Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen? – Kritik

VoD: Alexander Koberidze fordert uns auf, die Augen zu schließen und erst auf Signal wieder zu öffnen. Danach schenkt uns Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen? ein echtes Sommermärchen und meint es ganz ernst damit.

Die Füße berühren sich ganz unabsichtlich, etwas fällt hin, man hebt es wieder auf, bedankt sich und geht wieder auseinander. Doch dieser Moment hat gefallen, und so trifft man sich wieder, ganz gezielt, ein paar Sekunden später und wieder unabsichtlich. Irgendwann begegnet man sich dann wieder unabsichtlich, diesmal wirklich. Das nächste Mal will man es nicht beim Zufall belassen, und so verabredet man sich: hier gleich im Café an der weißen Brücke über dem reißend-strömenden Fluss im georgischen Kutaissi, morgen um 8 Uhr.

Ein Film, der einen auffängt

Wie im Märchen fängt es für die Apothekerin Lisa (Ani Karseladze) und den Hobby-Fußballer Giorgi (Giorgi Bochorishvili) an. Mit dem Märchen aber meint es Alexandra Koberidzes Film Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen? ernst, und so erzählt uns eine onkelhafte Stimme davon, wie Lisa auf drei Freunde trifft, die eigentlich nicht mit Menschen reden dürfen, aber Lisa dringend warnen wollen. Setzling, Regenabfluss und Wind wollen ihr von einem Fluch erzählen. Verwandeln werden Georgi und Lisa sich am nächsten Morgen, sodass sie sich nicht wiedererkennen können, aber Wind wurde von einem Auto unterbrochen, und so weiß Lisa von einem Fluch, aber nichts von seinen Auswirkungen. Ein paar Szenen später schläft sie ein, und im Film steht geschrieben, dass wir unsere Augen schließen sollen und erst dann wieder öffnen, wenn ein Signal ertönt. Ich schließe sie tatsächlich: 1 … 2 … 3 und …

… Dong! Die Augen dürfen sich wieder öffnen. Tatsächlich liegen da nun eine andere Lisa (Oliko Barbakadze) und auch ein anderer Giorgi (Giorgi Ambroladze), und ich liebe diesen Moment des Films sofort. So sehr, dass ich Angst vor der eigenen Neugierde habe. Davor, bei dieser Online-Berlinale einfach vom Sofa aufzustehen und zurückzuspulen. Nur um zu sehen, was der Film mir vorenthalten wollte. Fast hätte ich es getan, doch dann fängt Koberidze meine Ängste nur wenig später auf: „Wenn du liebst, machst du dir Sorgen“, sagt jemand mit beruhigender Stimme.

Unweigerliches Träumen

Wie auch immer: Die Augen sind wieder offen und wollen sich nie wieder schließen. Koberidze zeigt uns nicht nur, wie ein unverhofftes Paar sich schließlich doch genau am verabredeten Ort findet, er nimmt uns auch mit in ein sommerliches Kutaissi. Eines, in dem wir Pandemieerfahrene auf ewig verweilen könnten, weil hier nie ein Virus angekommen zu sein scheint. Bald beginnt hier die Fußball-WM, und langsam bereitet sich alles vor: Am Verkehrskreisel steht schon der schwarz-weiße Riesenfußball, an dem sich die Jugend der Stadt zum kurzen Abschied leidenschaftlich in die Arme fällt. Und beim Café bei der weißen Brücke, in dem Lisa und Giorgi mit der Hoffnung auf den anderen anheuern, wird schon mal die Leinwand aufgestellt. Alle lieben den Sport, und wenn nicht, ist das auch nicht schlimm. Man rückt zusammen, die Füße berühren sich wieder. Nicht nur bei den Profis auf dem grün leuchtenden Bildschirm, auch bei den älteren Zuschauern mit den grün angestrahlten Gesichtern, den Jugendlichen, den Kindern, noch bei jedem Streuner, jedem Köter auf der Straße, und sogar von den Hunden weiß der Erzähler, wo sie am liebsten schauen. Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen? hat jedenfalls keine Angst, so ein Public Viewing mit Zeitlupe und Streichermusik in große Affekte zu verwandeln. Ob die Augen geschlossen oder geöffnet sind, das ist also vielleicht ein bisschen egal. Koberidzes Film ist auch, wenn man hinschaut, einer, den man träumt.

Georgien, ein Sommermärchen

Ein Sommerfilm, ein Märchenfilm, ein … ach komm, ich sag’s: ein Sommermärchen! Ein ganz echtes, mit Liebe und ganz viel Fußbällen, um die wir uns Sorgen machen, wenn sie im reißenden Fluss landen. Und vor allem ein Sommermärchen, von dem wir nicht wussten, dass wir es tatsächlich noch verdient hätten. Denn bei Koberidze gibt es das Träumen nur um den Preis des Wissens, dass man auch ganz schnell aufwachen kann. Diese Dinge passieren in einer schrecklichen Welt, will der Erzähler uns wissen lassen, und dass das Abbrennen von Millionen Hektar Wald letztes Jahr nur eines von zig Indizien dafür ist. Ein hoher Preis, der diesen leichten Film tatsächlich kurz zu beschweren vermag, aber nur um ihn danach von der Last zu befreien: das Turnier vom Kommerz, von Nationalismen, von Politik, von Sponsoren wie Pepsi, deren Logo beim Gucken am Kiosk meilenweit im Abseits steht. Die herumlungernden Jungs auf der Straße von ihren creepy Absichten, die dann tatsächlich nur einen süßen Scherz im Sinne haben. Die kleinen Jungen und Mädchen von den getrennten Lagern, um endlich gemeinsam hinter den Ball treten zu dürfen – in Zeitlupe und mit Gianna Nannini. Und auch Giorgi und Lisa, die mit dem Fluch auch ihre größten Talente, sein Fußballer- und ihr Apothekerinnen-Dasein, verloren haben. So muss man denn im Café arbeiten, vor allem, um sich doch noch kennenzulernen und den Fluch zu brechen, hoffentlich. Sie machen sich Sorgen.

Von Kritikersorgen

Mag sein, dass Koberidze ein bisschen einen Festivalliebling gedreht hat. Einfach zu mögen, weil so flüchtig. So schön, weil so federleicht und ohne viel diskursives Schwergewicht. Aber in einer Kritik will man so einen Film eben doch irgendwann zu fassen bekommen, und dann wird’s schwer. Noch schwerer dann, wenn man will, dass sich die Filmerfahrung irgendwie hierein überträgt und der Text trotzdem nicht versucht, das Werk nachzuerzählen, ihm hinterherzuhinken. Nach dem Film möchte ich aber erzählen, jedem Einzelnen, den ich danach sehe. Von georgischen Klängen, von einem Familienfest im grünen Garten, von einem Date mit einem Sportfan, während des WM-Finales, von Gianna Nannini, von Geigen, von unbeschwertem Fußball, von Kindern, die auf einen Ball hoffen und ihn bekommen und davon wie sie „Mesi“ verehren, nicht „Messi“ und davon, wie Koberidze vom Film erzählt und in ihm eine magische Kraft entdeckt. Ich hoffe, das überträgt sich. Ich mache mir ein wenig Sorgen.

Der Film steht bis zum 06.06.2023 in der ARD-Mediathek.

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