Das Glück der großen Dinge – Kritik
Die kleine Maisie ist nicht nur für die ums Sorgerecht streitenden Eltern bloßer Spielball.

Mitunter ist Das Glück der großen Dinge regelrecht langweilig, und das liegt nicht etwa daran, dass nichts passieren würde, sondern dass sich dieser Film viel zu früh in die Karten sehen lässt: Schon der erste Schnitt auf das Kindergesicht von Onata Aprile enthält die Funktionsweise des gesamten Films. Aprile spielt jene Maisie, die im Zentrum des 1897 unter dem Titel What Maisie Knew veröffentlichten Romans von Henry James steht. Verfilmt wurde diese Geschichte um ein kleines Mädchen auf der Suche nach seinem Platz in der Welt und einer eigenen Stimme inmitten des Sorgerechtsstreits der Eltern vom Indy-Regieduo David Siegel und Scott McGehee. Hatten diese mit ihrem anregend seltsamen Debütthriller Suture (1993) noch für einen echten Geheimtipp gesorgt, hielt sich die Begeisterung ob ihrer letzten Filme doch eher in Grenzen. Zuletzt verließen sie sich in Uncertainty (2009) auf die mehr oder weniger originelle Idee, mit zwei Genres in einem Film die beiden alternativen Konsequenzen einer scheinbar banalen Entscheidung durchzuspielen.

Auch Das Glück der großen Dinge leidet darunter, dass sich die Regisseure mehr auf die Prämisse ihres Films verlassen als auf ihr erzählerisches und inszenatorisches Talent. Zwar ist ihnen anzurechnen, dass sie mit ihrer kindlichen Protagonistin nur selten auf die Tränendrüse drücken: Maisie ist zu keiner Zeit bedauernswertes Opfer schlimmer Verhältnisse, sondern nähert sich den Erwachsenen mit Neugierde und Zuneigung und versteht viel mehr, als man ihr zunächst zutraut. Doch die vermeintliche Offenheit dieser Figur verschleiert die problematische Überhöhung des unschuldigen Kinderblicks zum strukturellen Prinzip. Während sich im Hintergrund unsensible Erwachsene zoffen, bleibt die Kamera bei Maisie, spätestens nach einem Schnitt auf Rockstar-Mom Susanna (Julianne Moore) an den Klaviertasten, Zigarette in der Hand und Bierflasche vor sich, scheint dann alles geklärt. Aber erwachsene Verantwortungslosigkeit zu behaupten und mit einem niedlich-fragenden Kindergesicht zu kontrastieren, das ist nun wahrlich keine (Film-)Kunst.

Dabei ist es mitunter recht amüsant anzusehen, wie der Sorgerechtsstreit ständig neue Ereignisse in den Gang bringt, wie dem Kind von Elternseite das jeweilige Heim als das bessere verkauft werden muss – mitsamt neuer Stiefmama oder neuem Stiefpapa. Wenn das ehemalige Kindermädchen Margo schließlich Masies Vater Beale (Steve Coogan) heiratet und Susanna alsbald ebenfalls mit ihrem jungschen Liebhaber Lincoln (Alexander Skarsgård) daherkommt, dann eröffnet sich nicht nur der originellste Handlungsstrang der Geschichte, sondern auch ein Ansatz für die Frage, warum der fast 120 Jahre alte Roman ausgerechnet heute herausgekramt worden ist. War James selbst noch von der gerade erst entstandenen Idee des Sorgerechts fasziniert, reiht sich die Filmversion in Werke der jüngsten Zeit ein, in denen alternative Varianten von Familie durchgespielt werden – der Film wird nicht zuletzt mit dem Hinweis auf die „Macher von The Kids Are All Right“ (2010) beworben. Doch bei Das Glück der großen Dinge stehen weniger echte Alternativen im Vordergrund als die ödipale Reaktion: Wenn sich Margo und Lincoln allmählich als die besseren und verantwortungsbewussteren Eltern herausstellen, dann läuft das nicht auf eine Verschiebung kernfamiliärer Strukturen hinaus, sondern auf die Errettung dieser Strukturen über ihre Entnaturalisierung hinaus.
Trotz interessanter Motive wie diesem überzeugt Das Glück der großen Dinge filmisch nur selten. Über James’ Roman wird gesagt, er habe die kindliche Perspektive als Stilmittel radikalisiert – Siegel und McGehee könnten nicht weiter entfernt sein von einem solchen Experiment, für das es auch in der Kinogeschichte genügend mehr oder weniger gelungene Beispiele gibt. Doch die filmische Aneignung der kindlichen Perspektive, das hieße doch mehr als das Kind in jeder Szene präsent sein zu lassen. Es hieße, diese Perspektive visuell zu vermitteln, den Aussagen und Handlungen der Erwachsenen einen naiv-neugierigen Filter aufzusetzen, der diese Aussagen und Handlungen entrückt, sie uns auf andere Weise erleben lässt. Doch Kindheit inspiriert hier keine anregende Verrückung der Erwachsenenwelt, sondern liefert eine Ausrede, sich mit dieser Welt nicht präzise beschäftigen zu müssen. Für die Handlung entscheidende Szenen werden eher hinter sich gebracht als in ihrer Intensität ausgehalten, Maisies Gesicht motiviert Inszenierung und Montage nicht, sondern wird fast immer nur für den Effekt genutzt.

Als die offiziell gerade durchs Land tourende Susanna ihre Tochter zufällig auf der Straße trifft und auf einmal wieder ganz die liebende Mutter spielt, wird sie fast von einem Auto umgefahren. Wütend streckt sie dem Autofahrer Maisie entgegen: „I have a kid here!“ Auch diese Szene soll vor allem Susannas Verantwortungslosigkeit bloßstellen, sie fasst dabei aber auch den Gestus dieses Films sehr schön zusammen. Siegel und McGehee beschwören weniger eine kindliche Perspektive, als dass sie nach einem Kinder-Bonus heischen, der dramaturgische wie inszenatorische Faulheit verdecken soll: Nehmt unseren Film bloß ernst, schließlich haben wir ein Kind dabei.
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Kommentare
Arne Stolpmann
Als Fan des Films und von Julianne Moore fällt es mir schwer, die Rezension einfach so stehen zu lassen. Ich würde mal tippen der Rezensent ist unter 30 und hat mit den Themen, die der Film behandelt, noch nicht wirklich zu tun gehabt. Mich hat "What Maise knew" völlig umgehauen und es ist für mich einer der besten Filme der letzten Zeit. Das sieht übrigens auch die Mehrzahl der internationalen Kritiker so - der Film hat auf Rotten Tomatoes ein Kritiker-Rating von 88%. Also wer auf amerikanische Indie-Dramen steht und dem Thema nicht abgeneigt ist, der sollte sich von dieser Kritik nicht abhalten lassen ins Kino zugehen, sie/er würde ein tolles Filmerlebnis verpassen.
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