Wir drehen keinen Film – Kritik

Neu auf VoD: Schaut, ich schau mich an. In ihrem Debütfilm fingiert Ulla Geiger ein Selbstfindungsprojekt und nimmt die übermäßige Selbstbetrachtung auf die Schippe.

„Wir drehen keinen Film“, erklärt Kurt (Michael Ransburg) immer wieder der Kamerafrau (als Stimme aus dem Off: Regisseurin Ulla Geiger), die er für ein Selbstfindungsprojekt angeheuert hat. Genau damit hat er sie aber beauftragt: In sämtlichen Situationen soll sie ihre Kamera auf Kurt richten; der will dann, bereichert um die daraus gewonnenen Erkenntnisse , sein Leben in glücklichere Bahnen lenken, so zumindest die mit dem Projekt verbundene Hoffnung. Sichtlich vergnügt wird der Film nicht müde, seinen Clou in die Welt hinauszuposaunen: dass hier die Protagonisten eines Kinofilms einen Film drehen, der eins zu eins der Kinofilm ist – und dabei beteuern, dass sie keinen Film drehen.

Und es wurde Kunst

Interessant ist ja, dass die Protagonisten den titelgebenden Satz nicht deshalb beteuern, weil sie die Anwesenheit der Kamera leugnen, sondern weil der Film-Film nicht für die Öffentlichkeit gedacht ist: „Ich will das nur selber anschauen.“ „Da wird nix veröffentlicht.“ Dass Filmaufnahmen gemacht werden, bestreitet niemand; aber was nicht für andere produziert wird, dem wird – zumindest im Sprachgebrauch der Protagonisten – der Filmcharakter abgesprochen. Kunst, so der weitergesponnene Gedanke, entsteht erst in der Absicht, andere an etwas teilhaben zu lassen.

In dem Sinne ist Kurts Projekt so etwas wie Anti-Kunst: Urheber, Gegenstand und Empfänger sind eins; ein geschlossener Kreis, in den lediglich die Kamerafrau („Frau KF“ genannt, weil sie anonym bleiben möchte) etwas Fremdes einschleust. Frau KF werden wir nie zu Gesicht bekommen, dafür aber ihre durchaus witzigen Bemühungen, der Nabelschau filmische Momente abzugewinnen. Denn während Kurt keine Regieanweisungen gibt und wohl annimmt, dass keine Entscheidungen zu treffen sind, wenn es lediglich darum geht, ihn zu filmen – „Wir drehen keinen Film, Sie sollen nur mich filmen“ –, gibt Frau KF ihr Metier nicht auf: sich darüber Gedanken zu machen, wie Bilder entstehen und was sie bewirken. „Boah, das war jetzt super“, platzt es aus ihr heraus, als sie Kurt und Michelle (Sonia Hausséguy) beim Küssen filmt und dabei Glocken läuten. Nicht nur Frau KF ist bestrebt, aus dem Projekt Kunst zu machen oder Kunst darin zu sehen: Als Michelle Kurt fragt, was es mit der Kamerafrau auf sich hat, schließt sie aus seinen Erklärungen, dass es sich um eine „autobiografische performative Installation“ handelt.

Die griechische Tragödie muss her

Die Grenzen zwischen der (fiktiven) Wirklichkeit, ihrer Dokumentation, ihrer Inszenierung und der Kunst sind in diesem Film fließend, was nicht zuletzt daran liegt, dass es unter den Protagonisten nur so von Künstlern wimmelt: Frau KF, offensichtlich, aber auch Kurt, der Theaterschauspieler ist, genauso wie seine Mutter Dora (Ursula Berlinghof) und seine kurzwährende Affäre Sigrid (Claudia Helene Hinterecker), mit der Kurt an Shakespeares „Sommernachtstraum“ arbeitet. Aus der Zusammenarbeit – er gibt Demetrius, sie Helena – entsteht ein One-Night-Stand, der Sigrid verliebt und Kurt genervt zurücklässt: in der Konstellation jener Szene aus dem Stück also, die Kurt und Sigrid bei den Proben üben. Den Deutungsrahmen für Kurts Unglück holt sich Wir drehen keinen Film aus der griechischen Tragödie. Inga (Isabella Leicht), die Theaterregisseurin, nennt das „das unschuldig Schuldig-Werden“: Menschen kreisen nur um ihre eigenen Probleme und sind deshalb außerstande, die Bedürfnisse anderer wahrzunehmen.

Wir drehen keinen Film geht nicht gerade zimperlich mit Deutungsangeboten um. Kurt ist unschuldig schuldig, und das liegt daran, dass seine Mutter, von seinem Vater verlassen, ihre gesamte Aufmerksamkeit auf Kurt gelenkt hat, den sie – wie bezeichnend – chéri nennt. Chéri, von der mütterlichen Überspannung erdrückt, hat Bindungsängste und sucht das Weite, sobald eine Frau nachhaltig an ihm Gefallen findet. Diese Erkenntnis gewinnt Kurt allerdings nicht in der Selbstbetrachtung, sondern im fortwährenden Dialog mit Frau KF, dem zweiten, unsichtbaren Betrachter in diesem Film, der die Selbstbetrachtung erst möglich macht und sie gleichzeitig sabotiert. Die Regie, die Kamera, sie sind in Ulla Geigers Debütfilm vollwertige Protagonisten, und zwar die, die die meiste Sympathie auf sich ziehen – ein Hoch auf die Fremdbetrachtung.

Streamen kann man den Film hier

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Kommentare


Manuela

Genial in allen Facetten! Das Thema Beziehungen, wie es jeden anspricht, und das auf eine sehr witzige, kurzweilige, aber gleichzeitig fundierte, niveauvolle Art sehr kreativ umgesetzt. Meisterwerk von Ulla Geiger und den Schauspielern.






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