Air - der große Wurf – Kritik

In Ben Afflecks Film über den ikonischen Basketballschuh spielt Matt Damon einen Apostel mit Plauze, der in Michael Jordan seinen Messias findet. In der religiösen Erweckungsgeschichte zwischen MTV und Adam Smith schwingt dabei stets eine ironische Note mit.

In einer Bar erklärt George Raveling (Marlon Wayans) unserem Helden, dem Basketballcrack mit Wettsucht Sonny Vaccaro (Matt Damon), er solle auf sein Gefühl hören. So wie Raveling es tat, als er 1963 eine Demonstration aufsuchte, sich dort die Beine in den Bauch stand und am Ende mit einer umwerfenden Rede belohnt wurde. Und nicht nur das, der Redner schenkte ihm auch noch das Manuskript. Als er es aber später las, fand er den wichtigsten Teil gar nicht darin. Martin Luther King hatte den „I Have a Dream“-Part nur improvisiert, als er das Publikum zu verlieren schien. Wenn Sonny später Michael Jordan davon überzeugen darf, einen Vertrag mit Nike zu unterschreiben, damals einer Randfigur im Basketballgeschäft, dann passiert, was passieren muss. Sonny scheint die Anwesenden im Raum zu verlieren, worauf er ihnen in einer improvisierten Rede den amerikanischen Traum in glühenden Farben anpreist.

Kein Abbild des Messias

In Air erzählt Regisseur Ben Affleck die Geschichte eines Schuhs. Nicht irgendeines Schuhs, sondern die des Air Jordan. Heute sind das Logo und die Marke so ikonisch, dass der Film mit einer Zeitreise in die Mitte der 1980er Jahre beginnen muss. Denn was heute nur logisch erscheint, dass nämlich der größte Basketballer aller Zeiten sein eigenes Schuhmodell bei einem Big Player wie Nike hat, das war damals tatsächlich hoch gepokert. Jordan hatte zu dem Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung noch keine Minute in der NBA gespielt, als Nike ihn mit dem Novum eines eigenen Schuhs lockte, um wiederum das eigene Image aufzupolieren.

Wir bekommen mit Air deshalb nicht einfach nur eine Marketing-Erfolgsgeschichte – und schon gar keinen Sportfilm –, sondern eine Erzählung vom Glauben an sich, vom amerikanischen Traum. Und Air ist nicht weniger als die Geschichte eines Apostels, der seinen Messias gefunden hat. Sonny Vaccaro ist ein mittelalter Mann mit Plauze, der nichts vorzuweisen hat. Nur von Basketball hat er sehr viel Ahnung, und als er eines Abends den Wurf Jordans studiert, der seine Mannschaft zur College-Meisterschaft führt, hat er ein Erweckungserlebnis. Jordan wird die zentrale Figur der NBA und ein von den Massen geliebtes Idol werden, und Sonny verwettet seine Karriere darauf, dass Nike genau auf ihn setzen muss. Passenderweise wird der Michael Jordan spielende Damian Young nur von hinten gezeigt, als wäre ein fremdes Abbild des Messias gotteslästerlich.

Unerschütterlicher Glaube

Magisch fällt alles ineinander. Sonny überzeugt Phil Knight (Ben Affleck), den CEO von Nike, der kein Risiko eingehen möchte. Er umgeht den Agenten Jordans (Chris Messina), der ihn von seinem Schützling fernhält. Er überzeugt Jordans Mutter (Viola Davis), dass er die frohe Botschaft der kommenden Größe ihres Sohnes als Einziger adäquat verkünden werde. Er überzeugt Jordan selbst, der die damals alles andere als hippe Marke Nike verabscheut. Die Geldstrafen der NBA für zu farbige Schuhe werden zum Marketing-Coup gewandelt. Und überhaupt befindet sich im Keller der Nike-Zentrale ein Schuhguru (Matthew Maher), der nur darauf wartet, endlich seine Vision eines perfekten Basketballtreters umzusetzen.

Wir wissen, dass dies alles geschehen wird. Der Film gönnt sich auch so manchen Scherz damit, dass wir im Gegensatz zu den Protagonisten die Zukunft kennen. Wenn zum Beispiel ein Nike-Mitarbeiter meint, dass niemand Charles Barkley im Fernsehen sehen möchte: den Charles Barkley, der nach seiner NBA-Karriere zum allgegenwärtigen Experten im US-amerikanischen Sportfernsehen wurde. Schon deshalb betont Air aber auch beständig, wie unwahrscheinlich es ist, dass Sonnys Wagnis aufgehen wird. Beständig wird ihm zu verstehen gegeben, er sei wahnsinnig, dafür solche Risiken einzugehen – denn selbstredend muss Sonny die ein oder andere Regel des Geschäfts brechen. Affleck schafft es so, die Spannung durchgängig aufrechtzuhalten. Aber auch das religiöse Wunder wird dergestalt erst etabliert. Erst der unerschütterliche Glaube noch am Rande des Abgrunds bringt den Erfolg und macht aus Sonny jemanden, der mit seinem Messias auf einer Stufe steht. Weil er eben nicht nur an Jordan, sondern auch an sich glaubt.

Wacker voran in der Selbstvertrashung

Wir vernehmen also das hohe Lied der individuellen Selbstverwirklichung im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dafür müssen wir gar nicht die Besten der Besten sein wie Jordan – im Abspann sehen wir Ausschnitte seiner Rede anlässlich seiner Aufnahme in die Hall of Fame, wo er sich bei seiner Mutter bedankt; interessant wären aber auch die Teile der Ansprache gewesen, in denen sein geradezu zwanghafter Kampfgeist durchscheint und es wirkt, als wolle er es mit dem ganzen Saal aufnehmen –, sondern wir müssen nur unseren Visionen folgen, um erfolgreich zu sein. Selbst wenn wir so bieder sind, wie es Air es bei Sonny und den Nike-Angestellten durchweg betont – die allesamt wie im Alter gestrandete Highschool-Nerds erscheinen.

Das Schöne an Air ist aber nicht, dass diese quasi religiöse Erfolgsgeschichte filmisch so gut funktioniert, sondern dass Affleck durchweg eine ironische Note mitschwingen lässt. So geht es den meisten nur ums Geld, wenn sie Erfolg meinen – und doch ist es gerade das Geld, das ihre Züge ins Absurde verzerrt. Die Reichen und Erfolgreichen sind Leute, die davon träumen, wie Ebenezer Scrooge zu werden, oder sie werden gleich wie die Adidas-Führungsriege zu steifen Nazi-Abziehbildern stilisiert. Und Ben Affleck geht in Sachen Selbstvertrashung wacker voran. Frisur, Kleidung, Verhalten, sein Gerede: Nichts an seinem Phil Knight ist in irgendeiner Form seriös und visionär. Und doch darf er von diesem amerikanischen Traum profitieren, weil er im richtigen Moment mal keinen Quatsch erzählt, sondern nur der Person mit Vision zustimmt. Air ist als Kind von Adam Smith und MTV eben gerade am besten, wenn er eigentlich ziemlich gut funktioniert, dabei aber durchweg ein bisschen angeschickert torkelt.

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