Wintermärchen – Kritik

VoD: „Wo ist der denn deutsch, Mann?“ Auf der Spur von Neonazis zeigt Jan Bonnys Wintermärchen die Hölle, die das Leben sein kann, wenn man keine Macht hat.

Sie sitzt am Steuer, er kriegt keinen hoch, oder nur so halb. Der Sex könnte fester sein, sie lacht ihn aus. Ist er Mann genug? Sie erzählen sich Fantasien. Sie vom Sex mit einem Schwarzen, die sie doch so hasst und abknallen will. Er vom Dreier mit einem zweiten Mann. Diesen anderen Kerl wird es in Wintermärchen bald geben, das streitende Duo verwandelt sich in ein aggressives Trio, schon können die Morde beginnen.

Beinahe ein Actionfilm

Nein, es wird keine Diane Kruger geben, die einen Migranten heiratet und rächt. Jan Bonny schießt sich ein auf die Innensicht, keine Guten, keine Helden, keine Gerechtigkeit. Von Anfang an ist es ein Höllentrip, seinem Spielfilmdebüt Gegenüber (2007) mit der häuslichen Gewalt einer Frau gegen einen Mann sogar sehr verwandt. Mit dem Unterschied, dass Wintermärchen beinahe ein Actionfilm ist und die Rastlosigkeit von Protagonisten wie Kamera das Unbehagen noch verstärkt, das sich von den ersten Bildern an einnistet.

Eine merkwürdige Szene steht am Anfang, fast wie bei einem Egoshooter sitzen wir mit Becky (Ricarda Seifried) und Tommi (Thomas Schubert) im Auto und scannen die Straßen mit ihnen ab. Sie fragt ihn, immer genervter und lauter, bei fast jedem Passanten: „Was ist mit dem?“, „Der?“, „Was ist mit ihm?“, „Der da?“ Doch er will nicht, hat Angst, erkannt worden zu sein, oder es sind ihm zu viele Leute, Zeugen, hier jedenfalls will er niemanden ermorden. Sie ist stark, er ist klein. Sie fordert ihn heraus, er lässt sich provozieren. Dass es hier um potenziell tragische, kriminelle, lebensverändernde und -beendende Handlungen geht, spielt keine Rolle. Wir sind schon mitten im Wahn der beiden, es gibt kein Außen.

Wintermärchen ist in vielen Momenten ein Actionfilm, nicht zuletzt gerade dann, wenn die Handlung stillzustehen scheint und, wie von einem Lagerkoller überfallen, die Protagonisten sich gegenseitig zerreißen. Die Kämpfe in diesem Film sind primär innere, ja häusliche. Gemeinsam mit Ko-Autor Jan Eichberg entfaltet Jan Bonny zwischen den Figuren, die gemeinsam einen rechtsextremen Untergrund bilden wollen, ein Beziehungsdrama. Bonnys Inszenierung dieser überwiegend grauen Leben in tristen Städten und schlichten Wohnungen hat die Dynamik im Blick, mit einer schmerzhaften Einfachheit.

Der Blick des Außenvorgelassenen

Meistens ist es die Frau, die antreibt, Nähe gewährt, Performance einfordert. Fordert ein, um die Enttäuschung bestrafen zu können. Immerzu geht es um Macht, wer sie hat, sie sich nimmt, über wen sie ausübt. Sadomasochismus und Narzissmus sind die psychologischen Dominanten. Kurz nachdem Tommi seine Fantasie vom zweiten Mann gebeichtet hat, erscheint wie aus dem Nichts der etwas ältere Maik (Jean-Luc Bubert), drängt den Jüngeren in die Beobachterrolle, bietet Becky Paroli, zieht sich feixend in der Küche aus, spielt mit der Aufmerksamkeit beider. Er ist das Gegenteil von Tommi, ohne Scham setzt Maik seinen großen, durchschnittlichen Körper ein, alles steckt in der Attitüde – und schon bald kommt es zum Sex zwischen Maik und Becky.

Bonny schaut auf das, was schmerzt. Beim Anbandeln zwischen dem Neuen und dem Mädchen geht es um den Blick des Dritten, des Außenvorgelassenen Tommi. Die ganze Tragik ist spätestens ab hier ausgebreitet: Maik erkennt Tommis Begehren und entzieht ihm prompt das Privileg, zuschauen zu dürfen. In Sachen Sadismus nehmen sich Maik und Becky nicht viel. Das Trio wird wieder zum Duo, mit einem Dritten zu seinen Gnaden. Die Machtspiele, die Wintermärchen als Reibungsflächen und als Kern der Beziehungen zuspitzt, bieten einen Zugang zur Psychologie der Protagonisten. Es ist ein Angebot, sie und ihre Handlungen zu verstehen, aus ihren Bedürfnissen und ihrer Kommunikation heraus, ohne dass diese erklärt oder ausbuchstabiert würden.

Perfide Verschränkung der Exzesse

Der Fremdenhass, der sich in der Mordserie Bahn bricht und in einem Saufgelage in einem Lokal mit türkischstämmiger Bedienung, erscheint wie eine Fortsetzung des gekränkten Narzissmus, den die drei auf unterschiedliche Weise an den Tag legen. Nur im Rausch, dem des Tötens, des Alkohols und des Sex, gibt es davon eine kurzfristige Erlösung. Der Clou von Wintermärchen ist die perfide Verschränkung dieser drei Exzesse. Deshalb, und weil es keine Guten gibt, kann man es als kleines Wunder bezeichnen, dass der Film dennoch in Deutschland entstehen konnte – Bettina Brokemper und ihrer Heimatfilm ist es zu verdanken: Sie setzte Filmpreis-Mittel ein, denn nur eine einzige Filmförderung unterstützte das Projekt.

Der ständige Sex dürfte stärker als alles Rechtsradikale der Figuren wie eine Provokation wirken, Töten sieht man ja oft genug auf allen Kanälen. Sex und Morden zusammen ist dagegen nur schwer zu ertragen, das Miteinander von Zügellosigkeit und Terror führt unnachgiebig das Menschliche des Bösen vor. Mit brutaler Klarheit und faszinierender Lebhaftigkeit setzt uns Bonny diesem Gefüge aus, wirft uns in die banale Intimität der Gestörten. Eine andere Perspektive erlaubt Bonny in seinem klaustrophobischen Reigen nicht, obgleich er die politische Dimension des Staatsversagens hier und da antriggert. Stattdessen müssen wir aushalten, was unausstehlich ist, ganz ohne Überblick. Keine Totale, keine Rettung. An den Rechtsextremen kommen wir nicht vorbei.

Der Film steht bis 13.03.2022 in der 3Sat-Mediathek.

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Kommentare


Stephan

einfach nur schrecklich. funktioniert nicht. nicht als provokation und als film schon mal gar nicht. da könnte ich genauso gut zwei stunden einer ziege beim kacken zugucken.


Frédéric

Schade. Über den Film lässt sich ja trefflich streiten, aber auf dem argumentativen Niveau fürchte ich, gibt es nichts zu entgegnen, außer, dass sich das nicht ausschließt. Ziegen sind tolle Tiere, denen ich auch in Filmen gerne lange zugucke.


Stephan

Einfach nur mal wieder ein Beispiel dafür, wie lustlos, mutlos und hässlich deutsche filme gemacht werden. wie ein altes stück brot das sechs monate hinter einem schrank lag. und dann wird man gewungen es zu essen. das ist wirklich komisch. ich glaube das kommt noch aus dieser kant und schopenhauer tradition. deutschland ist einfach nicht in der lage gut aussehende mainstream filme zu drehen. alles wird immer zergrübelt und man würde sich schämen einen gut fotografierten film zu drehen. spass daran haben. will man denn nicht als filmemacher irgendwie annerkennung ernten? das leute sagen"wow, der war ja der wahnsinn".. oder "der sah atemberaubend aus".. stattdessen kriegst man so nen reibekuchen ins gesicht gerieben.


Frédéric

Das Hässliche wird völlig unterschätzt! Die Alternative eines Hochglanz-NSU-Thrillers wäre doch genau das: lustlos und mutlos. Mir leuchtet die Kritik daher nur bedingt ein. Ich verstehe, dass der Film anstrengend ist, auch beklemmend und enervierend, für mich gehört das zur Stärke aber dazu. Und im Gegensatz zu Ihnen, fand ich gerade die Bildgestaltung eine Wucht.


Stephan

schon joker gesehen? hässlich + hochglanz vereint in einem film. ging bei taxi driver auch schon. momente, gesichter & emotionen (inszenierung). daraus sollten filme bestehen. das alles schliesst sich nicht aus, wie du so schön sagstest. alles andere ist theater. wenn ich eine raufasertapete in einem film sehe möchte ich am liebsten sofort abschalten. und dieses überzogene rumgeschreie. und schau mal da, der schauspieler zeigt seinen pimmel. wow, wie direkt und verstörend. ich würde das fast als arroganz bezeichnen. der meinung zu sein sich über fast 130 jahre filmgeschichte erheben zu können und sowas dahinzurotzen. er ist für mich überhaupt nicht beklemmend. enervierend ja, aber das schafft der einfach so. diese szene bei der mutter von becky war am furchtbarsten. unglaubwürdig und cringy. ein inszenatorisches desaster. aber das ist auch nur meine meinung. hat zum glück nur 3,99 gekostet über google play.


Florian

Auch wenn diese Diskussion schon etwas älter ist: Hochglanzfilme über solche Themen gibt es doch zuhauf. Über den NSU-Komplex den ARD-Dreiteiler, aber eben auch Filme wie den wirklich peinlichen "Und morgen die ganze Welt" von 2020 über linke Subkultur. Mal von Filmen wie "Baader-Meinhof-Komplex" ganz abgesehen. Ich empfinde im Gegenteil gut, wenn Filme (egal, ob deutsch oder jedes andere Produktionsland) auch realitätsverhaftet, dreckig, düster, manchmal spröde sind. Es muss ja nicht gleich Schanelec sein, aber gerade die Film von Heisenberg ("Der Räuber") und Hochhäusler ("Falscher Bekenner") sind gerade als politische Filme (inhaltlich wie gestalterisch) sehr gelungen. Nun den "Joker" gegen Bonnys "Wintermärchen" ins Feld zu führen, erscheint mir wie Ziegen mit Walen zu vergleichen, um im Bild zu bleiben.


Florian

PS: Ich fand den Film auch nicht brilliant, zu selbstzweckhaft und manipulativ, dafür gar nicht spröde. Als interessanter Gegenentwurf sei der Polizeiruf "Das Gespenst der Freiheit" von Bonny empfohlen (gerade auch in der ARD Mediathek). Das Thema ist sehr ähnlich, der Film ist auch hart, nichts für Zimperliche. Aber die Gruppendynamik und der Rünstgenblick durch moderne extremistische Subkulturen ist deutlich gelungener meines Wissens.






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