Zwischen uns der Fluss – Kritik

Umweltaktivistin leistet Sozialstunden bei traumatisierter Studentin, oder: Zwei große Schweigerinnen lernen sich kennen. Michael Kliers Zwischen uns der Fluss ist ein kontemplativer Film flüchtiger Eindrücke, doch dahinter linst manchmal das Klischee hervor.

Alice (Lena Urzendowsky) stemmt Cam (Kotti Yun) aus ihrem Rollstuhl und möchte ihr in einen Stuhl helfen. Ihr Körper gleitet ihr aber durch die Arme. Nach mehreren unbeholfenen Versuchen, sie vom Boden wieder in den Rollstuhl zu hieven, steht Cam, die bis soeben ihre Beine scheinbar nicht gebrauchen konnte, plötzlich auf und geht missgelaunt weg. Später: Eine Therapeutin (Laura Tonke) ruft der gehenden Alice noch etwas nach. Die dreht sich sogleich um – reagiert aber nur sehr verhalten. Eigentlich gar nicht, denn nach dem Schnitt, so wird einem langsam klar, befindet sie sich bereits zu Hause und nicht mehr in der Klinik. Ob Stunden oder Tage später, ist nur zu erahnen. Zwischen uns der Fluss ist gerade zu Beginn ein Film von ersten Eindrücken, die sich als falsch offenbaren.

Andeutungen und knappe Eindrücke

Cam ist vietnamstämmige Studentin und Schauspielerin, die nach einem traumatischen Erlebnis nicht mehr spricht und – bis zu besagtem Vorfall – nicht mehr läuft. Alice ist ebenfalls Studentin. Sie protestiert gegen die Bebauung der Dresdner Elbwiesen. Genauer ist sie jemand, der sich patzig einigelt, sobald ihrem Inneren zu nahe getreten wird und ihre Eltern angesprochen werden. Ihr Vater ist Architekturprofessor, der die Bebauung antreibt, ihre Mutter Psychologin, und Alice definiert sich über die Ablehnung der beiden. So sehr sperrt sie sie weg, dass sie in der Handlung zwar eine Rolle spielen, im Film selbst aber nie auftauchen.

Zwei große Schweigerinnen lernen sich also kennen, als Alice zwei Monate Sozialstunden leisten muss und zur Betreuerin von Cam wird. Nach einer langsamen, dysfunktionalen Annäherung öffnen sie sich einander zusehends, und vielleicht verlieben sie sich ja auch. Ob und was es für eine Liebe ist, wieso Alice wirklich Sozialstunden ableistet – Cam hat gehört, sie habe einen Polizisten angegriffen, Alice besteht darauf, dass sie sich nur bei einer Demo zur Wehr setzte ­– und eigentlich alles, was über die nackte Oberfläche einiger Eindrücke hinausgeht, bleibt dabei der Interpretation überlassen. Weil die beiden nicht viel über sich preisgeben und bei unvorsichtiger Annäherung sofort dicht machen. Aber auch weil der Film sehr elliptisch ist und gerne nur Andeutungen und knappe Eindrücke liefert.

Geballte Fäuste, die sich zaghaft öffnen

Cams Freund (Vu Dinh) möchte eine Frau und Kinder. Ihr Leben habe er schon ziemlich durchgeplant, sagt sie. Als er sie in der Klinik findet, wird er handgreiflich, weil sie nicht mit ihm nach Hause möchte. Alice’ Freund (Jeremias Meyer) hingegen ist nur anwesend und das auch nur, wenn Alice es zulässt. Sie haben sich kennengelernt, weil er sich zu ihr setzte, als sie allein und traurig war. Über die Jahre ist er einfach an ihrer Seite geblieben, ohne aktiv irgendetwas von ihr zu fordern. In diesen beiden Lebensgefährten finden sich quasi die Ausprägungen des Films selbst.

Auf der einen Seite ist Zwischen uns der Fluss ein kontemplativer Film flüchtiger Eindrücke. Lang und ausgiebig schaut er den Schauspielerinnen ins Gesicht und beobachtet, wie sich diese mimischen geballten Fäuste zaghaft öffnen und weichere Züge bekommen. Er beobachtet sie beim Herumsitzen, beim Sich-nicht-nahe-Sein, obwohl sie einander gegenüberstehen und -sitzen, beim gemeinsamen Laufen. Dresden wird von oben beobachtet, die Elbe per Fähre überquert, eine Klinik oder ein Nobelviertel durchschritten. Oft setzt sich der Film neben seine Figuren und will nichts von ihnen.

Unterstreichen, was von Beginn an klar war

Zugleich ist der Film von Regisseur Michael Klier aber klar durchdefiniert und setzt Stil und Figuren sehr funktionell ein. Und hinter dem Schweigen linst allzu oft das zu erwartende Klischee hervor, das die Eindrücke sofort vermitteln. Die Musik, die warm und anschmiegsam dudelt, sobald das Eis gebrochen ist, die bedeutsamen Aussprachen, das lange Stehenlassen der Einstellungen, in denen geschwiegen wird: Hinter dem wenig originellen ruhigen Film über Leute, die nicht miteinander kommunizieren können, lauert immer wieder der gängige tragische Wohlfühlfilm.

Am deutlichsten ist die simple Ausrichtung der Figuren an Alice. Sie ist ein verzogenes Wohlstandskind, das ohne Probleme drei Monatsmieten an Cam verschenken würde, das nicht damit klarkommt, wenn etwas nicht nach seinem Kopf geht, dessen Privilegiertheit ständig im Bild steht, wenn es sein Fahrrad in die höchsten Höhen schiebt, wo beide Elternteile nebeneinander in Luxusvillen leben. Alles am Film unterstreicht nur immer wieder, was von Beginn an klar war. Cam darf es sogar nochmal für Alice und für uns aussprechen. Ein Schalk, wer Böses dabei denkt, dass Lena Urzendowsky als Umweltaktivistin Alice auch optisch an Greta Thunberg erinnert.

Finale mit schwarzem Bild

Dass Cams asiatisches Aussehen in Dresden Rassismus und Ausgrenzung im Schlepptau führt, das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen, ist auch wenig überraschend. Da sie aber sichtlich als Spiegelbild der Privilegiertheit Alices eingesetzt wird, erhält sie noch am ehesten Freiheit, undefiniert zu sein. Sie ist wenig privilegiert, sieht nicht deutsch aus: Mehr trägt der Film nicht mehr an sie heran und macht sie folglich zur interessantesten Figur.

Das große Finale spielt sich bei schwarzem Bild und unklaren Geräuschen ab. Was geschehen ist, bekommen wir per Brief erklärt. So ist Zwischen uns der Fluss bestenfalls ein sich treiben lassender Film, ein offener, vager, der schweigt, damit wir uns das Schlimmste vorstellen können. Oder ein Film, der Leute in den Klischees von sich selbst festsetzt und ihnen hochemotional nur die Flucht vor sich selbst lässt. Schlimmstenfalls ein Film, der seinen Figuren simple Bedeutungen aufoktroyiert, ohne etwas Interessantes, Überraschendes, Originelles damit anzustellen. Der erklärende Brief beantwortet am Ende die dringendsten Fragen und schwächt die Antworten gleich wieder ab, aber er lässt trotzdem noch viel Raum für uns und für seine Figuren.

Neue Kritiken

Trailer zu „Zwischen uns der Fluss“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.