Bin-jip – Kritik

Kim Ki-duk (Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling) entwirft die stumme Liebesgeschichte eines Einbrechers und einer unglücklichen Ehefrau mit motivisch stringenter und atmosphärisch überwältigender Einfachheit.

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Man nehme Fischhaken und lasse sie den Hals hinunter, sind sie tief genug in den Körper vorgedrungen, ziehe man sie wieder ganz langsam heraus. Die blutige Wirkung dieses Rezepts zeigte der erste international erfolgreiche Film von Kim Ki-duk Die Insel (Seom, 2000). Ähnlich verstörend arrangierte er seinen 2004 auf der Berlinale gezeigten Film Samaria, der das Motiv der Prostitution in der Stadt und mit Schulmädchen fortsetzte. Nun läuft der zweite Film Kim Ki-duks nach seinem großen Durchbruch Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling (Bom yeoreum gaeul gyeoul geurigo bom, 2003) in den deutschen Kinos an. Die graduell variierende aber immer präsente Gewalt- und Leidebene, die in seinen Filmen jeweils unterschiedlich in einen metaphorischen Kosmos eingebunden ist, bettet er nun in die stoisch-poetische Lebensweise seiner verliebten Protagonisten.

Konsequent wie die Fischhaken in Die Insel durchzieht das Spiel mit Golfschlägern die Handlung Bin-jips. Zu Anfang noch ein Symbol für den Reichtum des Spielers der in seinem Garten neben einer Statue eine kleine Golfanlage aufgestellt hat, wird nach und nach das volle Potential des Instruments ausgeschöpft. Zunächst dient ein Golfball dem sachten Aneinanderherantasten der Protagonisten, die sich versteckt „den Ball zuspielen“, doch schon bald gerieren die Golfbälle zu Waffen, mit denen Tae-suk (Jae Hee) den Mann bestraft, der seine Ehefrau Sun-hwa (Lee Seung-yeon) misshandelt.

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Tae-suk (Jae Hee) hat ein unübliches Hobby, er hängt Werbebroschüren an Häuser- und Wohnungstüren, um dort einzusteigen, wo die Bewohner länger nicht nach Hause gekommen sind. Doch er ist kein Dieb, ist er erst einmal in der Wohnung, macht er sich diese zu Eigen: Er sieht fern auf den Sofas der Besitzer, duscht in deren Dusche, badet in deren Badewanne, kocht in deren Küche, fotografiert sich vor ihren Plakaten und schläft in ihren Pyjamas. Zu seinem Ritual des Füllens menschenleerer Räume gehört auch der dezidiert gebende Charakter: Wie zum Dank für die unfreiwillige Gastfreundschaft repariert er defekte Geräte, wäscht er die dreckige Wäsche, lässt sie trocknen und räumt sie auf.

Unterstützt durch den sparsamen Einsatz orientalischer Musik, die aus den CD-Playern der unterschiedlichen Wohnungen ertönt, demontiert Bin-jip die üblichen Prozesse des Einbruchsfilms. Die Gefahr in der fremden Wohnung von heimkehrenden Bewohnern überrascht zu werden, scheint für Tae-suk keine Rolle zu spielen, er bewegt sich mit vollkommener Gleichmütigkeit durch die Zimmer. Selbst in den Momenten der Gewalt bleibt Tae-suk stoisch, es scheint beinahe als sei er frei von Affekten. Fast so als wäre es eine Pflichtübung, setzt er den schlagenden Ehemann außer Gefecht. Mit einem Dreier-Eisen – daher der internationale Filmtitel „3-Iron“ –, einem der im Spiel am Wenigsten eingesetzten Golfschläger, symbolisch also eine „einsame“ Waffe für den einsamen Helden, setzt er eine Kette von Brutalitäten in Gang. Ganz im Gegensatz aber zu dem von Kwon Hyuk-ho grandios verkörperten Min-kyu, in dem es kräftig rumort, weil seine Frau ihn nicht mehr gewähren lässt, behält er zu jeder Zeit die Fassung.

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Gewalt und Leid sind in Bin-jip einer klaren moralischen Wertung entzogen. Kim nutzt vielmehr die Formen der Gewalttätigkeit als Unterscheidungsmerkmale zwischen den Menschen. Die Schläger mit deren Hilfe die Bälle ihre Opfer treffen sind zivilisierte Instrumente, nie werden sie zum rohen Gewaltmittel. Denn in Bin-jip wird Gewalt kalkuliert, wem geschadet werden soll, der wird mit präzisen kurzen Abschlägen und immer mit der Vermittlung des Balles, die den Angreifer vom Angegriffenen trennt, getroffen. Dem gegenüber stehen der Polizist (Joo Jin-mo) und der Gefängniswärter (Choi Jeong-ho), die sich direkter, also unmittelbarer, unzivilisierter Gewalttaten schuldig machen, wie Min-kyu als er zu Beginn handgreiflich wird.

Keine der Figuren in Bin-jip bleibt unschuldig, und dennoch umgibt die Protagonisten, wenn Sun-hwa nach der Befreiung vom schlagenden Ehemann Tae-suk langsam folgt und nach und nach seine „Gewohnheiten“ und Gesten übernimmt, eine Aura der Reinheit und der Güte. Sie reparieren unbemerkt defekte Geräte, er bügelt Seiten eines Buches trocken nachdem er es mit in die Badewanne genommen hat. Sie fügt sich ein in seinen Plan und gewinnt dabei von Mal zu Mal auch kreative Eigenständigkeit, wie in der Neuanordnung der Fragmente eines Bildes.

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Tae-suk und Sun-hwa verstehen sich ohne Worte, es ist fast selbstverständlich dass sie bis auf ein Liebesgeständnis am Ende während des ganzen Films stumm bleiben. Und obwohl in Kims Werken generell sehr wenig gesprochen wird, ist es schon ein kleiner Sieg über den Dialogfilm, wie viel Kim in den Gesten, Blicken und Handlungen auszudrücken vermag. Zuletzt überträgt sich das Stumme auch auf das Auge und Tae-suk wird nach und nach für die fremde Umgebung unsichtbar, er meistert bis zur Perfektion die Kunst der Bewegung im Schatten der Anderen, für die Kim, wie für das Gefühl in der Liebe beflügelt zu sein, eindringliche Bilder findet. In der Union sind Tae-suk und Sun-hwa schließlich schwerelos.

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