„Das europäische Kino ist einfach sehr alt“

Interview mit Olivier Assayas

Mit Personal Shopper hat Olivier Assayas eine eigenwillige Ghoststory gedreht. Im Rahmen des Filmfests Hamburg haben wir mit dem Regisseur über Kristen Stewart gesprochen, aber auch über Spiritismus, die Dramaturgie von Smartphones und das Verhältnis des Kinos zu den Transformationen der modernen Welt.

Till Kadritzke: Fangen wir gleich mit Ihrem neuen Film Personal Shopper an, und zwar direkt mit der ersten Sequenz. Schon dort wird eine wie auch immer geartete Geisterpräsenz visualisiert – ein Moment, der klassischerweise eher für einen späteren Zeitpunkt aufgehoben wird. War es Ihnen wichtig, von Beginn an zu etablieren, dass man in diesem Film Geister sehen wird?

Personal Shopper 02

Olivier Assayas: Was die Sequenz vor allem sagt, ist, dass es in diesem Film darum gehen wird, was man sieht und was man nicht sieht. Und vor allem ging es mir natürlich darum, die Figur der Maureen zu etablieren. Sie befindet sich an dieser Grenze zwischen der Realität und dem Nicht-Sichtbaren, der Welt der Vorstellungen, und sie ist nicht sicher, ob sie an dieses Nicht-Sichtbare glaubt. Aber etwas passiert außerhalb ihrer Wahrnehmung, das uns darauf hinweist, dass diese andere Welt tatsächlich existiert – dass in diesem Film alles passieren kann. Ich wollte direkt vermitteln, dass dies ein Film ist, für den die nicht-sichtbare Welt tatsächlich existiert, und dass das Vorhaben der Menschen, mit dieser Welt zu kommunizieren, nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Denn sonst würde man sich diese Figuren ansehen und sagen, das sind ja Trottel. Interessant ist eher, dass man weiß, es gibt da eine Tür, und die Frage ist dann eben: Wird sie diese Tür finden?

Und nicht: Ist das jetzt echt, oder ist es nicht echt?

Genau.

Der Film fühlt sich manchmal fast wie zwei Filme an, die übereinandergelegt oder ineinander verschränkt wurden, auch durch die beiden Welten, in denen die Protagonistin sich bewegt. War diese Doppelstruktur von Anfang an klar, als Sie den Film konzipiert haben?

Personal Shopper 04

Nun ja, wir leben alle ständig ein oder zwei, drei oder vier Geschichten gleichzeitig. Wir sind nicht eindimensional, warum sollte eine Figur das sein? Für mich ist Maureen aber eher eine halbe Figur als eine doppelte, weil sie gewissermaßen ihre andere Hälfte verloren hat. Sie sucht nach ihrer Identität. Und weil sie sich in diesem Prozess der Rekonstruktion befindet, erscheint ihr alles, was ihr begegnet, als ein Zeichen, und wir versuchen mit ihr, diese Zeichen zu interpretieren. Und natürlich geht es in Personal Shopper auch stark um die Spannung zwischen ihrem Alltagsjob, mit dem sie sich über Wasser hält, und ihrer inneren Welt, die durch ihre Einbildungskraft angestachelt wird und durch alles, was ihr hilft, ihre Identität wiederzuerlangen. Es gibt da eine Vielfalt an Erfahrungen, aber es sind alles innere Erfahrungen. Wenn Sie also sagen, es gibt hier zwei Geschichten, dann wären es einmal die Geschichte, was in ihrem Inneren vor sich geht, und eine andere Geschichte, in der es um ihre Interaktion mit der materiellen Welt geht.

Diese Dopplung hat ja viel mit dem im Film immer wieder explizit gemachten Verhältnis zwischen Technologie und Spiritismus zu tun. Diese zwei Dinge werden heutzutage eher getrennt, weil die 1960er-Variante des Spirituellen sich von der technologischen Welt ja gerade abgrenzen wollte ...

Ja, aber das ist eine so falsche Vorstellung, denn der Spiritismus war immer mit der Technologie verknüpft. Er entstand Mitte des 19. Jahrhunderts, zur gleichen Zeit, in der die Wissenschaft unsere Vorstellungen über die Welt enorm erweitert hat. Große Künstler und Wissenschaftler haben sich für ihn interessiert, während Röntgenstrahlen und elektromagnetische Wellen entdeckt, die Fotografie und der Film erfunden wurden. Häufig waren es auch Wissenschaftler, die mit spirituellen Dingen experimentiert haben, viele von ihnen waren völlig fasziniert davon und haben geglaubt, dass es da etwas zu erforschen gibt. Und ein wenig später war der Spiritismus dann auch mit einem der großen Durchbrüche in der zeitgenössischen Kunst verbunden, mit der Erfindung der Abstraktion. Nur weil unsere heutige Zeit derart von den 1970er Jahren beeinflusst ist, glauben wir, dass Spiritualität so ein New-Age-Ding ist. Mich hat interessiert, diese Vorstellung des 19. Jahrhunderts wieder in die moderne Welt zu übertragen.

Inwiefern ist dieser neue Film vielleicht auch eine Fortsetzung oder Erweiterung Ihres letzten Films, Die Wolken von Sils Maria? Es gibt da zwar offensichtlich große Unterschiede im Tonfall, aber man könnte in gewisser Weise auch hier von einem Geisterfilm sprechen. Zugleich gibt es in beiden Filmen diese Bezüge auf Vergangenes, diesen Dialog mit dem Archiv, in Form von alten Filmausschnitten.

Eigentlich hatte ich nach den Wolken von Sils Maria etwas ganz anderes vor, einen Genrefilm, den ich in Toronto mit US-Schauspielern inszenieren sollte. Aber dann scheiterte die Finanzierung, und ich musste mich anderweitig umsehen. Und dann habe ich tatsächlich versucht, dort anzufangen, wo ich mit dem letzten Film aufgehört hatte, auch um die paar Ideen weiter zu benutzen, die immer noch nachklangen.

Sie haben auch wieder mit Kristen Stewart gedreht. Stewart stand neulich im Zentrum einer Coverstory des Film Comment, nach der sie so etwas wie eine neue Art des Schauspiels verkörpert, das sich vom Method Acting und von stetigen emotionalen Ausbrüchen verabschiedet, zugunsten eines zurückhaltenderen, undurchsichtigeren Spiels. Ist das etwas, das zu Ihren eigenen Vorstellungen von Schauspiel und Schauspielführung passt?

Clouds of Sils Maria 05

Ja, auf jeden Fall. Ich habe Kristen wirklich entdeckt, als wir Die Wolken von Sils Maria gedreht haben. Ich war natürlich auch schon vorher froh, sie für den Film gewinnen zu können, hätte aber vorher nie gedacht, dass sie so weit gehen könnte. Beim Dreh merkte ich dann irgendwann, die einzige Begrenzung ist die des Drehbuchs. Bei ihr wurde da wirklich etwas zum Vorschein gebracht ... weniger von mir als vielmehr von Juliette Binoche, die sehr wichtig war in diesem ganzen Prozess. Kristen Stewart hat Juliette Binoche immer sehr bewundert und war sehr glücklich, mit ihr arbeiten zu können. Und dann wurde sie durch Juliettes Art auch sehr angestachelt. Nach einer Weile färbte alles, was Juliette tat, in irgendeiner Weise auf Kristen ab, und Kristen hat verstanden, wie sie das nutzen und verwenden konnte. An dieser Energie haben wir dann gearbeitet.

Und in Sils-Maria gibt es da ja auch einen ganzen Diskurs über das Spielen, wenn Maria Enders ständig erklärt, sie könne diese Figur nicht spielen, sie würde sie nicht fühlen, und so weiter. Da geht es ja auch sehr um verschiedene Formen des Schauspiels, der psychologischen Einfühlung ...

Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Figur der Maria in eine andere Ära gehört. Der Film handelt ja zum Teil auch davon, dass Valentine eine bestimmte Form von Moderne verkörpert, die jene Werte infrage stellt, auf die Maria ihre ganze Karriere gegründet hat.

Es gibt da diese tolle Szene, in der Stewarts Figur einen Hollywood-Superheldenfilm verteidigt, während Maria das alles ziemlich lächerlich macht. Das ist eine interessante Variante von jugendlichem Selbstbewusstsein und Generationenkonflikt. Sie haben ja auch Filme über die Jugend Ihrer eigenen Generation gemacht, die zu einer Zeit spielen, als Generationenkonflikte und Jugendrebellion noch eine ganz andere Bedeutung hatten ...

Clouds of Sils Maria 01

Es geht in Sils Maria vielleicht weniger um einen Generationenkonflikt als einfach um das Verstreichen der Zeit. Ich glaube, die Menschen altern heute auch anders. Wenn dieser Film vor dreißig Jahren rausgekommen wäre, dann wäre eine 52-Jährige eine alte Schauspielerin gewesen. Heute sehen wir Juliette Binoche nicht als solche an. Im französischen Kino sind die größten Stars älter als Juliette. Die Figur der Maria ist also keine junge Schauspielerin mehr, aber auch noch keine alte, sie ist in dieser Grauzone. Sie kann sich zwar noch immer an etwas festhalten, an einer Karriere, aber was ihre Werte, was ihre Sicht auf die Welt angeht, ist die Zeit vorangeschritten. Und sie hat keine Verbindung zu dem, was der jüngeren Generation gehört. Aber das ist weniger eine Frage der Generationen als eine des Abgrunds der Zeit. Und klar, es ist interessant, dass das zum Vorschein kommt, wenn man einen Mainstream-Hollywoodfilm guckt. Die Energie dieser Szene ging übrigens völlig von Juliette aus. An dem Tag, als wir sie drehten, war ich etwas besorgt, Kristen hatte nicht gut geschlafen und wirkte nicht ganz bei der Sache. Und Juliette hat sie dann regelrecht provoziert, sie war es, die Kristens Performance an dieser Stelle herausgekitzelt hat. Diese Dynamik zwischen den beiden war wirklich sehr faszinierend.

Dinge wie Smartphones und YouTube werden in Filmen ja häufig entweder sehr selbstbewusst benutzt oder verurteilt. Das ist bei Ihnen anders, auch weil Sie sich für die ganz konkreten Details dieser Dinge interessieren. In Personal Shopper spielen ja die ganzen Kontrollfunktionen der neuen Smartphone-Messenger eine wichtige Rolle, überhaupt die Vorstellung der stetigen Verfügbarkeit oder die Gefahr dabei, wenn man für eine Weile nicht verbunden ist und aufholen muss.

Ja, ich habe mich von der Dynamik dieser Dinge wirklich faszinieren lassen. Textmessages sind eine wirklich spannende Form der Kommunikation, viel spezifischer als E-Mail. Man schreibt E-Mails, wie man früher Briefe geschrieben hätte, das ist sehr ähnlich. Und man schreibt eine Menge E-Mails, aber früher haben die Leute auch eine Menge Briefe geschrieben. Da ist kaum etwas Spezifisches. Textmessaging dagegen ist eine sehr spezifische Kommunikationsform, mit ihren eigenen Codes, ihrer eigenen Dynamik, ihrer eigenen Dramaturgie. Das habe ich auch beim Schreiben und noch stärker beim Drehen gemerkt, wie aufmerksam man beim Umgang mit jedem einzelnen Detail sein muss, weil die kleinen Details genau das sind, was den Suspense ausmacht beim Textmessaging: Wie lange wird er oder sie brauchen, um zu antworten? Ist meine Nachricht angekommen, wurde sie gelesen oder nicht? Und man ist auch so unglaublich vorsichtig mit der Wortwahl. Man schreibt in kurzen Sätzen, jedes einzelne Wort ist wichtig.

Wie war es dann konkret, diese Dinge in Film zu übersetzen?

Ehrlich gesagt, habe ich beim Schreiben geglaubt, dass es sehr leicht wird, das zu drehen – einfach die Bildschirme abfilmen. Und als es dann losging, habe ich schnell gemerkt, dass es das Komplexeste sein wird, was ich je gefilmt habe, ein Albtraum. Wir mussten jede Einstellung von einem Bildschirm drei- oder vier- oder fünfmal drehen, um das Timing und den Rhythmus richtig hinzubekommen, und dann dasselbe nochmal im Schnitt.

In demonlover (2002) haben Sie sich auch schon mit der digitalen Welt und dem Internet beschäftigt, allerdings eher mit einer bestimmten Form von Bildkultur und Hypervisualität, das schien auch noch ein ganz anderer historischer Moment zu sein.

demonlover

Ja, demonlover ist mittlerweile 14 Jahre alt. Ich glaube aber, wie dieser Film das Internet als eine Art von Unterbewusstsein der heutigen Gesellschaft begreift, das ist noch immer aktuell. Wie das Internet die Beziehung des Individuums zu dem verändert hat, was einst der privateste Teil seiner Identität war, seine sexuellen Fantasien und Begehren. Das war etwas, zu dem man keinen Zugang hatte. Mit dem Internet ist das anders. Für jeden merkwürdigen Bereich, den es da geben mag in deinem sexuellen Begehren, wird es irgendwo eine Internetseite geben. Und das bringt eine bestimmte Form der Entfremdung mit sich, weil die Menschen vorher ihre eigenen Bilder für ihre Begehren und Fantasien entwickeln mussten. Nun passt man sich an bereits existierende Bilder an, das ist selbst schon eine Art Verletzung des Privaten. demonlover handelt nicht nur davon, aber es ist durchaus stark von diesem frühen Moment der Internetkultur geprägt.

Wie hat sich Ihre Haltung zur Internetkultur verändert? In den letzten beiden Filmen scheint es da ja durchaus auch eine Vorstellung von einer Bewusstseinserweiterung durch das Internet zu geben, wenn man etwa über die Beziehung von Spiritismus und Technik im 19. Jahrhundert dann auch direkt einen YouTube-Clip zur Hand hat.

Ja, genau, es ist eine Erweiterung unseres Gedächtnisses, unseres Wissens, unserer Denkprozesse. Und es ist wirklich spannend, auf welche Weise sich unser Hirn damit verbindet, wie diese Dinge in den Denkprozess eingestöpselt werden. Vor 14 Jahren hatte ich eine bestimmte Vorstellung davon, was das Internet ist, und es fühlte sich so faszinierend wie gefährlich an, und natürlich brachte es eine Form der Entfremdung mit sich, eine Erweiterung der Entfremdung innerhalb der modernen Welt. Mittlerweile nutze ich all diese Dinge natürlich dauernd, wir alle tun das, es ist weder gut noch schlecht, es ist Teil der Welt, in der ich lebe, und es ist auch nicht mehr relevant, was ich darüber denke.

Es ist auch ein Teil unserer Körper geworden, es produziert stetig neue körperliche Praktiken und neue Körper, die wir bewohnen.

Ja, genau, es handelt sich um eine Erweiterung unseres Selbst.

Wie schlägt sich das dann in der Figurenzeichnung nieder, diese Relevanz von Medien und Technologien für unser Selbst? Denn über Figuren wird ja häufig als psychologische Entitäten nachgedacht, die irgendwie unabhängig von diesen Fragen existieren, die dann in ein Umfeld hineingeworfen werden. Sie scheinen Figuren dann ja auch in gewisser Weise als durch dieses Umfeld bestimmt zu fassen, als Effekte von Medien und Technologien.

Ja, genau, eine Figur muss für mich ein Vehikel sein. Für mich ist eine Figur in erster Linie Bewegung, dadurch bestimmt, wie sie durch die Gesellschaft kreuzt, und durch die Bedingungen dieser Bewegung.

Ist ein solcher Dialog mit der Gegenwart mit filmischen Mitteln etwas, was Sie im Kino generell eher vermissen?

Clouds of Sils Maria 03

Lassen Sie es mich so sagen: Ich habe ein Problem mit der Bedeutung, die die Repräsentation der sozialen Realität im Kino eingenommen hat. Es ist, als hätte die Soziologie das Kino übernommen. Und dann lernen wir immer wieder aufs Neue, dass es da eine ganze Menge Elend in der Welt gibt, dass viele Menschen ein sehr hartes Leben führen, dass die moderne Gesellschaft grausam sein kann. Und ehrlich gesagt wissen wir das ja alle schon. Es war in irgendeiner Form immer so, und wir sind alle darüber besorgt, und wir versuchen alle, in unserem eigenen Leben Gutes zu tun. Aber warum müssen wir das die ganze Zeit wiederholen, warum wiederholen wir etwas, das uns allen bewusst ist? Die Fragen, die von der modernen Gesellschaft gestellt werden, der Wandel, dem wir unterworfen sind, das ist alles sehr viel verstörender und wichtiger. Und ich glaube nicht, dass viele Filme versuchen, diesen Fragen filmisch auf den Grund zu gehen. Und in gewisser Weise steht eine bestimmte Art von Hollywood- oder Genre-Kino da viel mehr in Verbindung mit diesen Dingen, die unsere Welt verändern. Dieses Kino reagiert viel schneller. Das europäische Kino ist da einfach sehr alt, es ist an alte Werte geknüpft und häufig auch an sehr alte Vorstellungen davon, was Kino ist. Deshalb bin ich auch immer etwas besorgt, was die cinephile Kultur angeht, weil ich glaube, auch sie hat es schwer, damit umzugehen, wie diese Welt sich verändert.

Vielleicht auch, weil sie häufig damit beschäftigt ist, Film als Kunstform verteidigen zu müssen und diese Fragen von Aktualität und Relevanz dafür eher problematisch sind?

Carlos - Der Schakal 09

Für mich sind Filme natürlich Kunst. Aber man muss auch die spezifischen Bedingungen von Filmen untersuchen, denn das Kino ist eben sowohl Kunst als auch Dokumentation, es ist eine Kunstform, die auch die Fähigkeit hat, andere Künste zu repräsentieren. Und die moderne Kunst ist sehr häufig gerade durch ihre Fähigkeit bestimmt, mit den Themen der Gegenwart umzugehen – vielleicht nicht jeder Künstler, aber es gibt eine große Menge an Kunst, die sehr relevant ist im Umgang mit der modernen Welt. Das Kino kann aber eben nicht in dieser exklusiven Kunstwelt funktionieren. Das Schöne am Kino ist ja gerade das Kollektive, dass es in Multiplexen läuft. Filme gelangen in Einkaufszentren, ins Fernsehen, sie haben eine enorme Reichweite und sind vielleicht die letzte Kunstform, die noch eine tatsächliche Verbindung zu den Leuten besitzt. Man muss nicht immer dieselbe Syntax, dieselben Werte benutzen, aber man sollte immer in Erinnerung behalten, dass Filme diese Verbindung mit einem breiten Publikum erhalten müssen.

Ist das auch Ihr hauptsächliches Problem mit der Cinephilie, dass eine bestimmte Form von ihr vor dieser Verbindung Angst hat?

Ja, es gibt diese Angst. Und auch eine Angst vor etwas, das im Genrekino sehr wichtig ist, nämlich das Verhältnis zum Körper. Was ich beim Genrekino so mag, ist, dass es weniger mit dem Gehirn des Zuschauers als mit dessen Körper eine Verbindung eingeht.

Noch einmal konkret zu Personal Shopper: Es gibt da dieses etwas überraschende Marlene-Dietrich-Stück, das „Hobellied“, das eine zentrale Szene untermalt. Wie kamen Sie auf diese Auswahl?

Personal Shopper 01

Das war schon immer eines meiner Lieblingslieder von Marlene Dietrich. Wenn ich anfange, an einem Film zu arbeiten, dann suche ich manchmal nicht nach Bildern, sondern nach Sounds oder musikalischen Elementen, die mich inspirieren. Und dieses Marlene-Dietrich-Lied gehörte für mich schon vor Drehbeginn zu den Stücken, die die Stimmung des Films ausdrückten. Zunächst dachte ich, man könnte es für die Szenen benutzen, in denen Maureen mit dem Motorrad unterwegs ist, aber als ich das beim Schnitt versucht habe, hat das überhaupt nicht funktioniert, und ich habe mich schon davon verabschiedet. Und ich weiß noch, wie Marion, meine Cutterin, mich wegen dem Lied für verrückt erklärte: Was in aller Welt ist das? (lacht) Aber dann hatten wir noch diese lange Szene, in der Maureen sich auszieht und Kyras Kleider anprobiert, und ich wollte diese Szene eigentlich ganz ohne Musik belassen, ganz roh. Aber bevor sie an die Klamotten geht, geht sie noch ins Internet und sucht Fotos von Kyra und den Klamotten, die sie einkaufen soll, sie macht ihren Job. Und dann dachte ich, wenn diese Website geöffnet wird, dann sollte irgendeine Musik anfangen – und warum nicht Marlene Dietrich? Wir haben es probiert und gemerkt, das funktioniert, ich habe immer größere Teile aus dem Lied benutzt, und am Ende war das ganze Lied gar nicht lang genug für die Szene. Warum es also nicht gleich zweimal benutzen? So kam ich dann drauf, dass man es erst ganz leise hört und es dann nochmal wirklich explodieren lässt. Das war also ein sehr langer Prozess.

Vorhin haben Sie etwas über ein gescheitertes Projekt angedeutet, wissen Sie schon, wie es weitergeht?

Ja, wir versuchen gerade, dieses Projekt zu retten, aber wenn das klappt, dann muss es sofort passieren, ich weiß also nicht, ob ich vielleicht in zwei Wochen schon in Toronto bin und diesen Film vorbereite. Oder ob ich an meinem Schreibtisch sitze und ein neues Drehbuch schreibe.

Am Ende also eher keine Geister-Trilogie?

Naja, vielleicht. Oder eine Kristen-Stewart-Trilogie, wer weiß ...

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