Yes – Kritik

Ohne Zunge keine Speichellecker. In Nadav Lapids Yes manövriert sich ein power couple, das das Ja-Sagen zum Geschäftsmodell erhoben hat, durch die kriegsbesoffene israelische Oberschicht.

Wie gekonnt eine Satire die bestehenden Verhältnisse kritisiert, bemisst sich gemeinhin daran, wie bissig sie ist. Zahnlosigkeit gilt es in dieser Gattung tunlichst zu vermeiden. Dass Nadav Lapid seinen fünften Spielfilm Yes als Satire verstanden wissen will, wird bereits in der ersten Szene deutlich, in der ein aufgeschlagener Ausstellungskatalog den Blick auf George Grosz‘ neusachliches Gemälde Stützen der Gesellschaft (1926) freigibt. Grosz karikiert darin die moralische Verkommenheit der Weimarer Führungselite und warnt vor dem Abdriften in Militarismus, Nationalismus und Faschismus. Um nichts anderes geht es Lapid, wenn er anstelle der „Demokratie ohne Demokraten“ die angeblich „einzige Demokratie im Nahen Osten“ zur Zielscheibe der Kritik erklärt.

Lapids Verhältnis zu seinem Heimatland Israel ist distanziert, mittlerweile lebt er in Paris. Sein Verhältnis zum Exzess ist inniger. Wie entfesselt tanzen Y. (Ariel Bronz) und Yasmin (Efrat Dor) in der Eröffnungssequenz zu La Bouches Eurodance-Nummer Be My Lover durch eine protzige Poolparty in Tel Aviv. Die Gäste, tendenziell jenseits der sechzig, genießen das orgiastische Treiben und sehen in ihren Anzügen, Abendkleidern und Uniformen wichtig und wohlhabend aus. Nicht auszuschließen, dass die ein oder andere Stütze der Gesellschaft unter ihnen ist. Auftritte wie diese gehören für Y. und Yasmin, ein veritables power couple, zur Tagesordnung, sie sind gewissermaßen ihr Geschäftsmodell. Sie ist Tänzerin, er bezeichnet sich als Jazz-Pianist. Als karnevaleskes Bespaßungsduo der dekadenten oberen 1% erinnern sie jedoch eher an obrigkeitshörige Hofnarren mit Prostitutionsoption. Für einen Zuverdienst lassen sie sich nach der Party in die Villa einer superreichen Seniorin abschleppen, der sie auf Zuruf ihre Zungen tief in die Ohren stecken.

Akrobatische Einlagen

In einer späteren Szene werden genüsslich Stiefel geleckt; ohnehin ist die Zunge in Yes das wichtigste Organ, weil es für die obszöne Unterwerfung steht, der sich Y. und Yasmin verschrieben haben. Als Instrument der Satire ist die Zunge in Yes mindestens so unverzichtbar wie die für den Biss zuständigen Zähne. Bissig ist der Film schon allein seiner Entstehungsumstände wegen. Die Frage nach dem individuellen Handlungsspielraum der Kunst in einer sich radikalisierenden Gesellschaft hat Lapid schon in Aheds Knie (2021) interessiert; Yes geht in eine ähnliche Richtung und fühlt sich doch ganz anders an. Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober und dem folgenden israelischen Rachefeldzug gegen Gaza stellt sich diese Frage nicht weniger dringlich, jedoch mit anderer Schärfe und Komplexität.

Der universelle und vielleicht zeitlose (vgl. Grosz) Gehalt seines Ansinnens, auf dem Lapid in Interviews zurecht beharrt (schließlich ist der Rechtsruck keineswegs ein rein israelisches Phänomen), lässt sich nach dem 7. Oktober kaum mehr von der schieren Gegenwart dieses konkreten Konflikts trennen. In dieser chaotischen Situation einen Film zu drehen, der ebenjenes Chaos thematisiert und ästhetisch durcharbeitet, ist das Wagnis, das Yes eingeht. Insbesondere die Kamera vollführt akrobatische Einlagen (und zwar noch irrsinnigere als in den früheren Filmen), sie steht Kopf, zappelt erratisch hin und her, taumelt orientierungslos an den postmodernen Fassaden Tel Avivs entlang. Lapid findet keine Bilder für eine hoffnungslos überfordernde Gemengelage – doch indem er die schwindelerregende Suchbewegung nicht abreißen lässt, kommt er ihr sehr nahe.

Satirische Überhöhung erübrigt sich

Noah, der gemeinsame Sohn von Y. und Yasmin, geboren ausgerechnet am 8. Oktober, verkörpert das Problem des Nach- und Weiterlebens in Folge, beziehungsweise im Angesicht des Grauens. „Das gute Leben“: So zynisch überschreibt Lapid das rasante erste Kapitel von Yes, das im Wesentlichen Y. und Yasmin durch die hurrapatriotischen Gelage der israelischen Elite folgt, Ketchup-Song-Morgenroutine und junges Familienglück inklusive. Der Unabhängigkeitstag wird zunächst auf einem geschwind aus dem Erdboden gezogenen Hochhaus begangen, später auf eine Triangle of Sadness-Gedächtnis-Yacht verlagert, von der man bei guter Sicht angeblich die Bombardierung Beiruts beobachten kann. Auf der idyllischen Parkbank am Spielplatz ploppt plötzlich eine Eilmeldung mit neuen Opferzahlen aus Gaza auf Y.s Handy; die Tonspur schwillt mit Menschengeschrei an, aber nur für einen Moment. Eine Eilmeldung lässt sich ausblenden, das schlechte Gewissen wegkoksen. Wer den Lärm der Welt nicht ertragen kann, dreht die Musik auf oder steckt sich halt wieder gegenseitig die Zungen in den Gehörgang.

Beim Fahrradfahren am Strand von Tel Aviv verrät Y. seinem Sohn den Schlüssel zum guten Leben: Unterwerfung. In einer Welt ohne Graustufen, die nur Ja und Nein kennt, hat Y. sich für das Ja entschieden. Wie seine Antwort lautet, als er von einem russischen Oligarchen (Alexey Serebryakov) das Angebot erhält, die Musik für eine neue Nationalhymne zu komponieren, sollte daher klar sein. Den Text dafür gibt es schon, er handelt von der vollständigen Auslöschung palästinensischen Lebens und entwirft das Selbstverständnis eines siegreichen Groß-Israels from the river to the sea. Den Text hat sich Lapid nicht ausgedacht, sondern schlicht aus der Realität übernommen: Im November 2023 verbreitete u.a. der Staatssender Kan News ein von der aktivistischen Gruppe „The Civil Front“ produziertes Propaganda-Video, in dem ein Kinderchor die Vernichtung Gazas besingt, um die Truppenmoral zu stärken. Satirische Überhöhung erübrigt sich da. (Auf eine Art zitiert Lapid hier nebenbei eine Szene aus seinem Berlinale-Gewinner Synonymes (2019), in der Tom Mercier blutrünstige Passagen aus der Marseillaise durch die Französischklasse brüllt.)

Doppelte Triebabfuhr

Während Y. in dem Auftrag die Chance sieht, endlich in die Riege derjenigen aufzusteigen, denen er bislang die Stiefel geleckt hat, ist Yasmins moralischer Kompass noch ansatzweise intakt. Sie will das Land am liebsten verlassen, Noah soll unbeschwert aufwachsen. Im zweiten Teil des Films („Der Pfad“) trennen sich ihre Wege vorübergehend: Y. verlässt Tel Aviv Richtung Süden, um seine Ex-Freundin Leah (Naama Preis) zu besuchen, die mittlerweile als Social-Media-Propagandistin für die IDF arbeitet. Sie hat die filmisch dokumentierten Gräueltaten der Hamas aufgelistet und in mehrere Sprachen übersetzt. In der wohl unerträglichsten Szene eines insgesamt nur schwer erträglichen Films trägt sie die Liste minutenlang vor, bis ihr die Tränen kommen und die Kamera zu zittern beginnt. Die Wucht dieser Szene liegt im Verhältnis der Worte zu den Bildern begründet. Es ist ein äußerst komplexes Verhältnis, wie die Anschlussszene zeigt: Völlig verstört und verzweifelt steigt Y. auf den „Hügel der Liebe“, ein bei manchen Israelis beliebter Picknick-Hotspot mit Panoramablick auf die Bombardierung von Gaza-Stadt (auch das bedarf keiner satirischen Überhöhung). Von dort schmettert Y. die genozidale Hymne in die Landschaft hinunter. Danach Zungenkuss mit Leah. Doppelte Triebabfuhr. Leahs Zeugnis des einen Verbrechens wird im nächsten Moment zur Legitimation eines anderen.

Was der Text für die Menschen in Gaza einfordert, vollzieht sich bereits vor Y.s (und unseren) Augen: Die dunklen Rauchschwaden und fernen Detonationen sind keine Spezialeffekte, sondern dokumentierte Realität. Indem die Kamera beharrlich auf die Zerstörungen in der (tatsächlich sehr nahen) Ferne hält, ohne dass man irgendetwas erkennt, macht Lapid deutlich, dass er von Gaza keine Bilder liefern kann. Insofern ist Yes streng genommen kein pro-palästinensischer Film (viel eher markiert die palästinensische Position eine programmatische Leerstelle), aber sehr wohl ein anti-israelischer. Als nicht ins Bild zu setzende Hölle verbleibt Gaza im filmischen Off und wird doch unablässig evoziert, durch den Abgleich der „Bilder im Kopf“. Das ist nicht weit entfernt von Jonathan Glazers Ethik der (Nicht-)Repräsentation in The Zone of Interest (2023) – jedenfalls zieht die Erzählstimme in Yes den Vergleich zum „normalen“ Leben inmitten der NS-Vernichtungsgewalt an einer Stelle sehr direkt.

Jenseits von Gut und Böse

Es ist nur konsequent (falls man einem permanent in alle Richtungen ausschlagenden Film überhaupt Konsequenz unterstellen kann), dass Yes im abschließenden dritten Kapitel („Die Nacht“) zunächst in einem leeren Amphitheater und schließlich auf einer dunklen Straße im zypriotischen Nirgendwo endet. Die in der Dreiteilung nur angetäuschte Dialektik führt buchstäblich in die Leere; Yes schlägt gerade in der ersten Hälfte einige Kapriolen, reiht Antithese um Antithese um Antithese aneinander, ohne dass dabei irgendetwas Sinnstiftendes oder gar Versöhnliches herauskommt. Die äußerst gewagte, stilistisch jenseits von Gut und Böse operierende Gegenwartsemphase, aus der die bei Lapid schon immer spürbare Wut förmlich herausquillt, ist zwischenzeitlich zwar ähnlich enervierend wie etwa in Radu Judes jüngeren Arbeiten, verleiht Yes aber eine unbedingte Dringlichkeit, die andere Filme gern behaupten, aber kaum je einlösen.

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