When the Waves Are Gone – Kritik

14 Films: Korrupte Staatsdiener und die Opfer von Dutertes Drogenkrieg – Den schlichten Plot über zwei philippinische Polizisten erweitert Lav Diaz in When the Waves Are Gone mit gewichtigen Fragen rund um Religion, Moral, Buße und Rache.

Zwei Radler fahren gemächlich am Hafen entlang. Plötzlich entdecken sie mehrere am Wegesrand liegende Leichen. Wortlos kehren die beiden um, ohne die Polizei zu rufen. Diese Reaktion ist kein Zufall: Dass Polizei und organisierte Kriminalität auf den Philippinen oft ein und dasselbe sind, hat bereits Brillante Mendozas düster-verstörendes Drama Kinatay (2009) gezeigt. Und das war, noch lange bevor der berüchtigte Rodrigo Duterte zum Präsidenten gewählt wurde, unter dem Deckmantel des Drogenkrieges Tausende Menschen willkürlich von der Polizei ermorden ließ, um dann im Juni 2022 die Macht an seine eigene Tochter und den Sohn des einstigen Diktators Ferdinand Marcos zu übergeben.

Innere Schuppenflechte

Lav Diaz hat sich in seinen (mal sehr langen, mal sehr, sehr langen) Filmen oft mit der gewaltreichen Geschichte seines Heimatlandes befasst. In When the Waves Are Gone (Kapag wala nang mga alon, 2022) geht es nun primär um die daraus entstandene Gegenwart. Per Parallelmontage wechselt der Regisseur zwischen zwei Erzählsträngen hin und her: Da ist Hermes Papauran (John Lloyd Cruz) – ein genialer Ermittler, der den Staatsdienst quittiert hat, nachdem er zu oft mitansehen musste, wie im Namen ebenjenes Staates Menschen drangsaliert, gefoltert und getötet wurden. Sein Leiden an diesem Unrecht hat sich in einer stark ausgeprägten Schuppenflechte manifestiert, die sich nur schwer behandeln lässt, da sie – wie er an einer Stelle sagt – nicht nur seinen Körper befallen hat, sondern auch seine Seele. Der zweite Strang folgt Hermes’ früherem Ausbilder Primo Macabantay (Ronnie Lazaro), der gerade nach zehn Jahren Knast von Duterte höchstpersönlich begnadigt wurde und nun auf Rache sinnt. Denn dass er überhaupt hinter Gitter musste, liegt daran, dass sein Schüler Hermes ihn verpfiffen hat – ein schwerer Verstoß gegen den Loyalitätskodex der Polizei.

In verrauschten, körnigen Schwarz-Weiß-Bildern sehen wir, wie die beiden einander psychisch und physisch verfolgen. Auf dem Weg zum unweigerlichen Aufeinandertreffen versucht der eine, die Welt von der Sünde zu befreien, und lockt dazu – in einer besonders schönen, mit starken visuellen Kontrasten arbeitenden Szene – mehrere Straßenhuren über eine von Gegenlicht geflutete Treppe in sein Hotelzimmer. Der andere will sich selbst läutern und die Dämonen seiner Vergangenheit exorzieren. Nach „nur“ drei Stunden Spielzeit (und mehreren irren Solo-Tanzeinlagen) begegnen sich die zwei Männer endlich des Nachts in einer kleinen, von Nebelschwaden durchzogenen Hafenstadt.

Widerstand und Vereinnahmung

Der kontinuierlich auf dieses Duell zulaufende Plot ist relativ simpel, doch Lav Diaz umhüllt ihn mit so vielen thematischen Schichten, dass es für drei Filme reichen würde. Eine entzweite Familie bemüht sich um eine langsame Wiederannäherung und stolpert dabei über die Theodizee-Frage: Wie kann ein gütiger und allmächtiger Gott so viel Leid auf Erden zulassen? Eine andere Figur taucht in die Tiefen christlicher (Größen-)Wahnvorstellungen ab und setzt sich dennoch (oder deswegen) über das fünfte Gebot hinweg. Diese religiöse Ebene ist eng mit der politischen verwoben, schließlich hat sich das Christentum erst durch die zunächst von Spanien und später von den USA geprägte Kolonialgeschichte auf den Philippinen verbreitet.

Die politische Ebene bildet denn auch den eigentlichen Mittelpunkt von When the Waves Are Gone: Wir begegnen korrupten Staatsdienern, sehen die Opfer des Drogenkrieges (der nicht selten auch ein Krieg gegen Opposition und Dissidenten ist) und hören, wie Nebenfiguren zunächst noch vage von „der Lage“ oder „der Situation“ raunen, schließlich aber doch die personifizierte Hauptursache all der Symptome benennen: Duterte. Vor allem jedoch schauen wir zu, wie das System sogar noch seine Gegner vereinnahmt, sie zu Komplizen macht und vermeintliche Helden zu Antihelden degradiert. Lav Diaz vermittelt diese Ausweglosigkeit mit einer frühen Szene und einer sehr späten Zusatzinformation, die die Sicht auf einen der Protagonisten entscheidend verschiebt.

Fuck the Philippines!“

Nicht jedes Schuld-und-Sühne-Drama muss gleich mit dem Label „Dostojewski“ versehen werden. Aber wie Lav Diaz hier einen schlichten Plot mit gewichtigen Fragen rund um Religion, Moral, Buße und Rache erweitert und quasi nebenbei noch die Duterte-Ära Revue passieren lässt, das ist schon eine beeindruckende, mehrbödige Mischung aus erzählerischer Spannung und intellektueller Wucht. Im Grande Finale, das der Film auf kuriose Weise beinahe verweigert, bringt es eine Figur im Todestaumel mit etwas einfacheren Worten auf den Punkt: „Fuck the Philippines!“

Der Film läuft im Rahmen des Berlier 14 Films Festivals am Freitag, den 9.12.2022 um 19:15 Uhr im Delph Lux.

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Kommentare


Niklas Pollmann

Das Vorschaubild hingegen ist aus A Lullaby To The Sorrowful Mistery ;)


Michael

Ups, wird sofort ausgetauscht. Danke für den Hinweis!






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