António Um Dois Três – Kritik

VoD: In seinem Coming-of-Age-Debüt jagt der brasilianische Regisseur Leonardo Mouramateus einen jungen Mann durch drei Versionen seiner selbst und gönnt ihm am Ende glückliche Tage.

Die erste Sequenz zeigt eine junge Frau, die in der Straßenbahn eingeschlafen ist. In diesem Augenblick ist noch alles offen: nicht nur, wer die junge Frau ist, sondern vor allem, welche Bedeutung ihr zukommen wird; ob das die erste Begegnung mit einer Hauptfigur ist oder atmosphärisches Beiwerk, eines von vielen Gesichtern im zur Formel erstarrten anonymen Großstadttreiben, hier das in Pastellfarben weichgezeichnete Lissabon. Als der Film von der Haltestelle in eine Wohnung schneidet, vermutet man Letzteres, aber da weiß man noch nicht, dass António Um Dois Três ein einziges Versprechen ist: dass Geschichten sich aus allem speisen, was ihnen zugespült wird.

Dreimal António und Débora

Und so findet Débora (Deborah Viegas), die junge Frau aus der Straßenbahn, zurück in die Handlung, dreimal, oder eher: Sie findet in drei verschiedene Handlungen zurück. Denn António Um Dois Três ist die Geschichte einer Geschichte, die dreimal erzählt wird. Dreimal begegnet António (Mauro Soares) Débora und verliebt sich in sie, in drei verschiedenen Versionen seiner selbst: In der ersten Erzählung gesteht er seinem Vater, dass er die Universität seit einem Jahr nicht mehr besucht; in der zweiten ist er Lichttechniker und wirkt an einem Theaterstück mit, das von einem jungen Mann handelt, der seinem Vater gesteht, dass er die Universität seit einem Jahr nicht mehr besucht; in der dritten ist António Theaterdarsteller und spielt ebendiesen jungen Mann. Dabei sind die drei Erzählungen nicht säuberlich voneinander getrennt, sondern greifen unangekündigt und nahtlos ineinander, täuschen eine Einheit von Ort, Zeit und Handlung vor, die nur der abgewandelte Inhalt durchkreuzt. Die Ungereimtheiten häufen sich, die Erklärungen gehen aus, bis sich der Verdacht erhärtet: Die Kategorien „wahr“ und „fiktiv“ haben hier ausgedient.

Dass Regisseur Leonardo Mouramateus es auf die Anleihe von narrativen Schnipseln, ihre Abwandlung, ihre Verfremdung abgesehen hat, das tritt schon in der ersten, in sich noch schlüssigen Erzählung zutage, in der António nie um eine kleine Lüge verlegen ist. Nach dem Geständnis vor seinem Vater sucht er Zuflucht bei seiner Ex-Freundin Mariana (Mariana Dias). Dort lernt er Débora kennen, in dieser Version ist sie auf der Durchreise nach Russland. Als Marianas Nachbarin António fragt, wo er zwischenzeitlich gewesen sei, verleibt er sich Déboras Geschichte ein und erzählt von Moskau. In António Um Dois Três liefert die Wirklichkeit Vorlagen, die man sich nach Belieben schnappt und zu eigen macht; sie werden dann zu Lügen, zu Theaterstücken, zu Neuinterpretationen, etwa von Screamin’ Jay Hawkins I Put a Spell on You. Und deshalb ist António nicht nur Protagonist, sondern gleichzeitig der Erzähler seiner eigenen Geschichte, die er fortwährend zusammenklaubt. Tatsächlich ist er auch derjenige, der die erste Handlung überhaupt in Gang setzt, und zwar durch eine Lüge: Den anonymen Brief, der beim Vater eingeht und den Sohn als Taugenichts denunziert, hat António selbst geschrieben.

Wie man sich findet und erfindet

Es sind also nicht nur die Grenzen zwischen der Wirklichkeit und der Fiktion verwischt, sondern auch zwischen dem Protagonist-Sein und dem Erzähler-Sein, zwischen der Fremdbestimmung und der Selbstbestimmung, und darin findet António Um Dois Três ein schönes Bild für den Lebensabschnitt, in dem sich António befindet. Der Film bricht zwar mit den erzählerischen Konventionen, aber knüpft an das Coming-of-Age-Genre, lässt António mit den drei Versionen seiner selbst eine Entwicklung durchlaufen. In einer der tollsten Szenen, als er für Débora mit einer Socke, die er „Träumer“ tauft – eine von vielen Anleihen aus Dostojewskis Weißen Nächten – Puppentheater spielt, erklärt er die Vorgänger-Antónios für tot; eine narrative Häutung also. Mouramateus meint es gut mit seinen Figuren, er lässt ihnen auf eine originelle Weise die Freiheit, selbst zu entscheiden, wer sie sind; der wohlwollende Umgang spiegelt sich auch in der Farbgestaltung, António Um Dois Três ist, wie gesagt, in sanftem Pastell. Am Ende trägt António einen Bart (wenn auch nur für den Theaterauftritt), begegnet dem Vater auf Augenhöhe, und es gibt Hoffnung, dass Débora, in diesen Film ewig auf der Durchreise, in Lissabon bleibt. Die letzte Einstellung zeigt die offene Fenstertür, im Hof steht ein Zitronenbaum, das WLAN-Passwort, so erfahren wir, heißt „Glückliche Tage“.

Den Film kann man sich bei Grandfilm on Demand ansehen.

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