Black Tea – Kritik

Neue globale Verflechtungen, geerdet in der Sinnlichkeit des Tees. Abderrahmane Sissako stellt der ökonomischen Globalisierung eine libidinöse zur Seite.

Es beginnt mit einem Nein-Wort, einer Emanzipation und einer Emigration. Nach einer schön präzise montierten und weitgehend dialogfreien Anfangssequenz lüftet Aya (Nina Mélo) ihren Schleier vor dem Altar nicht zur Bestätigung, sondern zum Abbruch ihrer Hochzeit, dann bricht auch schon Nina Simone in die Tonspur ein, besser gesagt Fatoumata Diawaras Bambara-Cover von Feelin’ Good, und Aya geht selbstbewusst durch die nächtlichen Straßen einer Stadt, die unter dem Schleier noch nach hinten gebundenen Haare nun als stolzer Afro getragen. Diese Straßen, so lässt es uns Black Tea bald wissen, sind die von „Chocolate City“, einem Teil der südchinesischen Stadt Guangzhou, in dem sich besonders viele afrikanische Einwanderer:innen niedergelassen haben.

Die Kamera spielt Wong Kar-Wai

Gedreht allerdings hat Abderrahmane Sissako viele dieser Szenen in Taiwan, nicht in China, und das drückt einen ersten Widerspruch dieses so faszinierenden wie frustrierenden Films aus. Denn einerseits interessiert sich Black Tea sehr für diese afrikanische Diaspora, die es statt in den Westen in den Osten verschlagen hat: Import-Export-Geschäfte kommen ebenso vor wie Heiratsannoncen und jede Menge unterschiedlicher chinesisch sprechender afrikanischer Figuren, die auf der Straße herumlungern oder Beauty-Salons betreiben. Sissako insistiert also, dass die spezifische Geschichte, die hier erzählt wird, Teil eines sehr viel größeren Phänomens ist: 20.000 ist die offizielle Zahl der Afrikaner:innen in Guangzhou, aber Schätzungen gehen bis zu 200.000.

Andererseits sind dem dokumentarischen Blick in dieses Leben eben Grenzen gesetzt, wenn Taiwan einspringen muss, und so flüchtet sich Black Tea in die Abstraktion. Sissako arbeitet in den dialogischen Szenen mit vielen Close-ups, geht in den Zwischenspielen auch in den ästhetischen Culture Clash, wenn die Kamera die urbanen Spezifika mit einander überblendenden Neon-Nacht-Bildern übermalt – untermalt von etwas penetrant melancholischen Streich-, Zupf- und Tastenklängen – und Wong Kar-Wai spielt.

Kitsch und Kalendersprüche

Und oh, ist dieser Film in the mood for love: Sublimiert ist diese zentrale Liebe im titelgebenden Tee: Cai (Chang Han), geschieden, mit einem bald 20-jährigen Sohn und einem Geheimnis ausgestattet, ist der Besitzer eines Teehandels, in dem Aya Arbeit gefunden hat, und schon in den ersten Blicken und Berührungen bei den nächtlichen, mühevoll in Richtung Sinnlichkeit inszenierten Tee-Zeremonien ist klar, dass zwischen dem sanften Chinesen und der deutlich jüngeren Ivorerin mehr als nur eine geschäftliche Beziehung besteht.

Es ist nicht unbedingt der Kitsch in diesen Szenen, der die Tee-Poetik entscheidend stört (überhaupt ist ein gelber Schmetterling, der sich einmal in einem endlosen Teefeld Cai und Aya nähert, sich niederlässt und zwischen den beiden wieder davonfliegt, ein fast schon befreiender Moment, weil der Film das in ihn eingelassene Pathos hier herzlich begrüßt und ihm dann staunend hinterhersieht), sondern der zunehmend kalenderspruchige Umgang mit der Liebe, die keine Grenzen kennt und der die Zukunft gehört, solange die Liebenden einen Weg finden, mit ihrer Vergangenheit fertig zu werden – ein Hindernis, das dem Film nicht nur einen kurzen Ausflug auf die Kapverden schenkt, sondern auch ganz schön viel schwierigen Erlösungskram vorbereitet.

Andererseits wird dieser Glaube an eine Zukunft, in der nicht nur das Geld, sondern auch die Liebe einem globalisierten Mindset gehorcht zum Ende hin zwar didaktisch, aber auch rührend ernst in eine Familiendinner-Szene gegossen, in der Cais konservative Schwiegereltern mit den weltoffenen Ansichten einer neuen Generation in Form von Cais Sohn Li-Ben (Michael Chang) konfrontiert werden.

Neue filmische Welt

Mit der stupiden Pädagogik und dank der Produktionszwänge erinnert Black Tea mitunter fast an eine Telenovela, und das entspricht durchaus dem Gestus eines Films, der immer wieder betont, dass wir alle eine Geschichte haben, die wir erzählen können, der Nebenfiguren Platz lässt, ihre eigene zumindest anzudeuten. Vielleicht ist es vor allem die Neuartigkeit des Settings, wegen der ich Black Tea trotz aller Probleme begrüßen möchte: Bislang war die zunehmende China-Orientierung einer jüngeren, mobilen Generation von Afrikaner:innen – und damit auch die steigende kulturelle Bedeutung Chinas für den globalen Süden – eine Sache von Schlagzeilen und Reportagen, mit Black Tea ist sie eine filmische Welt geworden, aus der hoffentlich noch viel erzählt wird.

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