Broken Hearts – Kritik
Geküsst und geliebt werden. Eine Villa, die laut Eckhart Schmidt Mafia- und Logengeschichte geschrieben hat, wird in seinem Filmgedicht Broken Hearts zu einem Kino-Schauplatz, in dem eine eigene Wahrheit gilt.
„Die Liebe ist ein seltsames Spiel“ – Connie Francis
„Verführung ist, was dem Diskurs seinen Sinn raubt und ihn von seiner Wahrheit ablenkt“ – Jean Baudrillard

1. Die zwei Hauptfiguren von Broken Hearts (1996) sind romantische Charaktere der 1990er Jahre in einer Love Story, in der Berührungen den Tod bedeuten können. Die siebzehnjährige Stella ist ein Girlie. Sie trägt ein schwarzes Minikleid, eine weiße Bluse, klobige Schuhe, dunkle Socken, die die Kraft und zugleich die Zartheit ihrer nackten Beine betonen. Dieses Girlie mit den durchdringenden Augen ist eine Prinzessin – eine Mafia-Prinzessin. Und sie träumt von Ausbruch und Aufbruch. Eine gefährliche unschuldige heavenly creature. Raoul ist ihr Fahrer und Bodyguard. Er ist jung, dunkelhaarig, blass, gutaussehend. Er trägt dunkle Kleidung, eine schwarze Motorradjacke. Der Bodyguard, wie ihn auch Kevin Costner und Antonio Banderas gespielt haben, ist eine charismatische Figur der 1990er Jahre – vielleicht ähnlich reizvoll wie die des Fotografen in den 60ern. Er ist auteur und Akteur. Beschützer und Untergebener, Macho und Sklave zugleich. Eine Figur der Körperlichkeit und Intimität, die immer Distanz bewahren muss. Schmidt steigert das Ganze noch, indem Raoul praktisch Leibeigener des Mafia-Vaters von Stella ist.
2. Der Stoff, aus dem das Kino ist: Ein Zeitungsartikel, eine Zufallsbekanntschaft und ein Dante-Zitat haben Schmidt zu Broken Hearts inspiriert. In einer italienischen Zeitung liest Schmidt die tragische Geschichte einer Mafia-Tochter, die sich in ihren Bodyguard verliebt hatte und den Kampf um ihre Liebe verlor – die Männer ihres Vaters schleiften ihren Liebhaber zu Tode. Vor einigen Jahren hatte Schmidt zudem die bildhübsche Tochter eines Mafiabosses kennengelernt. Die junge Frau war Mitte dreißig, aber sie hatte – wie Schmidt berichtet – noch nie einen Mann geküsst oder geliebt, denn jeder wusste, derjenige würde ein toter Mann sein, der sie anfasst. Das Dante-Zitat ist der Schlussvers aus der Göttlichen Komödie. Er lautet: „Die Liebe, sie bewegt die Sonne und die anderen Sterne.“
3. Broken Hearts beginnt wie manche Filme von Schmidt mit einer Fahrt. Mit einer Fahrt durch die Ewige Stadt. Eine schwarze Limousine gleitet durch Rom, vorbei am Kolosseum, an der Engelsburg, am Petersdom. Über die Via Veneto geht es ins Centro Storico. Am Steuer des Wagens ist Raoul, im Fond sitzt Stella. Ihre Blicke treffen sich im Rückspiegel, indirekt verstohlen. Das erste, was Stella, die Jungfrau, sagt, ist die Frage: „Magst du mich ein bisschen?“
4. Und plötzlich ist eine Pistole im Spiel, die Automatic von Raoul. Stella hat sie ergattert und richtet sie verspielt auf Raoul. Sie zwingt ihn, aus der Stadt hinauszufahren: an der alten römischen Stadtmauer vorbei die Via Appia entlang. Sie wolle endlich geküsst und geliebt werden. Trotzig und kindlich-unschuldig wirkt sie, als sie das sagt. Ein Paar und eine Pistole, die Freiheit und der Zwang der Gefühle: Man erinnert sich an Schmidts zweiten Kurzfilm Die Flucht von 1965, in dem auch eine Pistole eine wichtige Rolle spielte.

5. Eckhart Schmidt ist ein auteur in einem ganz natürlichen Sinne. Er ist ein auteur wie Budd Boetticher und Monte Hellman, wie Russ Meyer und Radley Metzger, wie Jean Rollin und Paul Vecchiali. Schmidt hat nicht nur ein Thema, das alle seine Filme durchzieht – die Möglichkeit und Unmöglichkeit der Liebe nämlich –, er hat vor allem eine bestimmte Sichtweise der Welt, die bis ins kleinste Detail geht. Diese Sichtweise schwankt zwischen unentwegter Aufbruchsstimmung und Melancholie. Sein eigentümlicher Stil geht oftmals an die Grenzen des camp, wo die Lüge die Wahrheit sagt. Seine scheinbar einfache, elliptische Erzählhaltung hat in Nachmittags (1964), Die Flucht und Broken Hearts eine schöne Eleganz.Eine Besonderheit in der künstlerischen Sprache der Schmidt-Figuren, die von Anfang an vorhanden ist, sind die Amerikanismen. „All right“, „so long“, und „no way“ sagen Stella und Raoul in Broken Hearts, so wie einst Christian Doermer „boyfriend“ gesagt hat in Die Flucht. Der Sound ist dabei von Bedeutung, der Hauch von Comic und Pop und Kino pur.
6. Stella veranlasst Raoul, in eine verlassene Villa einzudringen. Das prachtvolle Haus mit dem gepflegten Garten und dem traumhaften Swimmingpool gleicht einem Zufluchtsort, einem Paradies auf Zeit, in dem der Gang der Dinge außer Kraft gesetzt scheint. Die Villa, die laut Schmidt tatsächlich Mafia- und Logengeschichte geschrieben hat, wird zu einem Kino-Schauplatz der Liebe, in dem eine eigene Wahrheit gilt. Wie etwa in Rays Rebel Without a Cause (1955), wo Teenager in ein verlassenes Haus einbrechen und das Leben proben.Einmal, als Stella sich den Knöchel aufgeschlagen hat, trägt Raoul sie durch die Pforte des Anwesens, als trage er seine Braut über die Schwelle.Das mondäne, beinahe an Visconti erinnernde Ambiente in Verbindung mit den exquisiten Kamerabewegungen, die die Gesten und Blicke von Stella und Raoul einfangen, geben Schmidts Film einen melancholischen Touch.
7. Es beginnt wie ein Spiel. Stella reizt Raoul mit der Grausamkeit der Unschuldigen. Mit allen Mitteln versucht sie, ihren Leibwächter zu verführen, an ihren Leib heranzuführen. Sie spielt sich als Lolita und Baby Doll und verzogenes Töchterchen auf. Sie erscheint als kleines Monster der Liebe, als Teenage-Monstresse. Der ruhige, tragisch-anmutende Raoul reagiert zuerst nicht auf ihre Avancen, obwohl wir alle spüren, dass er in das Mädchen verliebt ist. Denn er weiß nur zu gut, dass diese Grenzüberschreitung seinen Tod bedeutet.Es beginnt als kleine Machtspiel, hinter dem sich ein größeres offenbart. Es geht um Macht, Druck, Erpressung. Und um die Macht der Verführung, der Aufgabe und Hingabe. Das gilt für die Beziehung der Liebenden. Und das gilt später für die Liebenden in ihrem Kampf mit der allmächtigen Mafia.Ein kleines Zwischenspiel, wo man merkt, wie schnell das Spiel in Ernst umschlägt: Stella provoziert Raoul im Park der Villa, weil sie befürchtet, dass er einfach abhaut. Sie scheint als Tochter des Mafioso Macht über ihn zu haben. Da wendet er sich ihr zu und richtet die Pistole auf sie. Es scheint ihm alles egal zu sein. Sie bekommt es wirklich mit der Angst zu tun. Jetzt hat er Macht über sie. Doch dann öffnet sie ihre Bluse und fordert ihn auf zu schießen. Ein Akt der Hingabe, radikal und bedingungslos, der ihn machtlos macht. Er schießt dann auf den Boden, knapp neben ihre Füße und lässt sie tanzen wie in einem Western.
8. Wenn Stella und Raoul die Villa verlassen, die wie eine Oase ist, wie ein klassischer locus amoenus und ein wenig wie ein goldener Käfig, hat das etwas zu tun mit der Vertreibung aus dem Paradies.

9. „Visuell orientiert sich mein Film an zwei grundlegenden Faktoren. Der erste Faktor sind Bilder der Fluchtbewegung: Züge, Flugzeuge und Hochspannungsleitungen, die in die Ferne gehen, das Aquädukt, das in die Berge zu den Wasserquellen führt, die Via Appia Antica, die legendäre, einst bis nach Griechenland führende Straße der Antike. Der zweite Faktor sind Einstellungen, die dieser Fluchtbewegung im Wege stehen: Roms alte Stadtmauer, die Porta S. Sebastiano, die überwunden werden muss, die Stacheldrahtzäune, die die Villa umgeben, eine Schafherde, die die Via Appia blockiert, die riesigen Felsbrocken am Ende der Via Appia, der Gran Sasso, der wie ein gewaltiges Hindernis der Freiheit im Wege steht etc.“ (Eckhart Schmidt)
10. Vier Nächte verbringen Stella und Raoul in der Villa. Viermal gehen sie schlafen, viermal wachen sie auf. „Trauriges Erwachen, erschütterndes Erwachen (aus Zärtlichkeit), morgenhelles Erwachen, unschuldiges Erwachen, panisches Erwachen ... Erwachen. Verschiedene Stimmungen, in die sich das liebende Subjekt beim Erwachen versetzt findet, wenn die Unruhe seiner Leidenschaft es erneut erfasst.“ (Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe)
Es dauert lange, bis sie zueinanderfinden. Erst als für Stella aus dem Spiel Ernst wird. Als sie Dantes Göttliche Komödie aus einem Bücherschrank der Villa holt. Als das „Habenwollen“ für sie ein Ende zu haben scheint. „In der Einsicht, dass die Komplikationen der Liebesbeziehung daher rühren, dass es sich das geliebte Wesen unaufhörlich auf eine oder andere Weise aneignen will, fasst das Subjekt den Entschluss, fortan auf jedes ‚Habenwollen‘ zu verzichten.“ (Roland Barthes)
11. Als Stella und Raoul endlich ein Paar geworden sind und die Villa verlassen haben, gleicht Broken Hearts immer mehr den von den Surrealisten so geliebten Hollywood-Filmen wie Gun Crazy (1950) oder They Live By Night (1948), in denen teenage love zur amour fou wird, die sich gegen alle Systeme stemmt. Bei ihrer Flucht vor Stellas Phantom-Vater landen sie einmal vor einer verstaubten Straßenkneipe, die aus einem Pasolini-Film stammen könnte. Die Welt nach der Villa ist staubig und steinig.

12. Es kommt zu einem unglaublichen Showdown, der zeigt, dass Eckhart Schmidt nicht nur von der klassischen Tragödie und den Hollywood-Melos eines Douglas Sirk beeinflusst ist, sondern auch vom japanischen Kino und dessen Geschichten von Eros und Massaker. Am Ende schreiben Stella und Raoul ihre Initialen in die Landschaft. RS steht in Stein am Straßenrand.
13. Zweifellos, das deutsche Kino wäre ärmer ohne die schönen, wilden, zärtlichen und schmerzlichen Filme von Eckhart Schmidt.
Der Text stammt aus der 1997 erschienenen Monographie: "Ritual und Romantik - Das Kino des Eckhart Schmidt" (Hrsg: Olaf Möller, Hans Schifferle, Sascha Westphal). Wiederveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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