Wolf Man – Kritik
Der Fluch der eigenen Abstammung: In seiner Neuinterpretation des Werwolf-Klassikers verbindet Leigh Wannell unappetitlichen Body Horror mit dem Porträt einer zerfallenden Familie. Dabei lebt Wolf Man auch von seinen ungeniert ausgekosteten Momenten des Grauens.

Der sonst so konsequent gelassene Familienvater Blake (Christopher Abbott) wird im Großstadttrubel von San Francisco plötzlich ungewohnt energisch. Grund dafür ist, dass seine Tochter Ginger (Matilda Firth) auf einer Verkehrsabsperrung und somit zwischen zwei Sphären balanciert: links die lärmenden Autos, rechts der ungehaltene Dad, der sein Kind auf den sicheren Gehsteig beordern will. Einen ähnlichen Moment gab es zuvor bereits in einer Rückblende zu sehen In den Wäldern Oregons wird dem noch jungen Blake von seinem verbitterten Vater Grady eingebläut, dass die Welt rund um ihre verlassene Hütte voller Gefahren ist. Und tatsächlich müssen sich die beiden während eines anschließenden Jagdausflugs vor einem monströsen Wesen auf zwei Beinen verstecken.
Beide Szenen aus dem Horrorfilm Wolf Man eint die elterliche Fürsorge, doch die Väter könnten auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein. Anders als der emotional abgestumpfte Grady, der seinen Sohn wie einen Kadetten behandelt, ist Blake ein urbaner, moderner und vor allem betont sanfter Mann, der Wohnung und Tochter hütet, während seine Frau Charlotte (Julia Garner) als Journalistin Karriere macht. So souverän Blake im Umgang mit Ginger ist, so holprig läuft es in seiner Ehe. „Bist du glücklich?“ fragt er Charlotte und obwohl sie bejaht, verraten ihre zuckenden Mundwinkel und blinzelnden Augen, dass sie lügt. Ein Urlaub in der Hütte des seit Jahren verschollenen Vaters soll das Paar nun wieder enger zusammenbringen.
Das Grauen, sich in den eigenen Vater zu verwandeln

Nachdem sich Leigh Whannell bereits 2020 mit Der Unsichtbare einem frühen Horrorklassiker des Hollywood-Studios Universal annahm, unterzieht der Mitschöpfer des Saw-Franchises nun einen weiteren populären Gruselfilm – George Waggners Der Wolfsmensch (1941) – einer Verjüngungskur. Was beide Produktionen eint, ist der psychologische Zugang, die unaufdringliche Inszenierung, in der sich das Unbehagen oft schleichend ausbreitet, sowie das Motiv einer nicht nur toxischen, sondern regelrecht lebensgefährlichen Männlichkeit.
Wolf Man lässt sich für seine Exposition viel Zeit, um danach das Grauen umso schockhafter hereinbrechen zu lassen. Gleich bei ihrer Ankunft in Oregon muss die Familie vor einem wilden Tier panisch in die Hütte fliehen. Davor hat sich schon bei der Begegnung mit einem alten Schulfreund abgezeichnet, dass in diesen Wäldern eine archaischere Geschlechterordnung herrscht. Gab Charlotte in der Stadt noch den Ton an, räumt sie für den Fremden nun den Vordersitz, um sich kleinlaut auf die Rückbank zu verziehen.
Nachdem Blake von dem Tier verletzt wurde, beginnt auch er sich zu verändern. Bereits der Filmtitel verrät, wohin die Reise für ihn geht. Mit schön unappetitlichem Body Horror garniert, betont Whannell dabei immer wieder die Ohnmacht, die darin liegt, unweigerlich zu etwas zu werden, was man nicht sein will. Dabei lässt sich Blakes Entwicklungauf verschiedene Art beschreiben: vordergründig wird er zum Werwolf, allgemeiner ausgedrückt zu jemandem der die zerstörerische Energie, die in ihm brodelt, nicht kontrollieren kann, und ganz konkret wiederum zu Blakes eigenem Vater.
Die Hilflosigkeit des werdenden Raubtiers

Mit der Verwandlung werden auch die Risse in der Beziehung des Paars tiefer, das keine gemeinsame Sprache mehr findet und in unterschiedlichen Welten lebt. Kaum wird Blake infiziert – tatsächlich gleicht seine Mutation einem heftigen Krankheitsverlauf – beginnt sich auch seine Wahrnehmung zu verändern. Mehrmals taucht Wolf Man in seinen Protagonisten ein, offenbart mit beklemmendem Sounddesign wie kaum hörbare Geräusche für ihn zu einem ohrenbetäubenden Hämmern verzerrt werden und lässt seine sichtbare Umgebung in psychedelisch pulsierende Farbflächen zerfließen, während er von seiner Familie mit außerirdisch funkelnden Augen angestarrt wird.
Mehr als für den liebenden Familienvater oder die reißende Bestie interessiert sich Wolf Man für das Zwischenstadium, das hilflose Mischwesen. Es wirkt tatsächlich beängstigend, wie Blakes Körper zunehmend zerfällt und wie er von den tröstenden Worten seiner Lieben nur noch ein unverständliches Blöken mitbekommt. Er ist halb sorgender Vater, halb unberechenbares Raubtier. Auch Charlotte, der Julia Garner trotz der etwas groben Charakterzeichnung eine fesselnde Unsicherheit verleiht, begreift, wo das alles enden wird. Soll sie ihren schon reichlich deformierten Mann überhaupt noch ins Haus lassen? Sie zögert, bevor sie ihn wegen des bohrenden Blicks ihrer Tochter dann doch hereinlässt.
Gut geölte Mechanik des Terrors

Obwohl die Subtexte von Selbstverlust und Entfremdung eine wichtige Rolle in Wolf Man spielen, übertreibt es Whannell nicht mit dem Allegorischen und lässt das Familiendrama auch mal links liegen, um sich ganz der gut geölten Mechanik des Terrorkinos zu widmen. So stört es auch nicht sonderlich, wenn die Geschichte gegen Ende in Details ein wenig unausgegoren sein mag, denn der Regisseur weiß, wie man eine unheimliche Stimmung heraufbeschwört und sie in dichten Spannungsmomenten entlädt.
Der Film ist auf eine Art kühl und entschleunigt, durch die die bedrohliche Intensität noch gesteigert wird. Die blaugrau schimmernde Welt wirkt emotional ausgedörrt, die Kamera manchmal wie ein Raubtier, das seine Opfer kurz vor dem Angriff umkreist, und die Jump Scares – die hier nicht lediglich penetrante Sound-Effekte, sondern tatsächlich visuelle Ereignisse sind – sitzen. Besonders schön ist eine Szene, in der Vater, Mutter und Kind auf einem mit halbtransparenter, zunehmend zerschlitzter Folie verkleideten Gewächshaus ums Überleben kämpfen. Ein atemberaubendes Spiel aus Schatten, das die Zerbrechlichkeit der Familie in ein ausdrucksstarkes Bild übersetzt.
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