Alpha City – Kritik
Mit dem Tageslicht beginnt die Talfahrt: Eckhart Schmidts Alpha City ist ein exzessiver Film Noir, in dem die Dialoge gespreizt, die Coolness übersteuert und die existenzielle Verzweiflung nur noch Geste ist – aber sexy.

„Ich habe seit drei Jahren kein Tageslicht mehr gesehen.“ Was klingt wie die hoffnungslose Übertreibung, wenn nicht gar Angeberei eines notorischen Partygängers, ist in Eckhart Schmidts Alphacity ein eher nüchternes, ja fast resigniertes Bekenntnis. Sein Protagonist Frank (Claude-Oliver Rudolph), der sein Geld als nächtlicher Pianist in der Zockerhöhle eines halbseidenen Clubbesitzers verdient und sich sonst durchs Westberliner Nachtleben treiben lässt, äußert es, als in der Mitte des Films zum ersten Mal der Morgen graut. Es ist auch ein seltener Moment der Ruhe und der friedvollen Intimität, genau genommen der einzige, den er mit der von ihm obsessiv begehrten Raphaela (Isabelle Willer) zwischen endlosen, ebenso heftigen wie hirnrissigen Streits und rauschhaften Vögelorgien erlebt. Wer bis hierhin genau zugeschaut hat, weiß: Es ist der Wendepunkt des Films. Ab hier beginnt die Talfahrt. Am Schluss kann es erwartungsgemäß keine Erlösung für den vampirgleichen Helden geben, noch nicht einmal eine scheinbare.
Veräußerter Tumult

Alphacity, Eckhart Schmidts siebter Spielfilm, ist zunächst ein bis auf das Skelett reduzierter Nachtfilm und als solcher natürlich dem Film Noir verpflichtet. Die Nacht ist im Noir weitaus mehr als bloß eine Tageszeit, die irgendwann von einer anderen, helleren abgelöst wird, sie ist Ausdruck labyrinthischer Plotkonstruktionen sowie eines existenziellen Zustands. Die Antihelden torkeln durchs Dunkle, das ihre eigene seelische Orientierungslosigkeit abbildet. Selten werden da Kriminalfälle wegen des überlegenen Spürsinns der Protagonisten gelöst, meist erledigen sie sich eher von selbst und die Marlowes und Hammers der Welt können froh sein, dass sie am Leben geblieben sind. Der Film Noir ist gewalttätig und pessimistisch, in seinem kontrastreichen Schwarzweiß bei aller Eleganz schroff und roh, aber er entfaltet sich vorm Betrachter meist mit der ruhigen Unabänderlichkeit eines Albtraums.

Alphacity hingegen ist ganz veräußerter Tumult. Seine Hauptfiguren Frank und Raphaela verhalten sich erratisch, mitunter gar idiotisch, Frank macht sich mehr als einmal zum kompletten Affen, auch wenn er sich wahrscheinlich für sehr cool hält. Er erinnert weniger an Bogart als an die juvenile delinquents des Rockerfilms, deren Aufmüpfigkeit sich nicht zuletzt in vor dem Spiegel einstudierten Posen ausdrückt. Aber in den 1980ern, der Zeit der kühlen Neonbeleuchtung, wirken sie übersteuert, es fehlt das Feindbild, gegen das Frank sich auflehnen könnte, denn die Berliner Nacht kennt keine Spießer (höchstens Rolf Eden, der einen amüsanten Cameo-Auftritt absolviert).
Der Auftritt des Amerikaners

Was Frank mit den Noir-Helden teilt, das ist dieser Irrglaube, alles im Griff zu haben, während er in Wahrheit Spielball eines gigantischen Mechanismus ist, der die Dinge am Laufen hält. Und so bekommt es Frank mit dem Amerikaner zu tun, einer Chiffre, die in Gestalt des einstigen Denver-Clan-Stars Al Corley in den Film tritt (und dem Soundtrack auch ein paar Tracks seines geilen Synthiepops leiht). Der Amerikaner ist das exakte Gegenteil von Frank: schweigsam, gefasst, unterkühlt, ein Profi. Er räumt mit den Berliner Unterweltgestalten auf, warum, bleibt ebenso sein Geheimnis wie seine Herkunft, und regt natürlich auch die Fantasie der wilden Raphaela an. Womit der Amerikaner wiederum den Zorn Franks und das große Duell am Ende heraufbeschwört. Frank bekommt seinen großen Auftritt auf dem Rasen des Olympiastadions, aber die Ränge sind leer, und er wird seine Bühne nicht mehr verlassen.

Alphacity provoziert extreme Reaktionen: Verehrung oder Unverständnis, Euphorie oder Ablehnung. Entweder man kann mit den gespreizten Dialogen, dem theatralischen Spiel Rudolphs und der extremen Stilisierung von Schmidts Inszenierung etwas anfangen, oder man stößt vor eine undurchdringliche Wand. Der Film ist stilistisch einerseits sehr typisch für seine Zeit, andererseits merkt man ihm an, dass Schmidt selbst kein Kind der Achtziger war. Er steht dieser fast misanthropischen Kälte, die mancher mit Coolness verwechseln könnte, mit Skepsis und einem Rest von Romantik und Idealismus gegenüber und beobachtet, wie sich Frank in hysterische Verzweiflung steigert, weil er den Anforderungen dieser Welt nicht gerecht werden kann. Wie soll man diese aufreizende Coolness bewahren, wenn jede Faser im Leib zum Zerreißen gespannt ist, man seinen Frust von einem Hochhausdach in die Nacht hinausschreien will? Alphacity gibt keine Antwort auf diese Frage. Aber er macht die existenzielle Verzweiflung extrem sexy.
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