Zerrissene Umarmungen – Kritik
Mit einem als Thriller getarnten Melodram erzählt Pedro Almodóvar von einem erblindeten Regisseur und seiner auf mysteriöse Weise ums Leben gekommenen Geliebten.

Die kanarische Insel Lanzarote dient in Pedro Almodóvars neuestem Film Zerrissene Umarmungen (Los Abrazos Rotos) als dekorative Hintergrundkulisse, markiert aber auch einen entscheidenden inhaltlichen Wendepunkt: Bei einem Autounfall verliert der Regisseur Mateo (Lluís Homar) sowohl sein Augenlicht als auch seine Geliebte und zerstört daraufhin seine alte Identität. Auf diesen symbolischen Tod folgt seine Wiedergeburt als Drehbuchautor Harry Caine.
Der Film beginnt in der Gegenwart und zeigt Caine bei der Arbeit in seinem Heimbüro, wo ihn die Produzentin Judit (Blanca Portillo) und ihr Sohn Diego (Tamar Novas) umsorgen. Eine Zeitungsmeldung über den Tod des Industriellen Ernesto Martel (José Luis Gómez) und der Besuch des undurchsichtigen Regisseurs Ray X (Rubén Ochandiano) führen Caine zurück in die Vergangenheit, bis zu einer fünfzehn Jahre früher angesiedelten Handlung um die aufopferungsvolle Sekretärin Lena (Penélope Cruz).

Almodóvar erzählt in Zerrissene Umarmungen eine verschachtelte und gewohnt emotionale Geschichte über Liebe, Eifersucht und eine gestörte Vater-Sohn-Beziehung. Zugleich ist der Film auch von der Liebe seines Regisseurs zum Kino geprägt: An mehreren Stellen werden Motive aus der Handlung mit filmischen Referenzen verdoppelt: Mateo und Lena, der Star seines Films Frauen und Koffer, sehen sich etwa Roberto Rossellinis Reise in Italien (Viaggio in Italia, 1954) an, der ebenfalls das Zeugnis einer künstlerisch fruchtbaren Liaison zwischen einem Regisseur und seiner Hauptdarstellerin ist. An anderer Stelle bezeichnet Mateo den voyeuristischen, stets mit einer Videokamera bewaffneten Sohn Ernestos als Peeping Tom (1960).
Mit Almodóvars vorletztem Film, Schlechte Erziehung (La Mala Educación, 2004), verbindet Zerrissene Umarmungen nicht nur sein Genre-Mix aus Melodram und Thriller, sondern auch ein Film-im-Film, der eine zentrale Stellung in der Handlung einnimmt. Während dieser Film in Schlechte Erziehung jedoch die Funktion hatte, die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit zu verwischen, grenzt sich Frauen und Koffer mit seiner grellen Ästhetik deutlich von der restlichen Inszenierung ab. Er wirkt wie eine Parodie auf Almodóvars frühere Komödien und sorgt mit einem Gastauftritt seiner ehemaligen Muse Rossy de Palma für einige witzige Momente.

Der Kontrast zwischen Film und Film-im-Film verdeutlich noch einmal, welche künstlerische Entwicklung Almodóvar in den letzten zwanzig Jahren durchgemacht hat. Sein Umgang mit dem Melodram ist routinierter und ernsthafter geworden, seinen prägnanten, vor allem visuellen Stil hat er mittlerweile perfektioniert. Auch Zerrissene Umarmungen glänzt wieder mit bis ins kleinste Detail abgestimmter Ausstattung und Kostümen in gesättigten Farben sowie fast malerischen Bildkompositionen. Eine nächtliche Kamerafahrt über eine Küstenstraße wird etwa zu einem abstrakten Spiel weißer Linien auf schwarzem Grund. Szenen wie diese machen den Film zu einem besonderen ästhetischen Erlebnis. Vorwerfen kann man Almodóvar, wie auch bei seinen letzten Filmen, lediglich, dass das anarchistische Potenzial früherer Tage geglättet wurde.

Allerdings ist es nicht die technische Perfektion, die Zerrissene Umarmungen lediglich zu einem soliden Almodóvar-Film macht. Vielmehr hat sich der Regisseur etwas mit seiner komplexen Erzählweise verhoben. Eine geradezu gigantische Rückblende, die fast die Hälfte des Films einnimmt, wirkt durch ihre Länge und inhaltliche Geschlossenheit selbst schon wie ein eigener Film. Diese ungleichmäßige Struktur raubt der Handlung schließlich ein wenig die Dynamik. Mehrmals versucht Almodóvar durch kurze Unterbrechungen der Rückblende den Kontakt zur Rahmenhandlung nicht vollends zu verlieren. Hat man sich jedoch einmal auf die tragische Liebesgeschichte zwischen Mateo und Lena in ihrer ganzen Ausführlichkeit eingelassen, wirkt die Rückkehr in die Gegenwart am Ende des Films so, als müssten noch möglichst schnell alle offenstehenden Fragen beantwortet werden. Wegen dieser dramaturgischen Schwäche schafft es Zerrissene Umarmungen dann auch nicht, mehr zu sein als gutes Handwerk.
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Kommentare
Nick
Dieser Film ist Naivität pur, die an vielen Stellen in Kitsch mündet. Die Intention des Filmregisseurs ist rigoros und benebelt, wobei Szenenübergänge abrupt - mit vielen erahnenden Wiederholungen – geschnitten werden. Daraus resultiert eine sehr schwache Sujet-Linie - ohne Dynamik, ohne Akzente. Der Hauptdarsteller überzeugt weder durch seine künstlerische Fähigkeiten noch durch sein charismatisches und sympathisches Auftreten, zudem ist er für die Rolle einfach zu alt. Penelope ist auch nicht gelungen, sich in die Rolle einzuleben. Insgesamt war ich enttäuscht. Note "unbestanden" in vielen Aspekten.
theaterwolf
Neues vom Altmeister
Eine Erfahrung der anderen Art - auf einmal erscheint sämtliches sonstiges Kino belanglos.
Almodovar zeigt, dass er die Kunst des Filmemachens perfektioniert hat und sich trotz der Vielzahl der Werke eine unglaubliche Frische der Ideen bewahrt hat.
Die Besetzung ist hundertprozentig passend, der Rhythmus der Erzählung in Gegenwart und Vergangenheit leichtfüßig und doch kraftvoll und ideenreich. Mit den Möglichkeiten des Kinos spielt Almodovar wie ein Kind.
Film- und Theaterinteressierte werden sich an zahlreichen Referenzen delektieren. Der Film im Film am Ende ist so verblüffend, dass man einen Moment lang den Faden verlieren kann. Das Sahnehäubchen ist die exzellente Musik, die sich perfekt in das Bild einfügt.
Unbedingt ansehen !
Jan
Einer jeden Enttäuschung geht eine Liebe voraus - so auch in diesem Fall. Sicher ein sehr guter Film, allein - Pedro hat in den letzten Jahren zu viele sehr viel bessere abgeliefert!
3 Kommentare