Wann kommst du meine Wunden küssen? – Kritik

Auf einem Hof im dunklen Schwarzwald lässt Hanna Doose vier ehemalige Freunde aufeinander los. Wann kommst du meine Wunden küssen? kommt ohne Skript und klassischen Spannungsbogen aus, und doch lauert die Eskalation in jedem Wort.

Beginnt ein Film mit langanhalten Kamerafahrten durch den dunklen, dichten Wald, liegt es nicht fern, Folklore-Horror zu erwarten. Und tatsächlich scheint die Prämisse von Hanna Dooses neuestem Werk Wann kommst du meine Wunden küssen? auch genau das sein – der pure Horror, getarnt als ein Familienwiedersehen im Schwarzwald, bei dem nicht weniger gewichtige Themen als der nahende Tod und Suizid, dazu Betrügereien aller Art an der Tagesordnung sind und das Konfliktpotenzial riesig scheint.

Schamanische Rituale

Ausgetragen werden die Konflikte von den Schwestern Kathi (Katarina Schröter) und Maria (Bibiana Beglau), nachdem Maria, zu Besuch aus Berlin, sich auf dem Hof ihrer Kindheit in der Schwarzwälder Einöde wiederfindet. Dort lebt Kathi noch immer und verschwindet manchmal für ein paar Tage im Wald, um mit schamanischen Ritualen ihrer Krebserkrankung entgegenzuwirken. Betreiberin des Hofs ist mittlerweile Laura (Gina Henkel), die gemeinsam mit ihrem Freund Jan (Alexander Fehling), Marias früherer großer Liebe, die Hauptstadt verlassen hat, um einen Neuanfang im rustikalen Süden zu wagen.

Früher eine eingeschworene Gruppe im Rausch des Großstadtdschungels, verbleiben nun drei Frauen und ein Mann, deren Ideologien und Existenzängste verschiedener nicht sein könnten. Maria lebt noch immer das Künstlerinnenleben in Berlin, immer an der Armutsgrenze und im dauerhaften Rauschzustand, Laura verliert sich in einer Affäre und verliert die Kontrolle über ihre Beziehung zu Jan, der den Umzug aufs Land im Stillen bereut. Und Kathi verzweifelt zunehmend an der Erkenntnis, dass ihr trotz der schamanischen Behandlungen nicht mehr viel Zeit bleibt.

Harte Friedensverhandlungen

Die Figurenzeichnung ist zunächst stereotyp. Maria ist die heruntergewirtschaftete Berlinerin auf Drogen, Laura der Inbegriff des Landeis, Jan der Hipster-DJ und Kathi die durchgeknallte Schamanin. Doch mit dieser Exposition führt Doose auf eine falsche Fährte. Sie lässt die Figuren schnell vielschichtiger werden und verzichtet auf erwartbare Spannungsbögen. Wann kommst du meine Wunden küssen kommt ohne Skript aus, einzig ein Handlungstreatment diente den Schauspieler*innen als Grundlage, der Rest ist Improvisation. Doose folgt den Intentionen ihres Ensembles und erzwingt so authentische Dialoge.

Dabei erschaffen die Schauspieler*innen durchweg einnehmende Figuren, deren Schmerz und Unsicherheiten stets ernst und ehrlich wirken. Und obwohl Maria, Laura und Kathi so oft um sich selbst kreisen, ist doch gerade das Zusammenspiel der drei Frauen das Interessante. Die lauernde Eskalation schwingt in jedem gesprochenen Wort mit, und ständig entladen sich Konflikte zwischen den Schwestern und der Freundin, die sich in keinem Moment konstruiert anfühlen. Ob es um bayerische Käseherstellung geht oder um vergangene Traumata wie den Suizid von Marias und Kathis Mutter, jeden Dialog inszeniert Doose wie eine harte Friedensverhandlung, die kein Wegschauen erlaubt.

Unaufhörlich drohender Untergang

Markus Zuckers Kamera hängt den Figuren dabei stets an den Lippen, schwenkt zu dem, der spricht, reagiert schnell auf das Gesagte und fängt jede Nuance des Spiels ein. Dazwischen geschnitten immer wieder lange Kamerafahrten durch den Schwarzwald, unterlegt mit einem Technomix von Kangding Ray. Dooses Hinweis auf ihre gewählte Kulisse verweist umso mehr auf die Eingeengtheit der Figuren, gleichermaßen im Haus am Waldrand als auch ihren eigenen Vergangenheiten und Weltbildern. Die Freiheit, die die Natur verspricht, bleibt für die Gruppe unerreichbar.

Doose erlaubt ihren Figuren eine lebhafte Entfaltung, aber droht gleichermaßen unaufhörlich mit ihrem Untergang, denn in vielen Momenten erliegen Maria, Kathi, Laura und Jan ihren Existenzängsten. So ist Wann kommst du meine Wunden küssen in seiner Tonalität gleichbleibend beklemmend und hinterlässt zuletzt doch das Gefühl, eher einen Horrorfilm als ein Familiendrama gesehen zu haben.

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