Your Name. Gestern, heute und für immer – Kritik
Zwei Teenager tauschen Körper, Geschlecht und Identität und träumen das Leben des anderen. Bis ein Komet einschlägt und den Traum beendet. Doch im Kosmos von Your Name kann schon ein Haarband zwei getrennte Universen wieder verbinden.

Ich bin Mitsuha. Ich wohne in einer Kleinstadt namens Itomori. Mein Vater ist der Bürgermeister von diesem Kaff, in dem nur alle zwei Stunden ein Zug hält, der Supermarkt um neun Uhr schließt und es weder ein Café noch eine Bücherei gibt. Nichts gibt es hier, nichts passiert hier, nichts verändert sich. Alles hier ist langweilige Idylle. Die aufregendsten Geschichten sind Großmutters Erzählungen über Shinto-Gottheiten, die sie uns bei der Kumihimo-Flechtkunst erzählt, und Tessies Gefasel von der Viele-Welten-Theorie. Es ist so langweilig hier, dass ein Komet am Himmel das einzige Highlight ist, auf das man sich freuen kann. Ich will hier raus. Ich will jemand anders sein. Jemand wie du.

Du bist Taki. Dein Leben macht mich neugierig. Du lebst in Tokio. Hier gibt es Pancakes, Torten und Eis; es gibt Konzerte, Kinos und Cafés. Du kannst ausgehen, wann du willst, und hast sogar einen Job als Kellner, für den du quer durch Tokio fährst. Ich wünschte, ich hätte dieses Leben. Dann schlafe ich ein, und wir tauschen unsere Körper.

Ich wache in deinem T-Shirt auf, du in meinem Kimono. Ich ertaste dein Gesicht, du meine Brüste. Du sprichst mit meinem Dialekt, ich nähe mit deinen Händen. Wir experimentieren im Körper des anderen. Nicht böswillig, sondern neugierig. Wir sind eine Bereicherung füreinander. Wir suchen nicht unsere Gegensätze. Wir fließen ineinander. Wir träumen das Leben des anderen. Unser Geschlecht, unser Leben, unsere Identität: Alles scheint miteinander verflochten. Wir versuchen das seltsame Geflecht unserer Sehnsüchte, Träumereien, Ängste und Pflichten füreinander zu entwirren. Wir erzählen es uns, indem wir Nachrichten in das Smartphone des anderen tippen. Wir schreiben unsere Namen auf den Arm des anderen. Mitsuha und Taki. Wir gewöhnen uns aneinander. Dann reißt unser Band.

Der Einschlag eines Meteoriten trennt Mitsuha und Taki. Splitter eines Kometen, dessen Schweif den Himmel über Itomori durchzieht, fallen auf die Erde, zerstören Mitsuhas Heimatdorf. Sie verschwindet aus Takis Leben. Mit ihr scheint auch ein Teil seiner Identität zu verschwinden. Wie ein Traum, der plötzlich endet, beim Aufwachen schon aus der Erinnerung verschwunden scheint und einen dennoch als diffuses Gefühl in den Tag begleitet. Doch im Kosmos von Your Name ist der Tod ebenso uneindeutig wie der Körpertausch. Wie die Katze in Schrödingers Experiment ist Mitsuha tot und lebendig zugleich: halb verschoben in eine Zeitebene, in der noch kein Komet auf Itomori gefallen ist, halb verschollen in der Gegenwart.

Makoto Shinkai verwebt im zweiten Teil des Films nicht nur die Identitäten zweier Teenager miteinander. Your Name wächst zu einem Geflecht, das die Konzepte von Zeit und Raum aus Physik und traditioneller Religion miteinander verknotet. Schrödingers Paradox trifft die Kami des Shintoismus. Schon konzeptionell verlangt der Film damit eine enorme formale Flexibilität. Shinkais Animationen halten die aufblühende Mischung aus Science-Fiction und magischem Realismus zusammen und geben ihr in atmosphärischen Zwischenbildern den nötigen Raum, sich zu entfalten. Gleichzeitig ist die Animation immer eine unmittelbar bildliche Verbindung zwischen den Figuren, den Identitäten, den Orten und der Zeit. Ein Splitscreen vereint die einzelnen Spiegelbilder der beiden Teenager zu einem gemeinsamen, eine lange Zugfahrt bringt die Großstadt und die Provinz zusammen, eine einfache Abenddämmerung lässt zwei Zeitebenen zusammenfließen, und ein simples Haarband verbindet das längst durch zwei Universen getrennte Paar. Ihre Liebe ist die einzige Konstante im Strudel aus Multiversum, Identität und Traum. Sie ist die Orientierungslinie, die nur zwei Koordinaten braucht. Zwei Namen. Unsere Namen. Mitsuha und Taki.
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