What Does That Nature Say to You – Kritik
Berlinale 2025 – Wettbewerb: In What Does that Nature Say to You reichert Hong Sangsoo einen klassischen Komödienstoff mit vertrauten Elementen an – und beweist sich einmal mehr als Meister des filmischen Timings.

Schon die Schrift des Vorspanns ist extrem pixelig, als hätte jemand ein Handybild älteren Datums auf die riesige Leinwand geworfen. Die danach einsetzenden Bilder eines Autoinneren sind es ebenfalls – so sehr sogar, dass sich Vorder- und Hintergrund angleichen und die Matschigkeit der Bilder eine Fläche entstehen lässt, in der alles entrückt zu sein scheint. Diese Wirkung ist weder der Nähe des Screens noch einer schlecht aufgelösten Digitalprojektion geschuldet. Wie In Water, den Hong Sangsoo 2023 auf der Berlinale im Wettbewerb präsentierte, ist sein neuer Wettbewerbsfilm What Does that Nature Say to You unscharf – und zwar aus Prinzip. Das ist keine eitle, selbstzweckhafte Formspielerei, sondern ein Akt der Solidarität mit seiner Hauptfigur Donghwa, der es nicht so schlimm findet, ohne Brille alles verschwommen zu sehen. Auch nicht das Gesicht seiner Freundin.
Donghwa ist Mitte Dreißig und wurschtelt sich möglichst unabhängig vom Vermögen seines Staranwalt-Vaters mit Gelegenheitsjobs und kleinen Dichtungen durchs Leben. Eigentlich wollte er nur seine Partnerin Junhee bei ihrem Elternhaus auf dem Land abladen, doch als ihm beim Rauchen am geparkten Auto die Schönheit des Anwesens ins Auge fällt, lädt sie ihn ein, es sich näher anzuschauen. Es kommt, wie es kommen muss: Das Pärchen begegnet dem Familienvater, der seinen künftigen Schwiegersohn nach drei Jahren nun endlich einmal genau inspizieren kann. Ein unterschwelliges, mit schiefen Nettigkeiten getarntes Verhör beginnt und entsprechend verdruckst ist Donghwa. Seine Verkrampftheit löst sich erst, als der Makgeolli zu fließen beginnt.
Vertrautheit als ein unverbindliches Angebot

Was mit für Hongs Filme typischen Smalltalk-Verrenkungen beginnt, artet in kleinen Schritten und in immer schnellerer aufeinander folgenden Kapitelchen zum Clash unversöhnlicher Lebensvorstellungen und unbewältigter Familienkonflikte aus. Das mag wie ein klassischer, sich genüsslich zur Eskalation hochschraubender Komödienstoff klingen, den Hollywood bereits zigmal so erzählt hat (laut Letterboxd und Cargo-SMS: „Hong Sangsoos Meet the Parents"). Und es ist tatsächlich Hongs kompaktester, am deutlichsten auf Komödie hin geschriebener Film seit langem. Doch wie in all seinen Filmwelten liegt auch in What Does that Nature Say to You Komik neben Tragik, Spiritualität neben Suff-Ideen, Verzweiflung neben dem Willen, das Leben so zu nehmen, wie es kommt.
Aus der vertraut scheinenden Plot-Prämisse macht Hong wie gewohnt einen Alltags- und Liebesfilm, der nicht nach links oder rechts schaut, sondern sich stets selbst genügt. Einen Film, der ästhetisch und erzählerisch eigene Wege geht und der zugleich voller Verweise auf Hongs bisheriges Werk ist – letzteres jedoch nur als unverbindliches Angebot. Die Struktur des Films bricht nicht in sich zusammen, wenn Hong-Noviz:innen die vielen Querverweise nicht registrieren.
Schleichender Suff statt Trinkexzess

Essen, Saufen, Reden – es ist alles da, was man aus Hongs Kino kennt. Doch interessiert er sich hier im Gegensatz zu seinem Frühwerk nicht mehr wirklich für verschachteltes, kinoreflexives Erzählen. Alles im „Spätwerk“ ist reduziert, eng abgesteckt, übersichtlich: ein vorgefundener Ort, ein kleiner Figurenkreis, ein Ausflug, zwei Essens- und, daraus abgeleitet, eine Trinkszene. Wenn die Kamera einmal ein Eigenleben abseits der statischen Dialoghalbtotale entwickelt, interessiert sie sich erfreulich häufig für Hühner und Baumkronen. Der Sojus-Exzess früherer Filme hat mittlerweile dem schleichenden Suff des Makgeoilli Platz gemacht, das Trinkfest dem Trinktest. Auch das ausgiebige Lob für Bartfrisuren ist, glaube ich, neu. Und statt repetitivem E-Piano-Score ertönen hier die einzeln angeschlagenen Saiten eines Gayageum, einer traditionellen koreanischen Zither, die Junhees Schwester Neunghee zu lernen beginnt.
Neunghee wohnt zurzeit im Elternhaus und ist ebenso Teil des großbürgerlichen Tribunals gegen Donghwa: Wovon er lebe, was er an Junhee finde, wie der Vater ihn unterstütze, was es mit seinen Gedichten auf sich habe – zu allem muss er Auskunft geben. Dass Kreativität für ihn etwas Mysteriöses ist, tut Junhees Familie als naives Gequatsche ab. Nur fürs Nötigste arbeiten zu wollen, erscheint ihnen weit weniger plausibel als das Schwelgen im Überfluss. Kurz: Alles, wovon sich sich Donghwa lossagen wollte, begegnet ihm an diesem Tag – nicht die besten Aussichten für sein künftiges Dasein als Schwiegersohn.
Je unscharfer der Blick, desto schärfer das Gehör

Die visuelle Unschärfe, die für uns all das durch Donghwas brillenlosen Blick filtert, bringt ironischerweise eine besondere Schärfe in die Dialoge, in diesen Redeschwall aus Vergangenheit, Zukunft, Glaube, Liebe und Hoffnung. Wenn das Bild zerfließt, konzentriert man sich mehr auf das Gesagte, auf die kleinen Pausen, absurden Betonungen und gequälten Ausrufe – auf das präzise Timing, das Hong als Komödienregisseur auszeichnet.
What Does that Nature Say to You „verwehrt“ uns mit seinen Bildern keine Kinoschönheit, er verlagert vielmehr unsere Aufmerksamkeit. Am Ende friert gar das Bild ein. Vielleicht bekommen wir von Hong irgendwann noch einen Film zu sehen, der nur noch mit einer einzigen Plansequenz oder sogar ganz ohne bewegte Bilder auskommt? Mir würde zumindest kein Filmemacher einfallen, bei dem ich weniger Bedenken hätte, dass diese äußerste Reduktion funktioniert.
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