Zikaden – Kritik

Nichts ist so göttlich wie ein Sommer zu zweit – wäre da nicht die Familie. Ina Weisses Beziehungsdrama Zikaden handelt von der Freundschaft zweier ziemlich ungleicher Frauen und ihrer Suche nach einem Zuhause. Leider geht Weisses Mut zur dramaturgischen Lücke immer wieder auf Kosten der Plausibilität und Dynamik ihres Films.

„Architekt ist der einzige Beruf, bei dem man durch seine eigenen Gedanken gehen kann“, heißt es an einer Stelle in Zikaden. Ein bisschen trifft das natürlich auch auf das Filmemachen zu, nur dass der Bewegungsraum des Films nicht aus Stein oder Holz besteht, sondern aus Bildern, die eine Geschichte erzählen – im besten Fall.

Nach ihrem Dokumentarfilm-Debüt Die Neue Nationalgalerie (2017) und dem Drama Das Vorspiel (2019) (ebenfalls mit Nina Hoss in der Hauptrolle) hat die Schauspielerin und Regisseurin Ina Weisse mit Zikaden erneut einen Spielfilm vorgelegt. Kenner*innen ihres kleinen, aber ambitionierten filmischen Œuvres dürfte einiges darin vertraut vorkommen: fragile Familienkonstellationen, ein Vater-Tochter-Konflikt, das soziale Gefälle zwischen Stadt und Land, und als metaphorische Klammer das erklärte Lieblingsthema der Filmemacherin: die Architektur. Viele der Themen und Motive, die uns in Zikaden begegnen – einschließlich des zitierten Bonmots –, spielten auch schon in Weisses Erstling Der Architekt von 2008 eine Rolle. Auch dort ging es um eine Familie mit einem alternden Patriarchen im Zentrum (dem titelgebenden Architekten, gespielt von Josef Bierbichler), die langsam, wie ein maroder Bauhausbau, in sich zusammensackt.

Ungleiche Lebenskrisen

Diesmal jedoch erzählt Weisse das Familiendrama nicht aus Perspektive des Mannes, sondern aus der Sicht zweier Frauen: Isabell (Nina Hoss) und Anja (Saskia Rosendahl). Isabell ist auf der Suche nach einer Pflegekraft für ihren hochbetagten Vater Rolf (gespielt von Weisses eigenem Vater Rolf D. Weisse), einen renommierten Architekten, der seit einem Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt ist. Nebenbei kümmert sie sich pflichtschuldig um das Landhaus ihrer Eltern, eine imposante Bauhaus-Villa unweit von Berlin, die Isabell am liebsten verkaufen würde. Allein Rolf, der das Haus entworfen hat, sperrt sich hartnäckig gegen diese Idee. Nach einem Streit mit ihrem Partner Philipp (sympathisch schusselig gespielt von Vincent Macaigne) begegnet Isabell eines Tages der geheimnisvollen Anja, die wie sie in einer veritablen Dauerlebenskrise steckt – allerdings unter weit weniger komfortablen materiellen Bedingungen als Isabell. Anja lebt gemeinsam mit ihrer Tochter Greta in einer Siedlung irgendwo im Berliner Umland, wo sie sich mehr schlecht als recht mit prekären Aushilfs-Jobs durchschlägt. Trotz (oder wegen) dieser beträchtlichen sozialen Differenz – und eines Altersunterschieds von immerhin gut zwei Jahrzehnten – entwickelt sich rasch eine Freundschaft zwischen Isabell und Anja.

Zikaden widmet sich dieser Geschichte ohne Hast. Fast betulich pendelt der Film zwischen den Alltagen seiner zwei Hauptfiguren und der Menschen in ihrem Umfeld hin und her, wirft Schlaglichter auf Isabells Beziehungskrisen mit Philipp, der nicht weiß, ob er seine Partnerin verlassen oder ihr Herz neu erobern will, zeigt Anja bei der Arbeit in der Großküche und später im Bowling-Center, wo sie sich vor den Avancen ihres nervigen Chefs (Thorsten Merten) schützen muss, oder folgt der kleinen Greta auf ihren Streifzügen durch die brandenburgische Provinz, auf die ein gleißend heller, von Kamerafrau Judith Kaufmann grandios in Szene gesetzter Jahrhundertsommer drückt. Ein Erzählfluss stellt sich dabei nicht ein. Eher zufällig treffen sich die Wege der Figuren in Zikaden, ohne dass die Handlung dadurch merklich an Tempo gewinnt.

Lieblingslektüre: Krimis

Wichtiger als eine geschmeidige Story ist Weisse die genaue Beobachtung der inneren und äußeren Konflikte ihrer Protagonistinnen. Mit großer Sensibilität erforscht sie die subtilen Verschiebungen in den Kräfteverhältnissen zwischen Anja und Isabell. Dabei gelingen der Regisseurin mitunter Szenen von verblüffender Lebensnähe – etwa, wenn Isabell Anja, kurz nach ihrer ersten Begegnung, im Garten der elterlichen Villa antrifft und Anja sich wenig später in dem Haus so selbstverständlich bewegt, als ginge sie dort täglich ein und aus. Ob sich die beiden Frauen mit dieser plötzlichen Nähe wirklich wohl fühlen, bleibt fraglich. Während Isabell bemüht ist, herzlich und zugewandt zu wirken, überspielt Anja ihre Verunsicherung mit demonstrativer Schnoddrigkeit. Auf Isabells Frage, was sie am liebsten lese, antwortet sie in einer Mischung aus Koketterie und Trotz: Krimis.

Markiert die Szene den Beginn einer Frauenfreundschaft auf Augenhöhe (trotz des Alters- und Klassenunterschieds) oder ist sie der Anfang einer ungleichen emotionalen Notgemeinschaft, bei der am Ende beide verlieren? In seinen stärksten Momenten schafft es Zikaden, Ambivalenzen wie diese eindringlich und präzise ins Bild zu setzen. In den schwächeren wirkt die Unbestimmtheit schnell forciert oder kippt ins Skurrile – woran auch das durchweg starke und engagierte Spiel der beiden Hauptdarstellerinnen Hoss und Rosenldahl nichts ändern kann.

Lücken und Leerformeln

Intensität erfordert Kontext und der fehlt oftmals in Zikaden. So bleibt die erotische Spannung zwischen Anja und Isabell bis zuletzt Behauptung. Als sich die beiden Frauen beim gemeinsamen Dinner im Garten plötzlich näherkommen, fragt man sich unwillkürlich, ob einem ein wichtiges erklärendes Detail in den bisherigen Szenen entgangen ist – so out of character mutet die Annäherung an. Auch der Rahmenkonflikt des Films, die Beziehung zwischen Isabell und ihrem Vater Rolf, läuft seltsam leer und geht kaum über die erwartbaren psychologischen Gemeinplätze hinaus: Einen genialischen Architekten-Vater kann man nur bewundern. Halt und Anerkennung sucht man bei ihm vergebens. Wie verhält sich Isabells romantisch-freundschaftliche Liaison mit Anja zu dieser Tatsache? Was sucht sie bei dieser ihr so fernen und rätselhaften Person? Und was verspricht sich Anja umgekehrt von Isabell?

Zikaden stellt diese Fragen, versäumt es dann jedoch, ihnen mit der gebotenen Konsequenz nachzugehen. Themen werden angeteasert, aber nicht entfaltet. So zerfällt das Drama letztlich in eine Serie isolierter Momentaufnahmen, von denen einige zwar einen kleinen Einblick in den Kosmos Familie und die Dynamiken einer ungleichen Frauenfreundschaft geben. Ein filmischer Raum, durch den man hindurchgehen kann, öffnet sich dadurch jedoch nicht.

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