen Attraktionen des Landes aus der sicheren Distanz der Touristen, und währenddessen versuchen sie, wie in Alain Resnais’ Letztes Jahr in Marienbad (L’année dernière à Marienbad, 1961), die eigene Liebesgeschichte zu erinnern, zu rekonstruieren oder vielleicht auch einfach nur herbeizufantasieren.
Der Autor James Miller (Shimell) stellt in Italien ein Buch vor, das so heißt wie der Film im Original: „Copie conforme“, es geht – im Buch, für den Film ist die Frage nach einem Sujet oder erst recht nach einem Programm weit schwieriger zu beantworten – um eine philosophisch-kunsthistorische Apologie der Kopie („Forget the original, just get a good copy“). Während des Vortrags setzt sich die brünette Elle (Binoche) in die erste Reihe, ihr junger Sohn stellt sich neben die Stühle an den Rand. Die räumliche Kontinuität von Bühne und Zuschauerraum wird in der gesamten Szene ausschließlich durch Schnitt und vor allem Blickachsen hergestellt, es gibt keinen Establishing Shot, nur ein Nebeneinander zweier Räume in der Montage.

Vier Hinweise gibt es, erzählt Miller, anhand deren man Original und Kopie voneinander unterscheiden könne. Nach dem zweiten wird seine Aufzählung durch einen Telefonanruf unterbrochen, die anderen beiden bleibt der Film dem Zuschauer schuldig. Stattdessen zeigt er Elle und ihren Sohn in einem Café, das Kind fragt seine Mutter, ob sie sich für Miller interessiere, sie reagiert gereizt. Wenig später holt James Miller Elle ab, die beiden unternehmen einen gemeinsamen Ausflug, der sich über den gesamten restlichen Film streckt. Eine mehr oder weniger kontinuierliche Bewegung, im Auto (gefilmt von vorne, durch die Frontscheibe, auf der sich die Gebäude am Straßenrand spiegeln und über die Gesichter legen), zu Fuß, in zwei Restaurants, in ein Museum, zu einem Brunnen und um ihn herum, schließlich in ein Hotel. Eine fließende Bewegung, die kleine Abschweifungen in andere Personenkonstellationen erlaubt. Langen Einstellungen, die die beiden Hauptfiguren auf ihrem Weg durch die Stadt begleiten, stehen stillgestellte Konfrontationen in den Restaurantszenen gegenüber, in denen beide Gesprächspartner abwechselnd direkt von vorne gefilmt werden: Die Körper von Elle und Miller ersetzen sich gegenseitig exakt im Bild.
Begleitet wird dieses Muster aus Bewegung und Unterbrechung von einem ebenfalls fast kontinuierlichen Gespräch der beiden über Kunst, Leben und Liebe. Ungefähr in der Mitte von Die Liebesfälscher gibt es freilich einen entscheidenden Umschlagspunkt, der auf der Ebene höherer, ironischer Kommunikation als Sprachspiel beginnt. Während James Miller vor der Tür telefoniert, führt Elle ein Gespräch mit einer Wirtin, die hält die beiden für ein Ehepaar, und Elle bestätigt sie in ihrer Annahme. Während sie immer wieder Blicke durchs Restaurantfenster auf James Miller wirft, erzählt Elle über ein Eheleben, von dem man zu diesem Zeitpunkt noch annehmen muss, dass es ein fiktives ist. Als Miller wieder in das Lokal zurückkehrt, weist Elle ihn an, in das Spiel mit einzusteigen.

Und irritierenderweise ist das Spiel bald darauf kein Spiel mehr – oder aber es verwandelt sich in ein anderes, dessen Regeln nicht kommuniziert werden – weder zwischen den Spielern, noch zwischen Film und Zuschauer. Auch nach dem Verlassen des Lokals reden Elle und Miller über Probleme eines Ehelebens, das sich erst im Gespräch zu materialisieren scheint. Bis zurück zur Hochzeitsnacht führen sie Gespräch und Bewegung. Das Sprechen Binoches wie Millers hat bei alledem etwas Spielerisches, Versuchsartiges, ihre überspannten Attacken gegen Millers angeblichen Weltrückzug genauso wie seine lakonische, leise Coolness, die unvermittelt in brutale Schärfe umschlagen kann. Es scheint, als richteten sie sich in ihren jeweiligen Rollen vorsichtig und eher provisorisch ein. man könnte die gesamte zweite Hälfte von Die Liebesfälscher für eine raffinierte Scharade halten – allerdings kann einem genauso gut auffallen, dass diese Art des Sprechens sich nicht grundlegend von der in der ersten Filmhälfte unterscheidet; auch da, selbst im Gespräch Elles mit ihrem Sohn, gibt es Momente der Irritation, des Unverhältnismäßigen.
Nicht nur jeder Satz, auch jede Geste hat in diesem Film von Anfang an etwas Uneigentliches, alles steht potenziell in Anführungszeichen. Und es könnte einem auch auffallen, dass Kiarostami sehr systematisch neben den beiden Hauptfiguren andere Paare ins Bild setzt, die in ihrer Gesamtheit ein ganzes Eheleben – von der Hochzeit bis ins hohe Alter – abbilden und die man zum Beispiel für Originale halten könnte, deren Kopie dann Elle und Miller wären; oder umgekehrt. Hinzu kommen handlungslogische Irritationen: Da greift zum Beispiel Miller plötzlich selbst Elemente der „Ehefiktion“ auf, von denen er gar nichts wissen könnte, wenn sie tatsächlich eine Fiktion im klassischen Sinne wäre. Elle und Miller sind ein Paar, und sie sind es nicht. Spätestens ab diesem Punkt ist Die Liebesfälscher, um mit dem Philosophen Gilles Deleuze zu sprechen, ein Film, der fälscht.

Aber geht es wirklich um Deleuzes „Mächte des Falschen“, die den Bildern des modernen Kinos die Selbstidentität austreiben sollen und sie dabei irreversibel verrätseln? Eine „Copie conforme“, eine Certified Copy, wie der internationale Titel des Films lautet, ist etwas anderes als eine Fälschung, im Grunde verweist schon der Titel auf die grundlegende Nicht-Fälschbarkeit des filmischen Bilds qua Technik: Film ist zwar nur Kopie von Welt, aber als Kopie verbrieft, certified durch den unparteiischen, weil mechanischen Blick der Kamera. Und Kiarostamis Werk ist in seinem Inneren schon deshalb kein Rätselfilm, weil er seine vermeintliche Auflösung weder versteckt noch verunmöglicht, sondern als kunsttheoretischen Diskurs mitlaufen lässt.
Um auf die eingangs erwähnten filmhistorischen Ahnen zurückzukommen: Kiarostami ist vielleicht doch eher ein Erbe des Kino-Moralisten Rossellini denn des Dekonstruktivisten Resnais. Die Liebesfälscher stellt die Fragen nach Liebe und der Möglichkeit lebenslanger Partnerschaft zwar im Modus des philosophischen Spiels, er meint sie dabei aber durchaus ernst. Und es fasziniert an diesem Film gerade seine Schlichtheit, die Einfachheit seiner Mittel. Eine Kamera, ein Mann und eine Frau, viel mehr ist da erst einmal nicht. Ein Spaziergang wird zu einer Ehe, eine Bewegung im Raum zu einer Schichtung von Zeit.
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