Zeit der Kannibalen – Kritik

Johannes Naber sucht nach passenden filmischen Tönen für den globalen Kapitalismus – und findet keinen. Dem Film tut das gut.

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Diesen Herren wird ihre Selbstherrlichkeit noch ausgetrieben werden, das ist sofort klar. Durch arme Länder reisende Unternehmensberater in diesen Zeiten, das taugt nun wahrlich nicht für wackeres Heldentum, das lädt nicht ein zu Empathie und Identifikation. Leicht also für einen Film, zu diesen zynischen, arroganten, rassistischen Vertretern (im doppelten Wortsinne) des globalisierten Kapitalismus auf Distanz zu gehen, ihr Lächeln zu verlachen, ihre Sicherheiten zu erschüttern. Doch diese Distanz ist hier glücklicherweise keine besserwisserischere. Johannes Nabers zweiter Spielfilm ist ein Werk des Unbehagens, weil er nicht bloß das kalkulierte Versprechen einer schwarzen Komödie einlöst, sondern uns Haltungen abverlangt, zu etwas, das kaum noch klare Haltungen ermöglicht. Zeit der Kannibalen durchkreuzt immer wieder unseren Genuss an ihm. Seine Distanz ist – anders als die der beiden Herren im Anzug – eben keine zynische, sondern eine fragende.

Was sind das nur für Menschen?

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Öllers (Devid Striesow) und Niederländer (Sebastian Blomberg) sind sich ihrer Haltung dagegen sicher. Sie verschaffen ihren Kunden das jeweils angesagte Mittel, um die Konkurrenz zu ficken, und zivilisieren durch die Verbreitung von Kapitalismus nebenbei barbarische Länder mit unschönen Traditionen. So sagen sie das, recht unverblümt. Die beiden mögen dabei lächerlich oder eklig wirken, aber sie sind nicht ideologisch verblendet, auch nicht gierig und gedankenlos, sie sind höchst zufrieden und reflektiert. Sie sind Teil eines Milieus, das nicht einfach aus fiesen Menschen besteht, die es nicht geschnallt haben und zur Räson gebracht werden müssen, sondern das eine konkrete Subjektivität mitsamt ihren Rationalisierungen ausgebildet hat. In seiner Absage an die Denunziationslogik vermeintlich systemkritischer Filme ist Nabers Werk gar nicht weit entfernt von Scorseses The Wolf of Wall Street (2013). Öllers und Niederländer sind noch als Protagonisten in einer Farce eigentümlich souverän. Wir können sie belächeln, wir können den Kopf schütteln, wir können ihnen den Teufel an den Hals wünschen und auf den Sieg des Kinos über ihre Arroganz hoffen. Nur haben sie ja längst gesiegt.

Lecken als Entwicklungshilfe

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Moralisierungen laufen jedenfalls ins Leere. Für sie ist Bianca (Katharina Schüttler) zuständig, die das eingespielte Zweierteam bald erweitert und den Film nochmals in Richtung dialogstarkes Kammerspiel treibt. Sie behauptet Interesse fürs große Ganze, Einsatz für den Planeten, mahnt zur Toleranz gegenüber anderen Kulturen, die für ihre Kollegen nur verachtenswerte Reste noch nicht kapitalisierter Gesellschaften sind. Als ihr dämmert, dass es zwischen Öllers und einer nigerianischen Hotelangestellten zum Äußersten kam, gerät sie völlig aus der Fassung: Sexuelle Ausbeutung sei das, klagt sie an. Öllers hat für Biancas „Moralimperialismus“ nichts übrig, schließlich habe er die junge Dame sehr ausführlich oral befriedigt, was „hier“ ja gar nicht üblich sei. Der Hotel-Quickie als Entwicklungshilfe im Dienste der Frauenbefreiung. Dialoge dieser Art sind nicht immun gegen reaktionäre Aneignungen durch Tabubruch-Lacher (siehe Stromberg), doch sie treffen eben auch zentrale Aporien unserer Zeit. Der sich überlegen fühlende Ausbeuter und Entwickler Öllers, die tolerante Bianca, die nur helfen und die armen Menschen über ihren Opferstatus aufklären will, sie arbeiten für dieselbe Firma.

Schauplatz ohne Ort

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Konsequent also, dass die bereisten Länder und ihre Kulturen nur im klischeeverzerrten Spiegel der deutschen Protagonisten und ihrer aus den regionalen Eliten rekrutierten Geschäftspartner auftreten können. Die konkrete Welt da draußen – ob in Indien oder Nigeria – sieht schließlich eh überall gleich aus. Zeit der Kannibalen verzichtet auf konkrete Verortung abseits des Nicht-Orts Hotel, im Hintergrund der Zimmer sehen wir stets nur eine Pappmaché-Abstraktion aus Wolkenkratzern und Smog. Dass der Film komplett im Studio gedreht wurde, ist konsequente Methode für die globalisierte Raumerfahrung. Nicht mehr die Ufer der Weltmeere, nicht mehr staatliche Grenzen, sondern der quer durch die Dimensionen der Erde geschlagene Flugzeug-Hotel-Tunnel der Unternehmensberater bildet ein Setting, das auf konkrete Räumlichkeit nicht mehr angewiesen ist. Das Studio entspricht diesem Setting ziemlich genau, hier wie dort wird aus der Ferne eine Realität konstruiert, auf deren konkrete Präsenz man verzichten kann und will. Zugleich verweigert sich Naber damit auch auf filmischer Ebene den moralisierenden Anklagen. Öllers und Niederländer in sozialrealistischer Manier ein Elend vorzuhalten, das sie ja nicht mal leugnen, wäre schließlich absurd. Die Unternehmensberater verdrängen die Welt da draußen nicht in einem psychologischen Sinne, sondern in einem ganz banalen: Fenster zu, Türen zu. Ihre Entwicklung kann nicht auf eine Erkenntnis hinauslaufen.

Empört euch?

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Die Qualität des Films ist nicht zuletzt dem Roman- und Hörspielautor Stefan Weigl zu verdanken, der für das Drehbuch verantwortlich zeichnet. Denn es sind vor allem die Dialoge, mit denen sich Zeit der Kannibalen offensiv und ohne Rücksicht auf Verluste in die Verstrickungen unserer Zeit hineinwickelt und für ein im deutschen Kino eher seltenes Gefühl sorgt: herausgefordert zu werden. Die einzige Haltung nämlich, die der Film nun wirklich nicht anregt, ist Empörung. Seine Distanz überträgt vielmehr die zunehmende Unmöglichkeit widerspruchsfreier politischer Positionen globalen Maßstabs auf die filmische Erfahrung. Der Film oszilliert zwischen simpler schwarzer Komödie, punktueller Gegenwartsanalyse und buñuelistischer Auto-Dekonstruktion. Dass er in keinem dieser Modi dabei wirklich zu sich kommt, kann man ihm vorwerfen, wenn man denn möchte: nicht lustig genug, nicht genau genug, nicht bizarr genug. Aber die notwendig merkwürdige Erfahrung dieses Films ist zugleich eine äußerst merk-würdige: Sie entspringt vielleicht weniger einer Verfehlung, die man hätte vermeiden können, als dem schon im Ansatz angelegten sperrigen Verhältnis zwischen Film und Sujet: Uns kommen die Möglichkeiten abhanden, uns sicheren Halt zu verschaffen im Wust unserer Zeit, uns überzeugte Haltungen zu verschaffen angesichts sich aufdrängender politischer Fragen. Das empört-gelähmte Verhältnis zum Kapitalismus überträgt sich in grandios scheiternden Versuchen, ihm filmisch auf den Grund zu gehen. Absurde Farce, spezifische Rationalität, selbstgerechte Managerklasse, zynischer Darwinismus, all das ist richtige Diagnose, nichts davon verweist auf eine mögliche Therapie.

So bleibt Zeit der Kannibalen am Ende nichts anderes, als selbst zu eskalieren. Würde er das nicht tun, müsste sein Unbehagen in behaglicher Kohärenz sich auflösen. Dann würde er die Arroganz seiner Protagonisten übernehmen, ihren Zynismus verinnerlichen, nur sich selbst feiern. Doch Naber geleitet seine Protagonisten nicht aus Up in the Air (2009) auf den Boden ethischer Erkenntnis. Am Ende wartet nicht die Einsicht in die Falschheit der eigenen Welt, sondern der Einbruch einer anderen. Hier gibt es keine Läuterung, sondern das Bild selbst beginnt zu wackeln, sodass Öllers es kaum schafft sich anzuziehen.


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