It's Not Me – Kritik

Neu auf MUBI: Leos Carax’ anarchischer Essayfilm It's Not Me dauert nur 41 Minuten. Zeit genug für Katzen in Wärmebild-Optik, Esel und Hahn in vertauschten Rollen und Gute-Nacht-Geschichten mit Hitler. Und Denis Lavant in allen erdenklichen Variationen.

Nur zwei Langfilme hat Leos Carax in den letzten 25 Jahren gemacht: den wunderbar durchgedrehten Holy Motors (2012) und das düstere Musical Annette (2021). Nun schickt er zumindest eine kurze Zwischenmeldung, versichert uns aber mit dem Titel It's Not Me (C’est pas moi) gleich: „Das bin nicht ich.“ In den ersten Sekunden erklärt er dann per Schriftzug, dass es sich um ein „work in progress“ handele, also vielleicht die Vorarbeiten für einen künftigen Spielfilm, nur um dann umgehend ein Fragezeichen dahinter zu setzen.

Ein Cineasten-Rätsel im Stile Godards

Ein Fragezeichen ist auch der Auslöser dieses Kurzfilms: „Where are you now, Leos Carax?“, hat das Centre Pompidou ihn gefragt. Die Antwort verlangt einem volle Konzentration ab, denn sie besteht aus einem Stream of Consciousness, losen Gedanken zum Kino und zur Zeitgeschichte in Form von zahllosen aneinandergereihten Filmschnipseln. Wir hören Dialoge oder Carax’ Voice-over auf Französisch oder Englisch, lesen die von ihm eingefügten französischen Zwischen- und Übertitel, dazu die vom Weltverleih gestellten englischen Untertitel – und hier auf dem Nowy Horizonty Festival in Breslau liest man auch noch unwillkürlich die zusätzlichen polnischen Untertitel mit.

Das Resultat ist ein vergnügliches Rätselspiel, das stark an das essayistische Spätwerk Godards erinnert, aber auch an Guy Maddins The Green Fog (2017), ebenso wie C‘est pas moi eine Auftragsarbeit, die völlig disparate Filme assoziativ in Bezug zueinander setzt und dabei fröhlich Kontexte verschiebt. Carax zeigt uns eigene Wärmekamera-Aufnahmen von Autofahrten und Katzen – oder er legt die Tonspur eines Films über die Bilder eines anderen, sodass der Esel aus Bressons Au hasard Balthazar (1966) „Kikeriki“ schreit und ein Hahn „I-ah, i-ah!“. Eine Mutter liest ihren Kindern liebevoll von Hitlers Endlösung vor – kurz darauf schneidet Carax einen Spielfilm und dokumentarische Bilder so zusammen, dass ein Scharfschütze Hitler ins Fadenkreuz nimmt. In anderen Szenen spielt der Film auf Polanskis Sexualverbrechen an oder trifft sich mit Monsieur Merde, seiner von Denis Lavant verkörperten Kunstfigur.

Monsieur Merde

Denis Lavant ist ohnehin überall in C’est pas moi: Wir sehen ihn als jungen Mann nachts durch die Stadt torkeln, mit Juliette Binoche über die Pont Neuf tanzen; deutlich gealtert schminkt er sich in einer Limousine ab oder lässt in einem Pariser Park die Hosen runter, um dem Namen von Monsieur Merde gerecht zu werden. Lavant – der mal wild zuckt, mal Grabblumen frisst, mal gar nichts sagt oder einen Film durch ein Akkordeon-Solo unterbricht – ist eigentlich zu spät geboren: Mit seinem extrem körperlichen Spiel ist er geradezu prädestiniert für Stummfilme. Schön also, dass Veit Helmer ihn immer wieder schweigen und mit dem Körper sprechen lässt – und Carax uns seine Exzesse schenkt.

Denis Lavant ist indes nicht der einzige Monsieur Merde in C’est pas moi: Wir sehen auch Wladimir Putin, Kim Jong-un, Ali Khameini und natürlich Donald Trump. Diese etwas populistischen, politischen Einlassungen zählen zu den schwächeren Momenten des Films: Sie wirken wie Versuche, diesem ansonsten post-narrativen, wild hin und her springenden, gern auch mal herumalbernden Werk Bedeutung und Gravitas zu verleihen. Am schönsten ist C’est pas moi immer dann, wenn Carax dort bleibt, wo er sich vorzüglich auskennt: im anarchischen Spiel mit den Untiefen der Filmgeschichte.

Den Film kann man auf MUBI streamen.

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