X – Kritik

Ti West schickt eine Gruppe ambitionierter Low-Budget-Pornomacher für einen Dreh in ein texanisches Hinterland, das verdächtig nach dem Land der Kettensägen aussieht. X vereint gleich zwei sensationalistische Genres, geht so richtig in die Vollen aber nur beim Horror.

Der Genre-Auteur Ti West (*1980) bedient sich für sein Kino gern der Vergangenheit. Sein okkultistischer Slasher The House of the Devil (2009) begann mit Retrosounds, zu denen gelb geschwungenen Opening Credits ins Bild flogen. Sie schwebten über eingefrorenen Filmbildern, denen man sogleich die analoge Filmkörnung ansehen sollte. Auch der darauffolgende, gemächlich auf seine Eskalation zusteuernde Plot legte viel Wert darauf, aus dem historischen Flair, etwa aus der Abwesenheit von Handys und nützlicher Googlesuche, seine Spannungsmomente zu ziehen (gruselig z.B.: unvermittelt klingelnde Telefonzellen). Andererseits ging es West wohl auch hier schon um eine vergangene, heute nur noch bedingt einzuholende Schönheit: Discopop aus dem Walkman, Greta Gerwigs wasserstoffblonde Fönfrisur, ein vermeintlich verschlafenes Suburbia, wie man es aus den filmischen 1970ern und 1980ern kennt.

Zurück im Geschäft

Das Retroprinzip geht dann in Wests Filmografie mit ein paar Verschiebungen so weiter. Im Folgefilm The Inkeepers (2012), dessen Spukhaus-Setting im Stile von John Carpenters klassizistischem Erzählkino in aller Ruhe und mit filigraner Mise-en-scène etabliert wird, ist zwar die Jetztzeit angesagt, aber auch diese atmet letztlich den Geist des Vergangenen: Zwei Slacker-Charaktere erweisen einem altehrwürdigen, in Kürze für immer seine Pforten schließenden Hotel – ein Monument des Gothic-Horror-Viktorianismus – mit ihren Aushilfsjobs an der Rezeption die letzte Ehre. Doch dann stoßen sie, hier nun wiederum mit allen möglichen neueren Techniken ausgestattet, auf den grimmigen Hausgeist, den das gar nicht beeindruckt.

Im Anschluss hat West dann den Fehler gemacht, weiter in der (Film-)Geschichte zurückzugehen und einen Western zu drehen: In the Valley of Violence (2016), mit Ethan Hawke und John Travolta; entspannt erzählt, aber nur halb gelungen. Heutzutage ist dieses Genre ja in der Regel Kassengift und so kam’s dann auch hier. Umso schöner, dass sich West nun nach mehreren Jahren mit seinem Film X (nun mit erfolgsverwöhntem Distributor A24) zurückmeldet – und an sein persönlichen Retro-Kino, speziell an das von The House of the Devil, anknüpft.

Liebe zu Filmen

Der Plot von X springt also wieder in der Zeit zurück, nämlich ins Jahr 1979. Das macht uns eine Einblendung am Anfang deutlich, die von einem Stars-and-Stripes-Muster ausgefüllt ist. Wir sind in Texas City, Texas. Eine herumwuselnde Gruppe von Männern und Frauen steigt auf dem Parkplatz vor einer Toplessbar in den VW-Bus und nimmt die Landstraße in Richtung Einöde. Auf dem Weg dorthin gibt es für sie einen ersten Vorgeschmack, was in puncto Gewalt später noch auf sie zukommen könnte: eine von einem Truck gerammte, ihre Eingeweide ausbreitende Kuh, samt Polizeiwagen und Absperrungen. Ihr Bus fährt durch den bluttriefenden Asphalt, und zieht eine Spur hinter sich her.

Texanische Steppe, sengende Hitze, eine Landpartie, ein Zwischenfall, der nichts Gutes verheißt: Es ist kein Zufall, dass man hier an Tobe Hoopers Backwood-Horror-Klassiker The Texas Chainsaw Massacre (1976) denkt – ein Film, der auch in diesem Jahr ein von Netflix produziertes, erstaunlich rabiates Sequel bekam. Während der schlicht The Texas Chainsaw Massacre (2022) betitelte Film die 70er-Atmosphäre und Südstaatenikonografie des Originals als einen Rahmen nutzt, um dann eine zeitgenössische und dabei ganz schön auf den Kopf gefallene (aber auch irgendwie sympathisch irrsinnige) Persiflage auf die Landflucht von Silicon-Valley-Yuppies zu erzählen, taucht X ohne Störmomente in sein historisches Setting ein, will uns ins Damals hineinstellen. Seine Form der Aktualisierung ist eher eine der Genre-Cleverness: X möchte einem nicht „bloß“ gradlinige Genre-Unterhaltung bieten, sondern auch ein bisschen Metafilm sein. So ist es auch ein Film über gemeinsames Filmemachen geworden, letztlich auch einer über die Liebe zu Filmen und die Lust zu Filmen.

X Factor

In X macht die Reisegruppe im Land der Hillbillies nicht einfach Ferien, sie hat einen Job zu erledigen: einen Low-Budget-Porno-Dreh. Der schmierige Besitzer der erwähnten Toplessbar, Wayne (Martin Henderson), hat dafür die für ihn arbeitende Southern Belle Maxine Minx (Mia Goth) und ein paar andere zusammengetrommelt (u.a. noch Kid Cudi als Pornostar). Executive Producer bei einem schnell abgedrehten Adultstreifen zu sein, hält er für die Geschäftsidee der Stunde – zumal der lukrative Homevideo-Markt gerade im Gespräch ist. Maxine bzw. Pearl ist neu im Geschäft, laut Wayne hat sie den X Factor, ist die geborene Porn-Performerin. Und in X ist sie nicht nur das Gravitationszentrums des Film-im-Films, sondern eben auch des Horrorplots, der immer mehr das Pornoset umschließt, um ihn schließlich vollständig in sich aufzusaugen. Hier wie dort ist der Antrieb der sex drive, in Farmer’s Daughter, dem Hardcoreporno, ist er im Wesentlichen behauptet, Teil eines hergestellten Gesamtpakets, in der Rahmenhandlung des texanischen Hinterlands hingegen eine Wirklichkeit, die auch im hohen Alter noch gelebt wird …

Monströse Lust

Die Misere beginnt mit einem Deal. Waynes Drehteam mietet sich in ein staubiges Farmhäuschen ein, das zu einem größeren Areal gehört und von einem klapprigen, irgendwie monströs aussehenden Typen mit Schrotflinte im Anschlag bereitgestellt wird. Schon hier hätte man besser umdrehen sollen. Wie in den früheren Filmen Wests entwickelt sich der Horror nun gemächlich, Schritt für Schritt. Wir bekommen mit, dass mit der ebenso hochbetagten Farmersfrau etwas nicht stimmt, das Körperlich-Sinnliche für sie noch eine ungewöhnlich große Rolle spielt. Schöne Splitscreens – ein Stilmittel, das man abseits von Brian De Palmas Kino leider selten sieht – parallelisieren das Gestöhne des Filmdrehs mit Dingen, die sich im benachbarten Gastgeberhäuschen abspielen.

West setzt auch in X wieder effektiv auf unsere Mitwisserschaft, die Schlinge um die Filmcrew zieht sich immer weiter zu. Und es ist sicher keine Willkür, dass als erstes gerade der Regisseur mit Avantgarde-Allüren dran glauben muss, der eigentlich mit Farmer’s Daughter nichts anderes bezweckt, als im skin flick einmal formale Mittel zu erproben, die er für sein „eigentliches“ Kino benötigt (etwas, was übrigens schon Wes Craven und Abel Ferrara so ähnlich machten). Ironischerweise schwärmt er speziell für Hitchcocks Psycho – und auch in X wird letztlich eine zur Seite geschaffte Karre aus dem Sumpf herausragen. Für RJ, den prätentiösen Experimentalfilmer, ist dieses ganze improvisierte Shooting in den Scheunen also Teil einer großen Lüge. Für die liebeshungrige Farmerin erscheint wiederum die Sehnsucht nach warmen Körpern als einziger Grund, überhaupt noch am Leben zu sein. Dass, was sie heimlich vom Filmdreh erhascht, hat mit ihrem Innersten zu tun.

Gore & Softcore

Kino und Wahrheit, Kino und Wirklichkeit, Kino und Lust (am Schauen). Es ist etwas skurril, dass X seinen Reiz aus der Kombination der beiden wohl sensationsbetontesten Genres bezieht, aber nur beim Horrorpart in die Vollen geht bzw. gehen kann. Die in körniger 16mm-Optik gehaltenen Szenen vom Dreh sind strictly softporn, die eine oder andere Kill, wie schon in House of the Devil, dafür recht ausstaffiert. So erzählt X von einer Filmindustrie der Simulationen, und ist selbst zum großen Teil Behauptung. Ein Film wie Roberta Findlays Women’s Torment, in dem sich tatsächlich noch Sperma und Filmblut zu einem Independentfilm-Alptraum vermengten, ist so nicht mehr zu machen. Er kam 1977, also ein Jahr nach dem Terrorkino von The Texas Chainsaw Massacre und zwei Jahre nach dem Retrosetting von Wests Meta-Backwood-Sexdrive-Slashers heraus.

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