Birth – Kritik
Jonathan Glazer versucht in seiner exzellenten zweiten Regiearbeit zu ergründen, wie weit der Glaube eines Menschen über seinen Verstand triumphieren kann. Nicole Kidman spielt die Witwe Anna, deren Leben aus den Fugen gerät, als ein kleiner Junge behauptet, die Wiedergeburt ihres verstorbenen Mannes Sean zu sein.

Birth beginnt mit der Aufnahme eines Joggers, der durch einen Park läuft, dem Central Parc, wie sich später zeigen wird. Ein Mann läuft über die verschneiten Wege, man hört seine Stimme aus dem Off. Lange folgt die Kamera diesem Mann auf seinem Weg, bis er in einem Tunnel zusammenbricht, die Musik stoppt und die Leinwand schwarz wird. Dann, ganz leise, beginnt die Musik wieder und man sieht die Geburt eines Kindes. Tod und Geburt, Abschied und Ankunft - zwischen diesen beiden Polen, die die menschliche Existenz strukturieren, positioniert Jonathan Glazer seinen zweiten Kinofilm.
Es ist auf den ersten Blick eine absurde Geschichte, die Glazer erzählt, eine, die man bevorzugt in bunten Blättern findet: Ein kleiner Junge (Cameron Bright) behauptet, die Reinkarnation dieses Joggers zu sein und löst bei dessen Frau Anna (Nicole Kidman), die vor einer erneuten Hochzeit steht, Gefühle aus, von denen sie hoffte, sie längst überwunden zu haben. Aber Jonathan Glazer interessiert nicht das Reißerische, das Okkulte an der Sache. Seine Aufmerksamkeit gilt der Hauptfigur, die brillant gespielt wird von Nicole Kidman. Diese Anna, die auch nach zehn Jahren den Verlust des Mannes nicht verarbeiten kann, ist labil. Ohne die Stütze ihrer Familie scheint sie nicht überleben zu können. Um den Gedanken an ihren Mann zu entkommen, hat sie sich von seiner Welt getrennt, vor allem von seinem besten Freund (Peter Stormare), und sich zurückgezogen in die vertraute Wohnung, den Schoß der Familie. Mit dem Auftauchen des kleinen Seans aber sieht sie sich gezwungen, sich wieder mit der verlorenen Welt, dem Freund Clifford und dessen Frau Clara (Anne Heche) auseinanderzusetzen.

Glazer setzt sowohl seine Protagonistin als auch den Zuschauer einem Spiel mit der Wahrnehmung aus: Die zumeist realistische Inszenierung erweitert er durch märchenhafte Elemente. So wird durch geschicktes Arrangement von Kameraeinstellungen, Musik und Ausstattung aus dem Central Parc ein Zauberwald und aus Annas Mutter eine Königin, die matriarchalisch ihre Familie organisiert. Dass Anna sich ausgerechnet in einen kleinen Jungen verliebt, passt in diese mythische Welt, in der Liebe mit Unschuld einhergeht. Glazer setzt diese Liebe als Bild für die Bereitschaft Annas ein, ihre Hoffnungen und Wünsche auf den Jungen zu projizieren und an dessen Worte zu glauben.
Im Zentrum des Films stehen die Figuren. Es geht darum, herauszufinden, warum sie handeln wie sie handeln, was sie dabei empfinden. Die Kamera verharrt lange auf den Gesichtern und gibt den Schauspielern dadurch die Möglichkeit, die Emotionen ihrer Figuren ganz zu erforschen. Dabei beweist der Regisseur Mut und zeigt während eines Opernbesuchs Annas Gesicht ungewöhnlich lange in Großaufnahme zu der hypnotischen Musik Richard Wagners. Nichts lenkt die Betrachtung des Zuschauers in diesem Moment vom Gesicht der Schauspielerin ab, deren Kunstfertigkeit es auch zu verdanken ist, dass der Film dann nicht an Spannung verliert.

Der Film nimmt sich sehr viel Zeit für die Entwicklung seiner Figuren. In dieser Langsamkeit erinnert er an Filme Ingmar Bergmanns oder auch des mittleren Woody Allens (Eine andere Frau, Another Woman, 1988), in denen Menschen gezeigt werden, die in aller Ruhe zuhören und beobachten. In seinen wenigen schwächeren Momenten wirkt er - nicht zuletzt auch dadurch - zu inszeniert. Das fällt besonders auf in Szenen mit dem jungen Sean, in denen Cameron Bright den mimischen Anforderungen manchmal nicht gewachsen scheint. Aber Birth ist vor allem Nicole Kidmans Film, das atmosphärisch dichte Porträt einer Frau, die ihren Mann so sehr vermisst, dass sie sich in eine Märchenwelt zurückzieht. Durch ihre Darstellungskunst und mit Hilfe eines brillanten Drehbuchs (an dem Jean-Claude Carrière und Milo Addica beteiligt waren) ist Jonathan Glazer ein Film gelungen, der nicht die Frage nach dem Zusammenhang von Leben und Tod stellt, sondern auf poetische Weise beleuchtet, wie weit Menschen in ihrer Trauer gehen und auch wie sehr sie sich dabei vom realen Leben entfernen können.
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