Beating Hearts – Kritik
Geschult an 1980er-Romanzen und den Gangsterepen Martin Scorseses zielt Gilles Lellouches Beating Hearts auf großes Gefühlskino. Auf der Drehbuchebene ist der Film ein wenig holprig geraten – aber letztlich geht es darum, sich, begleitend von Popsongs, ins Flammenmeer einer alles verzehrenden Liebe zu stürzen.

Während der Vater vor der Raffinerie resigniert sein Pausenbrot verzehrt, ist sein Sohn Clotaire hingerissen vom bunt schimmernden Schauspiel einer Ölpfütze. Die elterliche Lektion folgt sogleich: Mit etwas so Flüchtigem wie Schönheit solle sich der Junge in seinem trostlosen Dasein erst gar nicht aufhalten. In der Tat hat Clotaire, was seine Zukunft angeht, nicht die besten Karten: einen dummen Namen, mit dem er ständig aufgezogen wird, und ein perspektivloses Leben in einer Hochhaussiedlung im Nordosten Frankreichs. Seine Antwort auf diesen Fatalismus ist Trotz. Wenn man sich dem geordneten Alltag von Schule und herkömmlicher Arbeit verweigert, kann man an ihren Ansprüchen auch nicht scheitern.
Maßlos und unkontrolliebar

Der Sinn für Schönheit bleibt aber. Im Teenager-Alter platziert sich Clotaire mit seinen ähnlich nichtsnutzigen Kumpels vor einer Schule, um die Erscheinung der in ihren Augen angepassten Opferexistenzen abfällig zu kommentieren: der verrostete Rothaarige, das Goth-Mädchen, das im Keller lebt, die dicke Berta, und so weiter. Dann steht jedoch Neuzugang Jacqueline vor ihm, die von ihm deutlich sanfter angefasst wird, und die sich die dummen Sprüche auch nicht gefallen lassen will. Der Inhalt des Streitgesprächs ist dabei weniger bedeutend als die neugierigen und hungrigen Blicke, die sich die beiden zuwerfen.
Der vor allem als Schauspieler bekannte Gilles Lellouche beginnt seine neueste Regiearbeit mit einer Kamerafahrt ins Flammenmeer der Ölraffinerie, in der der Vater arbeitet. „Beating Hearts“ erzählt von einer Liebe, die wie ein Flächenbrand ist: maßlos und unkontrollierbar. Die Anziehung zwischen den beiden Liebenden ist so gewaltig, dass selbst die Natur davon infiziert wird. Wenn sich Jacqueline und Clotaire küssen, erscheinen gleißende Blitze zwischen den Wolken, der Abendhimmel färbt sich blutrot und die Sonne verfinstert sich.

Früh zeigt sich das Dilemma der Beziehung. Die aus bürgerlichen Verhältnissen stammende Jacqueline steht Clotaires unberechenbarem Draufgängertum ambivalent gegenüber. Das Abenteuer, das er verkörpert, scheint sie zu reizen, die gewalttätigen Eskapaden des zunehmend in die Kriminalität abrutschenden Jungen stoßen sie jedoch ab. Aber es ist längst zu spät, um umzukehren. Hat sich Jacqueline zunächst noch gegen Clotaires Spitznamen für sie gewehrt, nennt sie sich nun selbst Jackie und wird damit zu einer anderen.
Das halbe französische Kino spielt mit

„Beating Hearts“ überträgt die Überforderung einer jungen, leidenschaftlichen Liebe in einen romantisch monumentalen Stil. Das Schauspiel ist von einer expressiven Körperlichkeit geprägt, von der sich die entfesselte Kamera immer wieder mitreißen lässt. Der Film beweist ein Gespür für sinnlich überwältigende Kinomomente, die nicht zuletzt Pop-Hymnen von The Cure, Prince, Billy Idol, Ginuwine oder Alan Parsons Project zu verdanken sind. Lellouche versteht sich darauf, hyperemotionale Szenen mit der entsprechenden Wucht auszuspielen, auch wenn die Songs den Film vielleicht manchmal größer wirken lassen, als er ist.
Ein ähnliches Vertrauen wie in die Musik setzt der Regisseur in seine Schauspieler. Gefühlt das halbe französische Kino spielt hier mit, toll sind aber vor allem die beiden noch recht unbekannten jungen Hauptdarsteller: Malik Frikah (mal mackehaft aggressiv, dann wieder kindlich verwundbar) und Mallory Wanecque (entschieden, gefasst und dadurch manchmal fast unnahbar).

Seine filmischen Vorbilder versucht „Beating Hearts“ nicht zu verstecken. Der Klassenunterschied, das industrielle Setting, die jegliche Vernunft aushebelnde Anziehung und die utopische Kraft einer jungen Liebe finden sich teilweise sehr ähnlich in James Foleys 80er-Romanze Reckless. In beiden Filmen brechen die Protagonisten nachts in eine Schule ein. Lellouche inszeniert das musikclipartig, als eine vom Tanzensemble La Horde geschaffene Choreographie aus wirbelnden Silhouetten vor grellem Gegenlicht.
Sobald Clotaire in die Fänge des Gangsterbosses La Brosse (Benoît Poelvoorde) gerät, gewinnt der Film auch Züge der Gangsterepen Martin Scorseses. Etwa die wie bei einer Maschine abgestimmte hierarchische Struktur der Organisation, die ungehaltene Gewalt und die musikalisch dynamische Inszenierung – auch wenn Lellouche seine Handlung weniger souverän im Griff hat als Scorsese. Das Drehbuch, bei dem neben dem Regisseur auch Audrey Diwan und Ahmed Hamidi mitgeschrieben haben, erweist sich als das schwächste Element von „Beating Hearts“. Der Film ist Liebesgeschichte, Gangsterfilm und auch irgendwie ein Arthouse-Drama über die richtigen und falschen Entscheidungen im Leben, aber die Mischung wirkt oft unausgegoren.
Mit „Urgent“ ins Feuer

Ernüchterung stellt sich erstmals nach einem zehnjährigen Zeitsprung ein. Als Clotaire wegen eines Mordes, den er nicht begangen hat, für zehn Jahre ins Gefängnis muss, verlaufen die Wege der Liebenden getrennt. Während der zum muskelbepackten Schmerzensmann gewordene Clotaire (jetzt verkörpert von François Civil) wieder dem Verbrechen zuwendet, versucht Jackie (jetzt: Adèle Exarchopoulos, bei der sich traurige Wurschtigkeit tief ins müde Gesicht gegraben hat) ihr Glück im gutbürgerlichen Beziehungsleben mit einem ehrgeizigen Yuppie-Ehemann.
Ohne die feurige Liebe im Zentrum verliert der Film etwas von seiner anfänglichen Kraft. Teilweise zerfastert er in lose verbundene Einzelszenen. Die Lücke des emotional ausgedünnten Mittelteils weiß, teilweise zumindest, der zugleich lausbubenhafte und tiefsinnige Vincent Lacoste als Jackies Freund zu schließen. Bald wird er selbst von überwältigenden Gefühlen erfasst, als er den Grund für die stumme Unzufriedenheit seiner Freundin zu ahnen beginnt.

Das zeitweilige dramaturgische Durcheinander weiß Lellouche oft zu kaschieren. Allein, dass „Beating Hearts“ über seine epische Laufzeit von fast 3 Stunden einen unaufhaltsamen Flow entwickelt, spricht für sich. Das psychologische Fundament der Beziehung mag letztlich etwas unterbelichtet sein, aber zwischenmenschliche Anziehung muss im Kino eben auch nicht zwangsläufig aus Drehbuchfeinheiten bestehen, sondern kann sich ebenso in sinnlichen Eindrücken manifestieren. Am Ende richten es erneut die leidenschaftlichen Blicke der Hauptdarsteller und natürlich ein Pop-Song, der die Dringlichkeit dieser Liebe ganz buchstäblich untermauert („Urgent“), während die Kamera wieder im Flammenmeer verschwindet.
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