Vox Lux – Kritik

A Shootingstar Is Born: Ein Teenager wird vom Amoklaufopfer zum Popstar. Brady Corbet will in Vox Lux die Perfidität der Kulturindustrie zeigen und vergisst beim Blick hinter die Kulissen fast, wie interessant die funkelnde Oberfläche sein kann.

Es muss fast vorbei sein, bevor es richtig beginnen kann: Keine zehn Minuten dauert der Film, und schon läuft ein Abspann durchs Bild. Die kathartische Drastik des Anfangs von Bradley Corbets Vox Lux rechtfertigt das problemlos. Zu Scott Walkers geradezu apokalyptischer Musik erzählt Willem Dafoes nicht weniger Unheil verheißende Bass-Stimme die Geschichte des Teenagers Celeste (Raffey Cassidy), die wir als nicht „all that special“ oder gar „conspicously talented“ kennenlernen. Und doch hat sie „that proverbial something“, das gleich zum Vorschein kommt, wenn sie die Einzige ist, die am Schultisch sitzen bleibt, während die Lehrerin vor ihr verblutet und der dämonisch-schwarz gekleidete Mitschüler nun mit dem Maschinengewehr auch auf die Klasse zielt. „Is she breathing?“, fragt Celeste noch, bevor sie anbietet, mit dem Mörder zu beten. Dann fliegen wieder die Kugeln. Diesmal auch auf Celeste.

Leid als Lied

Was für viele ein tragisches Ende bedeutet hat, ist in Vox Lux der Anfang einer Karriere. Ihr knappes Überleben hat Celeste von einem normalen Highschool-Schülerinnenleben in ein anderes System katapultiert. Die Medien fragen nach Interviews, und auf dem Gedenkgottesdienst der örtlichen Kirche gibt man ihr die Möglichkeit, eine Rede zu halten, was sie stattdessen nutzt, um ganz unschuldig ein selbstgeschriebenes Lied zu singen („I tried it my way and I failed to save me from myself“). Willem Dafoe erzählt in seinem zynischen Rückblick, wie ganz Amerika den Song für sich beanspruchte, die individuelle Erfahrung zu einer kollektiven machte und ein angeheuerter Produzent das „I“ zum „We“ änderte: „Simply put: It was a hit.“ Darauf folgt, was folgen muss: Aufnahme eines Albums in den bedrohlich inszenierten Wolkenkratzern New Yorks, das Anheuern eines leicht gereizten Managers (Jude Law), Videodreh der neuen Single mit dunklem Glitzer-Image, Einführung der christlichen Celeste in die Welt von Sex und Drugs, erster Hotelzimmeraufenthalt mit einem schwedischen Rockstar – er präkoital mit entblößtem Oberkörper, sie neben ihm liegend mit naiven Karriere-Träumereien: „I don’t want people to have to think too hard. I just want them to feel good.“

Verrohung eines Shootingstars

So weit, so schematisch: Popmusik als seelenlose Kultur und die Popkarriere entsprechend als perfides Produkt der Kulturindustrie. Wenn der Film einen Zeitsprung von 2001 nach 2017 vollzieht, ist Celeste (Natalie Portman) denn auch zum zynischen Skandal-Wrack geworden, zur erwachsenen Konsequenz ihres Teenie-Popstars-Ichs: Eskalierende Streits mit Journalisten und etwas zu aufdringlichen Fans sind an der Tagesordnung, und vor Jahren gab es einen selbstverschuldeten Autounfall, weil Celeste sich auf einem Auge blind gesoffen hat. Das Schauspiel Portmans lässt einen unweigerlich an ihre Oscar-Rolle in Black Swan denken, die in puncto Selbstzerstörung durchaus vergleichbar ist. Was bei der Balletttänzerin Nina aber noch aus einem krankhaften Perfektionismus erwuchs, entspringt bei Celeste dem längst verlorenen Glauben an die eigene Kunst („Their business model relies on their customers unshakable stupidity […] You know, I’m pretty sure my videos keep getting worse and worse but they’re doing better and better“). Die biblische Motivik dieser Verrohungserzählung ist dabei unübersehbar ins Bild gesetzt: Corbet beginnt mit einer „Prelude“, worauf ein filmisches Triptychon aus drei Akten mit Namen wie „Genesis“ oder „Regenesis“ folgt. Auch von einem Pakt mit dem Teufel wird im „Finale“ noch die Rede sein.

Krude Gegenwartsanalyse

Wie ernst es Vox Lux mit dieser Backstage-Erzählung ist, bleibt unklar. Zum einen inszeniert der Film die Popkultur mit derart greller Deutlichkeit als kalkuliertes und zerstörerisches Kulturprodukt (die apokalyptische Musik, der zynische Erzähler, das Teufels-Motiv), dass ein ironischer Bruch in greifbarer Nähe scheint. Zum anderen lässt er sich dann aber doch zu sehr durch die Dramaturgie dieses Narrativs bestimmen, um diesen Bruch mit sich selbst je zu vollziehen. Mit seinem Beititel A Twenty-First Century Portrait beansprucht der Film ziemlich großspurig, eine Gegenwartsanalyse zu sein, in der Highschool-Shootings, 9/11 und andere terroristische Anschläge (oft ziemlich krude) mit dem Popstar-Phänomen kurzgeschlossen werden. Doch erscheint das mehr als Kopfgeburt denn als ein wirklich selbstreflexives Spiel mit dem Sujet.

Das „Finale“ des Films immerhin stellt sich dieser Tendenz etwas entgegen. Bis dahin schien Vox Lux in seinem Drang, hinter die Kulissen des Showbiz zu blicken, fast vergessen zu haben, wie interessant die Kulissen selbst sind. Die Musik der Protagonistin hat er bis dahin weitestgehend ausgespart. Der letzte Akt aber ist endlich eine ungebrochene Sequenz eines Bühnenauftritts, in der immer wieder Spuren in Celestes Vergangenheit gelegt werden, die vorher im Backstage gründlich weggeredet, -getrunken und -gestritten wurden: Die Worte „pray“, „past“ und „present“ werden groß auf die Bühne projiziert, und Zeilen wie „I’m a private girl in a public world“ und „I was barely alive“ sind zu hören. Zuschauerreaktionen werden aus der Menge kadriert: Es wird geschrien und getanzt, es wird innegehalten und mit den Tränen gekämpft. Da verschmelzen Back- und On-Stage-Erzählung für einen kurzen Moment zum ambivalenten Reflexionsraum, der fragt, ob die eigene Vergangenheit hier wirklich nur noch als kommerzielles Produkt auftritt oder ob sich das Trauma im Unbewussten nicht doch hartnäckig an die Oberfläche drängt. Und ob im Pop feel good und think too hard wirklich so naiv zu trennen sind.

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