A Dark Song – Kritik

Kreidekreise, Blutstropfen bei Kerzenlicht, Versprechungen von rituellem Sex: A Dark Song nimmt den Okkultismus ernst und exerziert den Abstieg in den Wahnsinn oder den Aufstieg in göttliche Sphären in klassischer Ikonografie durch.

A Dark Song, Liam Gavins Regiedebüt, zeigt, was Julie Christies Figur nach dem Ende von Wenn die Gondeln Trauer tragen (Don’t Look Now, 1973) tun könnte: sich mit einem okkulten Magier in ein Haus zurückziehen, um dort mithilfe uralter Rituale Kontakt zu ihrem toten Kind aufzunehmen. In den wenigen Szenen außerhalb des schützenden Salzkreises um das Haus braut das walisische Wetter Unheilvolles zusammen, begleitet von einem raunenden Cello.

Das Ritual des Abramelin soll in A Dark Song durchgeführt werden. Der Ursprungstext stammt wahrscheinlich aus dem 18. Jahrhundert und will seine Herkunft selbst noch einige Jahrhunderte in die Vergangenheit verlegt wissen. Betrachtet man die versuchten Durchführungen dieses Rituals, findet man dort auch Aleister Crowley, der sich dafür auf ein schottisches Anwesen zurückzog. Die Protagonistin des Films, Sophia (Catherine Walker), deren Sohn bei einer ähnlichen Zeremonie getötet wurde, erhofft sich vom Ritual eine Wunscherfüllung. Was das sein wird, darüber gibt sie wechselnde Auskünfte. Um die Liebe kreisen diese Wünsche und um Rache und Vergebung.

Die Pragmatik des Okkulten

Was A Dark Song von vielem anderen Okkulthorror abhebt, ist, wie ernst er die Pragmatik des Okkulten nimmt: wo anderswo in schnellen Montagen Holzschnitte ausgestellt werden und ein paar Kerzen flackern dürfen, werden hier die Riten explizit erläutert, die Kabbala gepaukt und beim Bluttrinken skeptisch auf Hepatitis verwiesen. Der langsame gemeinsame Abstieg in den Wahnsinn oder Aufstieg in göttliche Sphären wird in diesem Kammerspiel nicht bloß behauptet, sondern gemächlich und mithilfe klassisch okkulter Ikonografie durchexerziert.

Mehr noch als andere Formen der Religion ist der Okkultismus in einem Spannungsfeld zwischen machthungriger, eitler Selbstinszenierung und asketischer Weltabkehr verortet. Dieses Spannungsfeld verkörpert die Figur Joseph Solomons (Steve Oram), den Sophia anheuert, um sie in dem Ritual anzuweisen und es mit ihr durchzuführen.

Versprechungen von Grenzerfahrungen und rituellem Sex, Kreidekreise, Blutstropfen bei Kerzenlicht: Der Film baut einen ausgedehnten Spannungsbogen auf, der in den ausführlichen Vorbereitungsszenen Fahrt aufnimmt. Solomon betont die Drastik dessen, was folgen wird, Sophia nimmt alles entschlossen an und fordert es ein. Für Monate (sind es vier oder acht oder doch nur ein paar Wochen?) werden die beiden sich abschotten. Solomon ist ein Despot und missbrauchendes Ekel, das Sophia Unerträgliches abverlangt. Sie muss Giftpilze essen, tagelang an einem Platz verharren und sich ihm, psychologisch wie körperlich, ergeben.

Eigentümliche Intimität

Völlige Unterordnung und Abhängigkeit als Voraussetzung für Aufstieg und Eigenständigkeit. Doch in A Dark Song ist die Beziehung zwischen Schülerin und Meister gleichzeitig eine zwischen Auftraggeberin und Dienstleister. Das provoziert Trotz und Widerstände von beiden Seiten. Eine eigentümliche Intimität entsteht zwischen den beiden Figuren in der Abgeschiedenheit, der Intensität des Erlebens und inmitten diverser Körperflüssigkeiten. Eine schwer zu fassende Beziehung, so wenig reines Ausnutzen wie reine Transaktion.

Natürlich wird die Frage provoziert, ob Solomon alles nur vorspielt, um als großer Magier aufzutreten und Macht über Sophia zu gewinnen. Gleichzeitig wird diese Frage aber von seinem wie ihrem Eifer, das Ritual bis zur letzten Konsequenz zu treiben, überlagert. Der Film schlägt Lesarten des „Gaslighting“, also einer bewussten Manipulation der Realitätswahrnehmung anderer, vor. Er zeigt uns dann jedoch in einer abgründigen Gratwanderung Figuren, deren Einstellungen und Absichten komplexer sind als das. Aber die sprichwörtliche Hölle, das sind auch hier die anderen. Auf deren Zuspruch und Drängen man jedoch angewiesen sein kann, will man sich in furchteinflößende Gefilde begeben.

In der zelotischen Sophia scheint auf, dass einen Menschen beim Verarbeiten eines Verlustes nicht unbedingt die Frage interessiert, was am realsten ist. Im Kino ist man ohnehin bereit, mehr zu glauben, und so sind auch wir gewillt, das Ritual immer weiter eskalieren zu lassen in der leisen Hoffnung, dass am Ende doch ein Engel stehen könne. Oder ein Massaker, Hauptsache irgendetwas, was das Warten lohnt.

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