Red Rocket – Kritik
Politisches Porträt eines Porno-Posers: Auch in Red Rocket bewegt sich Regisseur Sean Baker jenseits der langweiligen Debatten über die ach so gespaltenen Staaten von Amerika. Und versucht sich an einer Teufelsaustreibung.

Im Jahre 2016 wird ein Kerl ins Haus gelassen, dem man eigentlich nie wieder vertrauen wollte. Er verspricht viel: An der Miete will er sich beteiligen, ein paar Sachen am Gebäude reparieren, den Rasen mähen, und überhaupt sehe man doch an allen Ecken und Enden, dass hier ein Mann fehlt. Trotz erst vehementer Ablehnung bekommt er den benefit of the doubt, richtet sich häuslich ein und macht im Laufe von Sean Bakers Red Rocket einiges kaputt.

Das ist beileibe nicht die einzige mögliche Beschreibung von Bakers neuem Film, aber eine, die naheliegt. Der Mann, um den es hier geht, ist der aus L.A. geflüchtete Pornodarsteller Mikey, gespielt wird er von Rapper und B-Movie-Star Simon Rex, und das ist ein großer Clou, weil Mikey ein Performer ist, dessen Masche man so schnell durchschaut, wie man ihr erliegt. In der grandiosen Anfangssequenz, so schick von Drew Daniels auf 16mm gebannt wie von Baker selbst geschmeidig geschnitten, dass man in Sekundenschnelle angekommen ist in diesem Film, werfen sich Mikey und seine Frau Lexi (Bree Elrod) zwar noch alles Mögliche an den Kopf, aber irgendwie schafft Mikey es doch, erst in Lexis Haus, später in ihr Bett.
Eine Lolita für den toxischen Tunichtgut

Nach den dirty streets von Los Angeles (Tangerine L.A., 2015) und dem Schatten von Disneyland (The Florida Project, 2017) ist das Setting von Red Rocket nun Texas City, ein gottverlassener Ort und trotzdem eine irgendwie funktionierende Community, mitten in einem Red State mitten im Wahlkampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton. Baker hat wieder tolle Darsteller gefunden, manche buchstäblich auf der Straße: etwa die im Februar diesen Jahres gestorbene Brenda Deiss, die mit unvergleichlich charmanter Pampigkeit Mikeys Schwiegermutter Lil gibt; andere auf der Leinwand: etwa Judy Hill in Roberto Minervinis Dokumentarfilm What You’re Gonna Do When the World is on Fire? (2018), die in Red Rocket den lokalen Drogenhandel organisiert und Mikey einstellt, um Gras an Bauarbeiter zu verkaufen. Nicht minder auffällig ist Ethan Darbone als Slacker-Nachbar Lonnie, der Mikey – sonst nur auf einem symptomatisch kleinen Fahrrad unterwegs – mit dem Auto rumkutschiert und dafür seine Sprüche und Hollywood-Storys konsumiert. Und last but not least spielt Suzanna Son lolitahaft eine noch nicht ganz 18-jährige Donutladen-Bedienung, die sich Strawberry nennt.
Mit diesem Erzählstrang betritt Red Rocket vermintes Gebiet, denn der toxische Tunichtgut und das unschuldige Mädchen gehen erst eine Liaison, später eine Allianz ein: Strawberry will ihrem langweiligen boyfriend entkommen, Mikey sieht in ihr den Weg zurück in die Pornobranche, in der er zuletzt eher glücklos war. Ein nicht jugendfreies A Star Is Born als Flucht vor dem Sunset Boulevard: Baker macht Filme über die USA wie sonst niemand, treibt seinen roughen Realismus in Richtung Dokument der Gegenwart, aber über den Umweg einer Aktualisierung des mythologischen Archivs Amerikas – ein Archiv, das noch immer Alltage strukturiert und politisch wirkmächtig ist.
Angewidertes Auflachen

In seinem neuesten Streich ist Baker dem Erfolg eines Archetypen auf der Spur: dem narzisstischen Poser, der trampelig auftritt und doch erstaunlich leichtfüßig über die Runden kommt, während er hinter sich eine Spur der Verwüstung hinterlässt, Massenkarambolagen verursacht und ein paar Leben zerstört. Red Rocket stellt sich ganz in den Dienst dieses Typen und führt ihn zugleich vor. Das ist ein Kunststück, weil sich die Reibung zwischen Abstoßung und Anziehung nicht nur auf die Figur Mikey bezieht und auf die spektakuläre Performance von Simon Rex, sondern die ganze Tonlage des Films bestimmt, der nie so ganz greifbar, aber oder gerade deshalb immer kurzweilig ist, so diffus wie aufregend.
Wenn das Bakers Trump-Film ist, dann weniger als Kommentar auf dessen Politik denn als popkulturelle Analyse des Umgangs mit ihm. Baker macht sich den Modus, in dem das liberale Amerika die Trump-Präsidentschaft verfolgt hat, nicht zu eigen, sondern kenntlich, indem er sehr bewusst und gekonnt ähnliche Reaktionen triggert: Hysterisch auflachend, ungläubig den Kopf schüttelnd, peinlich berührt, angewidert und dabei dem ganzen Theater doch leidenschaftlich verhaftet, sehen wir Mikey zu, sehen wir diesen Film.
So bewegt sich Red Rocket, wie schon Bakers andere Filme, außerhalb des Radars der langweiligen Debatten über die ach so gespaltenen Staaten von Amerika. Und führt schließlich vor, dass der Impfstoff aus dem gleichen Labor kommen muss wie das Virus. Den Teufel austreiben müssen am Ende eben doch die anderen Figuren aus Texas City, die typischen Baker-Outsider in solidarischer Eintracht, damit irgendwann auch das grandiose musikalische Leitmotiv von *NSYNC zu seinem Recht kommen kann: „Bye Bye Bye“.
Neue Kritiken

Mein 20. Jahrhundert

Caught Stealing

Wenn der Herbst naht

In die Sonne schauen
Trailer zu „Red Rocket“


Trailer ansehen (2)
Bilder




zur Galerie (16 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.