Mit Liebe und Entschlossenheit – Kritik
Eine Ménage-à-trois bildet den Ausgangspunkt für den neuen Film von Claire Denis, in dem Beziehungskrise und Pandemie zusammenfallen. Die großen Fragen wirft Mit Liebe und Entschlossenheit dabei im vermeintlichen Hintergrund auf.

Wenn bei dieser Berlinale ein Abspann anfängt, öffnen sich nicht die Türen, durch die ich in den Kinosaal gekommen bin. Die Notausgänge sind es, die bespielt werden, damit sich im Foyer die Wege derer, die einen Film schauen wollen, nicht mit denen überschneiden, die eben einen geschaut haben. Dieser Notausgang führt durch ein Treppenhaus ins Freie, mit betongrauen Stufen und einem lilafarbenen Geländer, das nur selten Hände berühren. Auch meine fassen es nicht an, während die Füße die Treppen emporsteigen und nach einem Ende dieses Films suchen, der mit mir weiterläuft. Sein Ende setzt nicht ein, auch nicht, erst recht nicht, als ich schließlich an der Türe ankomme und mich die Kälte der Berliner Nacht umwickelt wie eine Decke, die nicht wirklich wärmt und den Schmerz der Welt nicht abhalten kann. Sie ist nun mal keine Rüstung, sondern nur eine Decke, diese kleine Berliner Nacht, in der es aber nie so ganz dunkel ist.
Die Abwesenheit des Verbalen
In der Erinnerung braucht die Liebe keine Wörter, aber den Sommer. Zwei Hände, die sich halten, die ein Gegenüber halten und nasse Haare streicheln; zwei feuchte Münder, die nicht anders können als sich zum Lächeln zu verziehen, nachdem sie den Weg zueinander gefunden haben, sich fest aufeinanderdrücken, während die Sonne das Wasser glitzern lässt, das zwei Liebende umspült. Dass es Liebende sein müssen, daran besteht kein Zweifel, denn sie scheinen an ihren Küssen nicht zu zweifeln. Das ist die Liebe, das muss sie sein, aber wen interessieren hier schon Begriffe?
Zurück nach Paris, zurück zu den Wörtern. Schon die Briefe, die während des Urlaubs durch den Türschlitz eingeworfen wurden und sich auf dem Boden der gemeinsamen Wohnung von Sara (Juliette Binoche) und Jean (Vincent Lindon) stapeln, kündigen es an: Die Dinge müssen in diesem heterosexuellen Haushalt mit Verspätung sortiert und geklärt werden. Was die „zwei“ noch bedeutete, 10 volle Jahre lang, bringt die Wiederkehr eines Dritten durcheinander. François (Grégoire Colin) ist kein Unbekannter, sondern war Jeans bester Freund, ehe der seine Frau verließ und mit Sara zusammenkam. Sie wiederum liebte vorher François, diese untote Figur mit Motorrad, die sie nicht aus dem Kopf bekommt. „Wenn du jemanden liebst, geht es nie ganz weg“, sagt Sara zum wortkargen Jean und meint François.
Auf den zweiten Blick
Plötzlich wirkt die Erinnerung an den gemeinsamen Urlaub bunter, als er es vielleicht selbst noch war, das Meer blauer, die Lippen röter. Claire Denis entwirft ein Pandemie-Paris, in dem sie die Figuren trotz Gesichtsmasken und Sicherheitsabständen kollidieren lässt. Both Sides of the Blade handelt vordergründig von einer Ménage-à-trois, von dem Mut, den es erfordert, sich diesem schönen, schmerzhaften Gefühl hinzugeben, und der Angst vor dem Verlassenwerden, die so tief treffen kann, dass der Eine lieber geht, bevor die Andere ihn zurücklässt. Denis erweitert aber das Trio und stellt ihm weitere Figuren an die Seite, die es in seinen spezifischen Verknüpfungen ausstellen, noch weiter isolieren, als es Sara, Jean und François mit ihrem komplexen Beziehungsverhältnis ohnehin schon selbst tun.

Marcus (Issa Perica) ist so eine Figur, Jeans Sohn aus der vorherigen Ehe, dem bald die Abschiebung droht. Seine Geschichte spielt sich in Both Sides of the Blade vermeintlich im Hintergrund ab. Auf den zweiten Blick ist allerdings zu erkennen, wie sehr sie die andere Erzählung nicht nur rahmt, sondern reflexiv werden lässt. An wen richten sich die weißen Tränen der Binoche auf der Leinwand? Wieso noch von der Zweier-Paarbeziehung erzählen, wenn es doch Anderes, Größeres gibt, das im Kino besprochen werden müsste? Clever stellt Denis die großen Geschichten heraus, die im Kleinen liegen, wenn etwa die Beziehung von Vater und Sohn zu einer Frage danach wird, wie das Bewusstsein um Rassismus in der französischen Gesellschaft funktioniert.
Abstand und Alltag
Aber die Covid-19-Pandemie ist es, die in Both Sides of the Blade die ultimative Kulisse bildet. Es geht um die Bedrohlichkeit des Luftholens, bevor der nächste Satz fällt, den Sara Jean entgegenschleudern kann. In der pandemischen Anordnung spitzt sich die prinzipielle Frage zu, wie nah wir uns aktuell kommen wollen, kommen dürfen; eine komplexe Reflexion über die Abstände im Alltäglichen und die Lust an der Berührung (im Kino wie im Leben). Auch im Abschlusssong der Tindersticks, die auch hier wieder für den gesamten Soundtrack verantwortlich zeichnen, kehrt die Erinnerung an vergangene Liebschaften immer wieder zurück, baut sich in seinen einzelnen Elementen neu auf, um wieder zu zerfallen, Abweichungen zu markieren in der akustischen Wiederholung.
Both Sides of the Blade hallt nach als Wettbewerbsbeitrag, in diesem einen Kinosaal, in dem sich die Menschen verteilen und die Menschen auf der Leinwand dabei beobachten, wie sie damit hadern, die Gefühle einzugestehen, wie Abhängigkeitsverhältnisse mit Kreditkarten geknüpft werden. Der Wasserschaden eines Handys ist es, der bei Denis am Ende steht, eine filmische Aktualisierung der Telefonnummer, die auf die Serviette geschrieben wird, ehe sie durch einen Windstoß verloren geht: Ganz c’est la vie, so ist das nun mal mit der Welt und der Liebe bei Denis. Und doch kein Film der Leichtigkeiten, wenn der Gang durch den Notausgang betont, welche Welt wir uns gerade atmend teilen.
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