Augen ohne Gesicht – Kritik
Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff: Auch wenn der ursprüngliche deutsche Titel anderes vermuten lässt, Augen ohne Gesicht ist nicht nur ein Horrorfilm, sondern eine Parabel auf den Verlust der Menschlichkeit – innerlich wie äußerlich.

Nichts als ihre Augen zeugen von der einstigen Schönheit Christianes (Edith Scob), die ihr Gesicht bei einem schweren Unfall verlor. Verborgen hinter einer Maske und abgeschirmt von der Öffentlichkeit lebt sie in der Villa ihres Vaters, Dr. Génessier (Pierre Brasseur), der den Tod seiner Tochter vortäuscht und heimlich an Leichen experimentiert. Dabei mimt er äußerlich den ehrbaren Bürger und scheut doch vor nichts zurück, um seine chirurgischen Fähigkeiten zu perfektionieren. Entsprechend des nach außen getragenen Trugbilds hat er seiner Tochter eine Maske verordnet.

Eine schlossähnliche Villa, dunkle Kellergewölbe und ein dem Größenwahn verfallener Arzt. Eine Konstellation, die nicht nur an literarische Vorbilder der Romantik und des Gothic Horror, sondern auch an deren Verfilmungen erinnert. Regisseur Georges Franju, der 1935 zusammen mit Henri Langlois die Cinémathèque française gründete, entwirft in Augen ohne Gesicht (Les yeux sans visage, 1960) eine Ästhetik, die sich in der Düsternis ihrer Motive von Wahnsinn und Todessehnsucht allerdings eher in die Tradition der schwarzen Romantik eines E.T.A. Hoffmann oder Charles Baudelaire, denn der Filme eines James Whale (Frankenstein, 1931) stellt.

Die Wirkung der Räume schlägt sich dabei auch auf der akustischen Ebene nieder. Wenn Génessier zusammen mit seiner ihm ergebenen Assistentin Louise (Alida Valli) das falsche Grab seiner Tochter öffnet, um darin eine Leiche zu verbergen, lassen die Hammerschläge den Zuschauer Génessiers Tat fast physisch spüren. Dieser Moment verdeutlicht auch das Mechanische seines Handelns. Dem Erfolg seiner Forschung ordnet er alles unter, die vermeintliche Liebe zu seiner Tochter folgt in Wahrheit nur wissenschaftlichem Kalkül. Die hier aufgezeigte Grenze, welche Génessier immer mehr von Menschlichkeit und Menschsein trennt, ist ein zentrales Thema des Films. Christiane, die, umgeben von einer unsichtbaren Grenze, in der Villa wie in einem goldenen Käfig lebt, wird mit einer überzogen fröhlichen Musik eingeführt. Franju gelingt dabei nicht nur eine genretypische Dramatisierung, er schafft vor allem Kontrasträume, die das Ausmaß der Monstrosität des Vater-Tochter-Verhältnisses akzentuieren.

Christianes Maske fungiert im Film nicht nur als medizinischer Schutz, sondern auch als Schleier, der über die Wahrheit gelegt wird und welcher sich erst im späteren Verlauf des Filmes lüftet und uns einen verschwommenen Blick auf Christianes Gesicht, das zum Zerrbild ihrer selbst geworden ist, gewährt. Obwohl fast gänzlich starr, liegt in der Maske ein Ausdruck von Leid. Sie wirkt dadurch wie die Perversion der Totenmaske der Unbekannten aus der Seine, welche Literaten seit Beginn des 19. Jahrhunderts beschäftigte und die auch in Frank Wisbars Die Unbekannte (1936) eine filmische Rezeption erfuhr. Eine Sequenz, die exponiert im Kontext der Maske steht, ist die Darstellung des zunehmend fortschreitenden Verfalls von Christianes Gesicht. Frontale Standbilder, die aus der Dokumentationsabteilung eines medizinhistorischen Museums zu stammen scheinen, schildern neben dem Verlauf des Verfalls auch eine menschliche Tragödie und evozieren gerade durch ihren rationalen, wissenschaftlichen Charakter eine bedrückende Stimmung.

Konzentrierte man sich bei Augen ohne Gesicht auf die vermeintlichen Schocker als Indikatoren eines Horrorgenres, so würde der Film den Ansprüchen wahrscheinlich nicht gerecht werden können. Eine im Originalschnitt relativ lange ausgespielte Operationsszene steht symptomatisch für den Gestus des Zeigens. Zwar findet sich hier eine Parallele zu den Filmen der sich anbahnenden Ära der Zombiefilme, die Ironie, wie sie etwa in Herschell Gordon Lewis Blood Fest (1963) präsent ist, lässt der Film aber gänzlich vermissen.

Dr. Génessiers ambivalentes Verhalten gegenüber seiner Tochter scheint auch die Strategen des Filmverleihs inspiriert zu haben. So genügte es anno 1960 dem Verleih nicht, den ursprünglichen, aus heutiger Sicht reichlich unpassenden Titel Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff zu wählen, man entfernte darüber hinaus auch eine komplette Szene, in welcher Dr. Génessier sich hätte Sympathien einhandeln können, indem er sich um einen kranken Jungen kümmert. Gleichzeitig wurde die lange Operationsszene für den deutschen Markt entschärft, was nicht einer gewissen Willkür entbehrt.
Auch wenn sich unsere Sehgewohnheiten nach fast fünfzig Jahren geändert haben mögen, kann es Augen ohne Gesicht dank zeitloser Bilder immer noch gelingen, uns einen Schauer über den Rücken zu jagen.
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