Baarìa - Eine italienische Familiengeschichte – Kritik
Giuseppe Tornatore hat mit Baarìa einen traumhaften Heimatfilm über Sizilien gedreht. Das ist zwar schön anzuschauen, bleibt aber zumeist fragmentarisch.

Der leichte Schlaf, während die bewusste Wahrnehmung des tatsächlichen Ortes langsam schwindet, beginnt nicht selten mit dem Traum vom Fliegen. Auch in Baarìa – Eine italienische Familiengeschichte (Baarìa, 2009) fliegt am Anfang ein kleiner Junge über die Dächer seines Städtchens. Bagheria heißt dieser ein wenig staubige Ort in Sizilien, dessen Entwicklung Giuseppe Tornatore in seinem neuen Film nachzeichnet und der im regionalen Dialekt „Baarìa“ genannt wird. Von den 1930er Jahren über die Wirren des Krieges, die Entbehrungen und tiefen Veränderungen der Nachkriegszeit bis ins heutige Italien begleitet man die Reise des jungen Peppino durch sein Leben.
Um Träume geht es in diesem Leben. Um die Träume eines kleinen Schäferjungen. Da ist zunächst der kindliche Wunsch, fliegen zu können, nur um schnell genug zu sein und sich als Zigaretten-Kurier ein paar Lire zu verdienen. Zum jungen Mann gereift, träumt Peppino (Francesco Scianna) von der schönen Mannina (Margareth Madè) und vom Sieg der Kommunistischen Partei in Italien, der er sich angeschlossen hat und von deren Ziel einer klassenlosen Gesellschaft er überzeugt ist. Während sich das eine erfüllt und er mit Mannina eine Familie gründet, nimmt der Traum von einer politischen Karriere in Rom im Laufe der Jahre kaum Gestalt an.
Der Einschlaftraum, oder der fliegende Junge über den Straßen des kleinen Städtchens, bildet lediglich den Auftakt für einen erzählerischen Parforceritt. Baarìa folgt nicht einfach nur der Familiengeschichte seiner beiden Protagonisten, sondern versucht die großen und kleinen Ereignisse und Entwicklungen des italienischen 20. Jahrhunderts nachzuvollziehen. Von Faschismus und Krieg handelt der Film. Vom harten Leben der Bauern auf dem Lande. Von Großgrundbesitzern, Umverteilung und Kommunismus. Von Studentenbewegung und politischem Widerstand. Von Macht und Ohnmacht. Von Reichtum und Armut. Von familiärem Zwist und von der Liebe.

Die unterschiedlichen Fäden der Handlung, die Tornatore ineinander verwebt, erinnern an die Struktur eines Traums: lose Enden, räumliche Sprünge und die wiederkehrenden Zeitreisen sind die filmischen Mittel, mit denen sich der Regisseur entlang der Lebensgeschichte Peppinos munter vor und zurück bewegt. Herausgekommen ist ein brüchiger Film, der vor allem ein inhaltliches Problem hat. Tornatore will schlicht zu viel: zu viel erzählen, zu viel zeigen, zu viel mitteilen. Mehr als ein kurzes Streifen der Geschichte(n), ein flüchtiges Benennen der vielschichtigen Fragen gelingt ihm dabei jedoch nicht.
Neben italienischer Familien- und Landesgeschichte ist Baarìa zugleich ein bildgewaltiges Porträt landschaftlicher Schönheit. In die karge, ausgemergelte Gegend Siziliens inszeniert Tornatore sich scheinbar endlos ziehende Olivenhaine. Die reifen Früchte der Zitrusbäume leuchten verführerisch in der Sonne, und von den Berghängen der Schafweiden genießt der Kamerablick das traumhafte Panorama der Region zu seinen Füßen. Nie entfernt sich der Film von der nordsizilianischen Heimat des Regisseurs, und auch den Ort selbst taucht Tornatore in ein mildes Licht, verlegt die Handlung zumeist auf die ausgedehnte Hauptstraße und die charmante Piazza vor der Kirche. In Baarìa verbinden sich diese lebhaften, oft hektischen Bilder mit den ruhigen und langen Einstellungen der malerischen Landschaft zu einer unwirklichen Komposition mediterranen Zaubers.

Ganz beiläufig erzählt Tornatore auch von einem anderen Zauber. Vom Zauber des Kinos, der alle drei Generationen der Familie erfasst: vom Vater, der leidenschaftlich dem Spektakel der noch stummen Bilder folgt, über Peppinos ersten Tonfilm bis zu seinem Sohn, der die farbigen Filmstreifen aus dem Vorführraum sammelt, um sich der traumhaften Leinwandwelten zu erinnern. Über all die technischen Neuerungen der Kinogeschichte hinweg, die der Film auch deshalb zeigt, um die Sprünge auf der Zeitachse zu veranschaulichen, greift Baarìa hier ein Motiv auf, dass der Regisseur bereits mehrfach verhandelt hat: die Liebe zum Kino als Ort unserer Träume. Anders als bei Cinema Paradiso (Nuovo Cinema Paradiso, 1988) inszeniert Tornatore jedoch keine offensichtliche Hommage an das Kino, sondern belässt es in Baarìa bei nahezu unscheinbaren Andeutungen, gezeigt wird eine Liebe am Rande.
Wie man den Film verlässt? So wie man aus einem Traum aufwacht. Man blinzelt ein wenig, erinnert sich benommen an die magischen Bilder, versucht das soeben Geträumte zu rekonstruieren – und hat doch alles nach wenigen Minuten vergessen.
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