Stars at Noon – Kritik
Neu als VoD: Nichts tut weh, aber alles ist unbehaglich, ein perfektes Vibrieren. Das Drehbuch von Claire Denis' neuem, in Nicaragua angesiedeltem Film Stars at Noon will sich mitteilen, wird aber immer wieder ausgebremst vom eigentümlichen Rhythmus eines Films, der sich für Motive mehr interessiert als für Ereignisse.

Margaret Qualley torkelt durch diesen Film, immer am Trinken, meist nur ein dünnes Kleidchen übergeworfen, das sie häufig auszieht. Denn es ist ultraheiß in Nicaragua, und ein bisschen Erotikthriller ist Stars at Noon schon auch. Alles Weitere ist erstmal unklar, vielleicht ist ihr Beruf: Reporter, aber John C. Reilly als Redakteur in einer Skype-Cameo will nichts mehr von ihr wissen, behauptet sogar, sie sei nie angestellt gewesen.
Statt Robert Pattinson, der aus Termingründen absagen musste, spielt Joe Alwyn den homme fatale an der Hotelbar, der sicherlich Brite ist, wahrscheinlich der Geschäftsmann, der er zu sein vorgibt, und vielleicht von der Geheimpolizei aus Costa Rica verfolgt wird. Für 50 Dollar und ein paar Stunden Klimaanlage schläft Trish mit ihm, es wird nicht das letzte Mal sein.

Stars at Noon ist nicht unbedingt euphorisch aufgenommen worden in Cannes, der Applaus hielt sich in Grenzen, in den sozialen Medien werden absurde Parallelen zu Sean Penns Desaster The Last Face von 2016 gezogen. Selbst wenn vielleicht nicht alles funktioniert in Stars at Noon, wie es das könnte, ist der Film doch das Gegenteil, ein Risiko eben, kein Kalkül, und wo ich bei Penn nur weggucken wollte, kann ich hier nur hingucken, stehe direkt unter Strom, das schafft Denis noch immer wie keine Zweite.
Etabliert wird erstmal nichts, uns bleibt nichts übrig, als uns an diese Trish zu haften, und deren prekäre Balance findet kongenialen Ausdruck in der Denis’schen Poetik mit ihren Beunruhigungsmitteln: Die dieses Mal etwas jazzigeren Ambient-Soundscapes der Tindersticks trösten und irritieren zugleich, Guy Lecornes Montage vernäht die Einstellungen so elegant wie notdürftig, stiftet Kohärenz und droht zugleich, das Ganze in jeder Sekunde in die Luft fliegen zu lassen. Nichts tut weh, aber alles ist unbehaglich, ein perfektes Vibrieren. Der Film selbst ist plot- und dialoglastiger, als man es von Denis gewohnt ist, die Romanvorlage von Denis Johnson aus dem Jahr 1986, aus dem die Regisseurin zusammen mit Léa Mysius und Andrew Litvack ein Drehbuch gemacht hat, will sich mitteilen, wird aber immer wieder ausgebremst vom eigentümlichen Rhythmus eines Films, der sich für Motive (in mehrfachem Sinne) mehr interessiert als für Ereignisse.

Trish und Daniel können nicht voneinander lassen, die Körper finden sich, es ist erotische Anziehung oder wahre Liebe oder schiere Verzweiflung, denn beide sind übers Ziel hinausgeschossen, hängen von anderen ab, kommen ohne Hilfe nicht mehr raus aus dieser Hölle, vielleicht bleibt ihnen nichts anderes als dieser Sex-Limbo und der Alkohol.
Leicht zu erkennen, was Denis am Buch interessiert hat, es ist jener habituelle Imperialismus im Spiel, der sie seit ihrem Debüt Chocolat (1988, unglaublicherweise das letzte Mal, das Denis um die Goldene Palme antreten durfte) umtreibt. Privilegierte Weiße, die über die Welt gleiten wie über einen Abenteuerspielplatz, Kontrolle so gewohnt sind, dass sie ihren Verlust nicht wahrhaben können, bis es längst zu spät ist. Vor allem Daniel ist White Material, nicht nur wegen seines absurd weißen Anzugs: „Du bist so weiß, es ist, als hätte man mit einer Wolke Sex“, sagt Trish einmal.
Den beiden bleibt bald nichts mehr als eine riskante Flucht an die Grenze, wo nicht nur ein Covid-Nasenabstrich wartet, sondern auch Benny Safdie als nicht minder undurchsichtiger Amerikaner. Die Erzählung und ihre Figuren kommen erst langsam bei der Erkenntnis an, von der Claire Denis’ Kino schon lange erfüllt ist: Der sichere Rahmen ist niemals Prämisse, muss sich immer wieder aufs Neue erkauft werden, und manchmal sehr teuer.
Den Film ist in der Amazon Prime Flatrate enthalten sowie bei diversen anderen Streaming-Anbietern (Sky, Apple TV, Google Play etc.) verfügbar.
Der Text erschien ursprünglich am 22.05.2022 im Rahmen des Cannes Film Festivals.
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