Wonka – Kritik
Nach dem sprechenden Bären Paddington widmet sich Regisseur Paul King der Jugend eines Schokoladenfabrikanten. Der psychedelisch-verquere Stil Roald Dahls wird hier und da sichtbar, doch vor allem riecht und schmeckt Wonka nach Charles Dickens’ Oliver Twist.

Unser junger Protagonist bricht mit erstaunlich leckerem Essen im Hut aus einem südamerikanischen Dschungel in eine große englische Stadt auf. Dort rettet er Leute, die in ihrem Leben festgefahren sind, er wird Teil eines Kriminalfalls, und am Ende macht er aus einer grauen, kalten Welt eine buntere und wärmere. Weit hat sich Regisseur und Autor Paul King in Wonka nicht von Paddington (2014) und seiner Fortsetzung (2017) entfernt, also von den Instantklassikern, mit denen seine Karriere durchstartete. Einen verwaisten, computeranimierten Bären hat er gewissermaßen lediglich durch einen verwaisten Schokoladenfabrikanten ausgetauscht.
Vertrautes auf neuem Terrain

Dabei sah Wonka nach einer Befreiung aus. Paddington bezog sich auf eine Buchreihe und die darauf basierenden Serien. Statt nun Roald Dahls Charlie und die Schokoladenfabrik (Charlie and the Chocolate Factory) zum dritten Mal oder dessen Fortsetzung Charlie und der große gläserne Fahrstuhl (Charlie and the Great Glass Elevator) zum ersten Mal zu verfilmen, entschied sich King, über die Jugend von Willy Wonka zu fabulieren – bevor der sich in seine Fabrik zurückzog und, enttäuscht von den Menschen, zu einem zynischen Kauz wurde. King betritt also neues Terrain, das ihm kaum Vorgaben machte. Seinen vorherigen Filmen bleibt er dennoch fast schon sklavisch treu.
Zu Beginn schält sich Willy Wonka (Timothée Chalamet) aus einer Nebelbank und wird den ganzen Film dagegen ankämpfen, wieder im Grau des Nebels und der Gesellschaft zu verschwinden. Er droht (buchstäblich) Lohnsklave zu werden oder aus seiner neuen Heimat vertrieben zu werden. Aber er ringt energisch darum, etwas Besonderes zu sein und Anerkennung zu erlangen. Mit seinen Schokoladenkreationen will er die Gaumen der Menschen verwöhnen und sie durch fantastische Beigaben Unglaubliches erleben zu lassen. Den Kahlen soll wieder Haar wachsen. Die an die Gravitation Gebundenen sollen für ein paar Minuten fliegen können – bis sie diese Befreiung wieder herauspupsen. Vor allem sehen wir aber jemanden, der gesehen werden möchte, gegen allen Widerstand.

Seine Gegenspieler sind drei Schokoladenfabrikanten (u.a. Paterson Joseph als Arthur Slugworth), die als Kartell die Stadt in ihrer Hand haben, weil sie Polizei (Keegan-Michael Key) und Klerus (Rowan Atkinson) mit ihrer gepanschten Schokolade bestechen und gefügig machen. Ihren Reichtum, der unter der Stadt in prall gefüllten Schoko-Tanks vor der Gesellschaft zurückgehalten wird, sehen sie nun durch Wonka bedroht, der den Menschen authentischen Genuss bietet. Am besten wäre, wenn ihm ein Unfall geschieht, bei dem er stirbt. Oder wenn er in der Waschküche von Kredithai Mrs. Scrubbit (Olivia Colman) verfaulen würde, der Wonka für eine Übernachtung in ihrem Hotel zehntausend Sovereign schuldet.
Timothée Chamalet singt und singt

Die drei Hauptwidersacher sind voll und ganz Dahl: schräge Karikaturen, denen der Pinselstrich des Autors der indirekten Vorlage anzusehen ist. Die Rezepte Wonkas und der Oompa Loompa (Hugh Grant) ebenso. Der Rest der Stadt, bei allem Hang zum Psychedelisch-Verqueren, hat aber eine deutliche Schlagseite zu Werken von Charles Dickens. In einer grauen, industriellen Stadt des 19. Jahrhunderts herrscht eine Ökonomie, in der der Mensch des Menschen Wolf ist. Es gibt reiche Granden, die alles korrumpieren, indifferente Bürger, die Handlanger des Geldes, denen optisch ihre innere Entstellung anzusehen ist, und die „normalen“ Leute, die unter diesem Überbau leiden. Nasse, verschneite Gassen voller heruntergekommener Häuser stehen Palästen (Bank und Kirche) und einer ausladenden, renommierten Einkaufsstraße gegenüber. Und es riecht und schmeckt dabei eben nach Oliver Twist, nur mit etwas mehr kleinwüchsigen Fabelwesen und kulinarischer Fantasy.
Was Wonka von Dickens, vor allem aber von Paddington abhebt, sind die Gesangseinlagen. Statt nur ab und zu Farbtupfer zu liefern, sind sie nun allgegenwärtig. Chalamet singt und singt, womit sich die Stadt nach und nach an seine Tagträume angleicht. Das entstehende Musical belässt King auch klassisch, es würde zwischen den Werken von Rodgers und Hammerstein kaum auffallen. Der kalten, entmenschlichten Welt des Kartells setzt er eine glatte, anschmiegsame Wärme entgegen. Nur fällt das Widersprüchliche, teilweise Bösartige in Dahls Werken unter den Tisch. Statt Ambivalenz ist die dabei entstehende Kapitalismuskritik ein schnell verstandener Film mit alten, nostalgischen Zutaten, in dem man sich einkuscheln kann.
Bekanntes und Abgenutztes

Indem Paul King seine beiden Paddington-Filme wieder aufgreift, kann er aber auch deren Qualitäten in sein neues Werk hinüberretten. Die Gefährten, die Wonka während seiner Abenteuer aufliest, werden wieder eine zweite Familie. Und überhaupt ist Familie wieder etwas Zentrales – am emotionalen Tiefpunkt des Films thront ein abgebrannter Baum in der Mitte des Bildes, der wie schon in Paddington die Familie symbolisiert, und deren Zerstörung ist das Schrecklichste, was sich in Kings Filmen denken lässt. Wieder wendet sich die bunte Gemeinschaft gegen die Biederkeit der Welt, gibt jeder dem anderen die Sicherheit, der zu sein, der er ist. Was King in von Grau umringte Farben übersetzt und in bunte Figuren, die die Welt und den Film mit ihrer kreativen Inszenierung bereichern sollen.
Doch so sehr King für eine allgegenwärtige Farbenpracht streitet, hält doch immer wieder das Grau Einzug, weil alles zum Bekannten und Abgenutzten tendiert. Es hätte einen starken Cast gebraucht, um wettzumachen, dass King sich hier nicht auf der Spitze seines Könnens zeigt. Doch ist auch der mehr als durchwachsen. Keegan-Michael Key lehnt sich beispielsweise wieder in jede Pointe – mit der mimischen Ankündigung, dass jetzt etwas kommt, das er sehr witzig findet. Vor allem ist Timothée Chalamet aber lediglich ein netter Junge, der nett singt. Nie schafft er es, den Film zu tragen. Vielleicht wäre Wonka mit einem computeranimierten Bären besser gewesen.
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