The House at the End of Time – Kritik

VoD: Ein Horrorfilm aus Venezuela entpuppt sich als fantastische Fabel mit Herz.

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Viele der auf dem heurigen Fantasy Filmfest präsentierten Grusler, Schocker und Thriller konzentrieren ihre Geschichte auf einige wenige zentrale Orte. Dazu zählen insbesondere die Haunted-House-Filme, ein Subgenre, das in diesem Jahr besonders häufig vertreten ist. Einer davon ist The House at the End of Time (La casa del fin de los tiempos), der darüber hinaus zu jenen Überraschungen gehört, die das Festival so lohnenswert machen. Dieses bietet den Fans nicht nur die Gelegenheit, Actionfilme, blutlastige No-Brainer und andere Reißer, die es in Deutschland sonst kaum im Kino zu sehen gäbe, auf der großen Leinwand zu erleben, sondern es erlaubt auch immer wieder die Entdeckung kleiner, unscheinbarer Filme – solche, denen hierzulande wohl höchstens ein DVD-Release zugestanden wird und die in der allgemeinen DVD-Schwemme nur allzu leicht untergehen.

Nach 30 Jahren Knast

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Interessant ist The House at the End of Time allein schon wegen seines vergleichsweise exotischen Produktionslandes. Filme aus Venezuela stehen hierzulande nicht auf der Tagesordnung, geschweige denn Horrorfilme – so zumindest der erste Genreeindruck, den die Handlung erzeugt: Dulce (Ruddy Rodríguez) erwacht im Keller ihres Hauses aus einer Ohnmacht. Neben ihr liegt ihr erstochener Ehemann Juan José (Gonzalo Cubero), vor ihr steht ihr Sohn Leopoldo (Rosmel Bustamante). Plötzlich wird der Kleine von einer unsichtbaren Macht in die Dunkelheit gezogen. Als kurz darauf die Polizei eintrifft, wird Dulce wegen Doppelmordes verhaftet. Im Jahr 2011, nach 30 Jahren Gefängnisaufenthalt, darf sie den Rest ihrer Strafe aufgrund ihres hohen Alters in ihrem ehemaligen Wohnhaus absitzen. Dort setzen sich erneut unheimliche Geschehnisse in Gang.

„Klein“ ist dieser Film vor allem wegen dem geringen Budget, das keine großangelegte Ausstattung oder Effekte erlaubt, aber auch wegen einiger Makel, die man ausmachen kann. Der evidenteste ist wohl die Maske, bestehend aus ein bisschen Schminke und einer grauen Perücke, die Ruddy Rodríguez eigentlich in eine alte Frau verwandeln sollte. Immerhin verdeutlicht sie die ansonsten kluge Entscheidung, den Film nicht durch billige CGI aufzupeppen, sondern sich auf Handgemachtes zu verlassen.

Kein Horror-Mystery-Geschwurbel

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Die schlichte, geradezu karge Ausstattung und der Verzicht auf reißerische Bildeffekte geben Gelegenheit, sich ganz in die Erzählung ziehen zu lassen, welche tatsächlich sehr ausgefeilt und durchdacht ist. Anfangs kann in Anbetracht der vielen Negativbeispiele der letzten Jahre durchaus die Befürchtung aufkommen, es mit einem weiteren Horror-Mystery-Geschwurbel zu tun zu haben, dessen Thrillmomente primär die eigentliche Substanzlosigkeit des Plots kaschieren sollen. Das Gegenteil ist hier der Fall. Der Plot gibt sich anspruchsvoll und verwebt verschiedene Zeitebenen miteinander. Ganz ähnlich wie im FFF-Beitrag Oculus (2013) werden zwei Zeitlinien, hier die Jahre 1981 und 2011, in nahtlosen Übergängen miteinander verwoben. So darf der Zuschauer gemeinsam mit der alten Dulce die Umstände aufklären, die einst zum Ableben von Juan José und dem Verschwinden von Leopoldo geführt haben. Ebenso wie sich beinahe jede Szene am Ende tatsächlich in ein großes Ganzes einfügt, ist auch diese narrative Entscheidung der Temporalverflechtung keine bloße Verschnörkelung des Erzählflusses, sondern erweist sich rückblickend als durchaus sinnig.

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Die für einen Horrorfilm erfreulich konsequent und kohärent zu einem Abschluss geführte Erzählung ist es allerdings gar nicht ausschließlich, was den zentralen Reiz an Alejandro Hidalgos Regiedebüt ausmacht. Sie ist zwar raffiniert und durchdacht, aber dem strengen und (genre)erfahrenen Zuschauer wird es wohl nicht schwerfallen, auf Filme zu verweisen, in denen eine ganz ähnliche Story noch besser, spannender oder bildgewaltiger zu sehen gewesen sei – was auch immer die Kriterien für solche komparativen Adjektive sein mögen. Die wesentliche Qualität von The House at the End of Time besteht darin, dass er es dem Betrachter einfach macht, sich auf die von ihm entworfene Welt einzulassen, so dass dieser Betrachter sich die Geschichte, selbst wenn er sie eigentlich schon kennt, gerne noch einmal erzählen lässt, sich erneut von ihr mitnehmen lässt.

Ein Hauch Spielberg

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Im ersten Drittel gibt es eine der schönsten Szenen, wenn Dulces Söhne Leopoldo und Rodrigo (Héctor Mercado) in der 1981er-Zeitlinie gemeinsam mit ihren Freunden ein Baseballmatch austragen. Die Sequenz dient als Vorbereitung eines späteren Ereignisses, doch wird sie stärker ausgedehnt, als es funktional notwendig wäre. Wir dürfen dem ausgelassenen und unbeschwerten Spiel der venezolanischen Kinder eine Weile zuschauen, beobachten, wie sie sich auf dem eher notdürftigen als professionellen Platz ganz dem Vergnügen des Moments hingeben. Die abenteuerlich klingende Streichermusik untermalt das Aufregende der Alltagsszene. Diese Kombination aus Ton und Bild erinnert ein wenig an Steven Spielberg – natürlich nicht wegen seiner Bombast- und Hochglanzfilme, sondern wegen der Stimmung, die seine Produktionen der frühen 1980er Jahre prägt: das Unbedarfte, das Kindliche, das Gefühl, große Abenteuer vor sich zu haben. Etwas von diesem Gefühl gelingt es The House at the End of Time auf den weiteren Fortgang zu übertragen. Wir können uns ungeachtet aller Makel ganz auf die Erzählung einlassen, sie wirklich ernst nehmen, zuallererst auch deshalb, weil das Drehbuch selbst seine Figuren sehr ernst nimmt. Der vermeintliche Horrorfilm entwickelt sich zunehmend zu einer fantastischen Fabel, bei der man sich nicht scheut, das Empfinden ihrer schlichten Schönheit zuzulassen.

Der Film steht bis zum 20.11.2021 in der Tele5-Mediathek.

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