Der wunderbare Mr. Rogers – Kritik

Neu auf DVD: Wie viel Ernst des Lebens wollen wir zulassen? Marielle Heller bettet das seichte Erwachsenendrama von Der wunderbare Mr. Rogers in eine nachgestellte Kindersendung mit obersanftem Tom Hanks ein und unterwandert das Seichte gerade dadurch.

Wenn die Zeigefinger der linken und der rechten Hand abwechselnd ineinander verschränkt werden, wobei mal der eine, mal der andere Finger oben liegt, dann handelt es sich in der American Sign Language um das Zeichen für Freundschaft. So erklärt es Moderator Fred Rogers (Tom Hanks) dem Enthüllungsjournalisten Lloyd Vogel (Matthew Rhys). Die von Mr. Rogers unaufhörlich überkreuzten Finger könnten aber genauso gut Der wunderbare Mr. Rogers (A Beautiful Day in the Neighborhood) symbolisieren. Während sich die beiden Männer im Laufe des Films nämlich anfreunden, entstehen auch zunehmend Synergien zwischen den beiden visuellen Strategien des Films: Mal sehen wir uns einem entfärbten, ernstem, hochauflösendem Drama in 16:9 gegenüber, mal der Nachstellung einer alten Kinderfernsehsendung in 4:3 mit grellen Farben und Videotexturen. Auch die gegenseitigen Perspektiven der beiden Protagonisten aufeinander bedingen sich zunehmend. Aber sei es die Freundschaft, die Optik oder die Blickwinkel, sie werden nie ineinander aufgehen. Sondern immer wieder umeinander springen.

Mit Baby aus der Sackgasse des Lebens

Marielle Hellers Film erzählt die Geschichte zweier Männer, und jeweils der eine stellt uns den anderen vor. Lloyd Vogel bekommt den Auftrag, ein kurzes Porträt der Fernsehikone Mr. Rogers zu schreiben. Am Ende wird er die Titelstory einer Ausgabe des Magazins Esquire zum Thema Helden geschrieben haben, auf der der Film basiert und deren Entstehungsgeschichte wir hier beiwohnen. Für sich betrachtet ist dieser Strang ein schlichter Wohlfühlfilm, in dem sich Lloyd aus der Sackgasse seines eigenen Lebens befreit: Ein wütender Mann muss sich sowohl mit seinem eigenen Vater aussöhnen, als auch damit arrangieren, dass er gerade selbst Vater geworden ist. Die Dialoge und Erzählsituationen kreisen um Themen wie die Akzeptanz des Gegenübers, um Reife und die Fähigkeit, mit den eigenen Gefühlen umgehen zu können.

Macht sich der Film zu Beginn einen riesigen Spaß daraus, Lloyd als eine Art Notlösungsbabysitter zu inszenieren, dessen Bein irgendwie immer in der Tür zu stecken scheint, wird er am Ende in seiner Rolle als Vater völlig aufgehen und sein Baby wie ein essenzielles Kleidungsstück immer an sich tragen. Für sich genommen ist das alles wenig aufregend. Der wunderbare Mr. Rogers beginnt aber als Kinderprogramm, mit behutsamer Musik, Establishing Shots einer Modellstadt und einem singenden Mr. Rogers. Letzterer möchte uns/seinem Kinderpublikum Lloyd Vogel vorstellen, einen neuen, derangierten Freund, der nicht verzeihen kann.

Selbstfindungs-Pastiche

Bei diesem Kinderprogramm namens Mr. Rogers’ Neighborhood handelt es sich um eine Sendung für Vorschulkinder, die von 1968 bis 2000 produziert wurde. In der halbstündigen Show sprach der echte Fred Rogers aus einem Wohnzimmer direkt mit seinen Zuschauern. Er führte Experimente, Rätselspiele oder kurze Dokus vor und versuchte, seinem Publikum das Staunen über scheinbar Alltägliches beizubringen. Formal lag die Sendung irgendwo zwischen der Sesamstraße und der Sendung mit der Maus. Inhaltlich wagte man aber mehr, etwa wenn Krieg, Tod oder Scheidungen thematisiert wurden. In Zusammenarbeit mit der Psychologin Margaret McFarland versuchte Rogers, den Kindern Möglichkeiten aufzuzeigen, mit ihren Gefühlen umzugehen.

Lloyd kommt nun also an dieses Set, um sein Interview zu bekommen. Doch tatsächlich wird er mit der sich verdichtenden Lebenskrise nicht nur von Mr. Rogers be-, sondern zunehmend auch von dessen Sendung heimgesucht, in Alpträumen oder durch eine kurzzeitig einsetzende 4:3-Rahmung seiner Realität. Irgendwann wird es dann surreal und er nimmt die handpuppengroße Rolle des Vorführobjekts in Mr. Rogers‘ Neighborhood ein. Wie Scrooge in Dickens’ Weihnachtsgeschichte wird er so Richtung Läuterung geführt, qua eines Michel-Gondry-Selbstfindungs-Pastiche, bei dem erwähnenswert höchstens die liebevolle Ausstattungsarbeit ist. Der wirklich faszinierende Moment von Der wunderbare Mr. Rogers liegt darin, dass diese Rahmung – bewusst oder unbewusst – das einigermaßen triste Drama subvertiert. Die Geschichte von Lloyd Vogel bekommt dadurch, dass sie zum Teil von Mr. Rogers‘ Neighborhood gemacht wird, den Nimbus des Kindgerechten: Das Drama bleibt seicht, das vorhersehbare Ende wird schnell und ohne große Hindernisse erreicht.

Feel-Good als Regress

Dem steht eine Vision des Erwachsenseins gegenüber, die die Aufmerksamkeit von sich ablenkt. Wenn Lloyd etwas über Mr. Rogers erfahren möchte, dann endet er vor einer Wand. Tom Hanks spielt seinen Mr. Rogers als Everybody‘s Darling ohne Verbindlichkeit. Und doch haben seine versteinerten Gesichtszüge die fast schon beängstigende Qualität, jede Diskussion abzublocken. In seinen unterschiedlich weit geöffneten Augen funkelt etwas Angriffslustiges. Wenn der Film uns den unheimlich sanften Mr. Rogers beim regelmäßigen Schwimmen zeigt, dann sind genügend Krumen ausgelegt, um einen Mann zu erkennen, der gerade gegen all die Wut und den Frust ankämpft, die er tief in sich wegsperrt. Er wird auch sein eigenes kleines „Rosebud“ bekommen.

Der wunderbare Mr. Rogers ist so nicht nur das indirekte Porträt eines in sich Weggeschlossenen. Das Wohlfühlige einer netten Geschichte, in der sich sämtliche Probleme wie durch Zauberhand auflösen, wird selbst zu einer Art von Regress erklärt, die verhindert, sich dem vollständigen Horror des Lebens wie ein „Erwachsener“ zu stellen. Durch die Struktur des Films, in der sich Kindlichkeit und Erwachsensein, Realität und Traum ständig überschneiden, wird die Frage danach, wieviel Ernst des Lebens jeder zulassen möchte und muss, jedoch nie zu einer moralischen, sondern bleibt eine offene, der sich jeder selbst stellen muss.

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