Liberace - Zuviel des Guten ist wundervoll – Kritik

Männerliebe, Hedonismus und Schönheits-OPs.

Im Abspann sieht man sie endlich, die Klaviersammlung, für die der Musiker Liberace auch bekannt war, in vielen Detailaufnahmen. Das ist durchaus symptomatisch für Steven Soderberghs Liberace - Zuviel des Guten ist wundervoll (Behind the Candelabra). Denn obwohl es ein Film über Oberflächen, über Pomp, Kitsch und einen extravaganten Lebensstil ist, der Zugang ist ein Quereinstieg: Liberace (Michael Douglas) ist längst Liberace – das heißt zumindest in den USA bekannt als Showgröße –, als Scott Thorson (Matt Damon) ihn im Sommer 1977 kennenlernt. Es ist eine Zeit der Codewörter; Scotts Pflegeeltern fragen ihn, ob er denn wieder mit einem seiner „San-Francisco-Freunde“ ausgehe – eine sexuelle, nicht geografische Lokalisierung. Und als er kurz darauf bei den beiden auszieht, um bei Liberace in Las Vegas einzuziehen, gibt es kein Missverständnis darüber, was das bedeutet, selbst wenn es keiner so ganz direkt aussprechen mag.

Mehr als ein Biopic hat Soderbergh mit der Adaption des autobiografischen Buchs Behind the Candelabra: My Life with Liberace, das Scott Thorson zusammen mit Alex Thorleifson verfasst hat und das nach dem Tod von Liberace veröffentlicht wurde, ein Liebesdrama gedreht. Überraschend ist zunächst, wie wenig ausschweifend, ja geradezu zurückgenommen der Film wirkt, wenn man Auftritte, Videos und Fotos des Musikers und Entertainers gesehen hat. Dennoch steht das Showbiz im Mittelpunkt: Einsamkeit und Geltungsbedürfnis als Triebfeder – Perücken, Pillen und Schönheitsoperationen zum Gefügigmachen des Körpers – teurer Schmuck und Kostüme zum Exponieren des Erfolgs und des Künstlerdaseins. All das füllt den Film, und die Ausstattung spielt eine durchaus prominente Rolle; die Textur von Liberace ist dennoch eine andere: Gleichzeitig ironisch überspitzt und betont einfühlsam widmet sich Soderbergh diesen Figuren, die in der Rückschau kaum ernst zu nehmen sind.

Aus heutiger Warte ist es alles andere als offensichtlich, worin die Faszination von Liberace, der angeblich auch Stars wie Elton John beeinflusst hat, für die vielen nichtsahnenden Frauen und einige junge Männer begründet lag. Soderbergh setzt auch nicht die Showkarriere in den Mittelpunkt, sondern die persönlichen Beziehungen. Dass ein in Erfolg und Reichtum schwimmender älterer Herr eine Schar junger hübscher Menschen mit eigennützigen Motiven anzieht, ist immerhin nicht verwunderlich. Liberace bleibt aber nie bei solch schlichten Konstellationen stehen. Sowohl Matt Damon als auch Michael Douglas kriegen jede Menge Komplexität zu spielen. Während der eine mit Anfang vierzig zunächst in die Maske eines gerade mal erwachsenen Boytoys schlüpft, hat der andere in der ersten Rolle nach seiner Krebserkrankung eine vor allem mimetische Herausforderung. Den um Aufmerksamkeit und Liebe buhlenden Liberace, der sich für keine Applaushurerei zu schade war, stattet Douglas mit aufrichtig wirkender Menschenliebe, mit amerikanisch-offener Lebenslust und altväterlicher Süffisanz aus. Scott ist nie nur der käufliche Junge, sondern eine einsame Seele, die zur Kraft, Geborgenheit und Freiheit von und durch Liberace hingezogen ist.

Liberace erlaubt Empathie, sucht die Perspektive des jungen Mannes, der von der Bewunderung zur Liebe zur Ausbeutung zur Enttäuschung mit vielen Zwischenstufen wechselt. Zum Drogenjunkie wird er fast nebenbei auch noch. Tatsächlich ist das überraschend geradlinig erzählt. Einen erfahreneren Filmemacher mit solcher Bandbreite von Themen und Genres gibt es in Hollywood kaum, und dennoch ist Soderbergh alles andere als ein Routinier. Das Raffinierte am Liberace-Biopic ist nämlich, dass es nie zur sarkastischen Satire oder zur zynischen Parodie verkommt, die bei dieser Figur zunächst naheliegend scheinen, gleichzeitig aber auch nie zu einer naiven oder historisch verklärenden Affirmation der Figuren gerät. Liberace hat eine für Soderbergh typische, verschleiert-smarte Haltung, die im Hollywood-Studiosystem der sozialliberalen Konsumbejahung immer etwas deplatziert erscheint. Dass er für diesen Film keinen Studioproduzenten überzeugen konnte und das Projekt nur dank des Bezahlsenders HBO zustande gekommen ist, passt gut in dieses Bild und auch zum kürzlichen Abgesang Soderberghs auf das amerikanische Mainstreamkino.

Die Freiheiten, die ihm das Vertrauen der großen Stars und des Fernsehens ermöglichen, nutzt er weder für ein provokatives noch für ein in irgendeiner Form radikales Kino. Moralisch ambivalent, humoristisch überspitzt weckt er Verständnis für den Schönheits- und Oberflächenwahn. In einem komödiantischen Auftritt darf Rob Lowe den ästhetischen Chirurgen und Drogendealer mit zugekniffenen Augen und geschürzter Lippe geben, der dem Patienten mit großer Selbstverständlichkeit bestätigt, er werde nach dem operativen Eingriff nie wieder die Augen richtig schließen können. Den jungen Scott kann das noch erschrecken. Liberace ist hingegen ohne Illusionen, mit offenen Augen durchs Leben geschritten, daran besteht nach Liberace kein Zweifel. Soderbergh tut es ihm gleich.


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