Viet und Nam – Kritik
Regisseur Trương Minh Quý verarbeitet in Việt und Nam die Traumata seines Landes als Liebes- und Geistergeschichte. Ein Film voll dunkler Zwischenräume und rauer Intimitäten, durchsetzt mit Momenten subtilen Horrors.

Zwei Männer sitzen im pechschwarzen Dunkel. Im Hintergrund leuchten die Sterne. Mit langsamer Bewegung berührt der eine den anderen, streichelt ihn sanft. Ein kurzer Moment der Nähe, dann Lärm und Stimmen. Die beiden ziehen sich ihre Helme auf und schalten die Stirnlampen ein, während ihre Kumpel an ihnen vorbeiziehen: Wir befinden uns in einem Bergwerk. Die Sterne sind in Wahrheit der Abglanz des wenigen Lichts auf den Kohlen. Die zwei Liebhaber, Việt (Duy Bảo Định Đào) und Nam (Thanh Hải Pham), sind Arbeitskollegen. Im Kohlebau haben sie ihren Job – und heimlich Sex. Doch bald sieht sich Nam aufgrund der miserablen wirtschaftlichen Lage in Vietnam gezwungen, das Land und damit auch seinen Partner zu verlassen. Später im Film werden sich die beiden erneut im Dunkel gegenübersitzen und mit den grausamen Folgen des Fluchtversuchs zu kämpfen haben.

Việt und Nam ist ein Film der dunklen Zwischenräume und der rauen Intimitäten. Kein Brokeback Mountain, wo der mächtigen Naturkulisse noch eine süßliche Romantik innewohnt. Die nordvietnamesische Bergarbeiterstadt, in der Trương Minh Quýs auf körnigem 16mm gedrehter Film spielt, ist ein Ort der Industrie: oft bewölkt, voll dunkler Werkstätten und zugestellter Innenräume, immer im Schatten eines großen Felsmassivs. Im Hintergrund dröhnen in zuverlässigen Abständen Explosionen. Tagtäglich werden Teile des Bergs gesprengt und sein Inneres nach oben befördert. Der Bergbau wird hier zum Sinnbild für ein Land, dessen kollektives Bewusstsein noch 2001, zur Erzählzeit des Films, vom Vietnamkrieg überschattet ist. Die Überreste der Toten liegen verstreut in der verminten Erde, immer wieder dringen sie sowohl geisterhaft als auch ganz real an die Oberfläche. Vor diesem Hintergrund stellt sich Việt und Nam eine so einfache wie schwierige Frage: Welche Formen der Liebe und des Zusammenhalts sind angesichts der historischen Traumata noch möglich?
Kohle und Ohrenschmalz

Während Trương Minh Quýs dritter Langfilm aufgrund seines düsteren Grundtons in Vietnam verboten wurde, konnte er 2024 in der Nebenreihe Un Certain Regard in Cannes Premiere feiern und nicht wenige Kritiker*innen begeistern. Ein Vergleich wurde dabei besonders oft bemüht: der mit den langsam inszenierten, magisch-realistischen Filmen von Apichatpong Weerasethakul. Und tatsächlich erinnert der gemächlich und in losen Szenenfolgen erzählte Liebes- und Gespensterfilm Việt und Nam an Werke wie Tropical Malady (2004) oder den Cannes-Gewinner Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben (2010) – auch aufgrund der langen, weitgehend statischen Einstellungen (Kamera: Son Doan), die nur manchmal durch langsame Kamerafahrten dynamisiert werden.

Dabei lassen sich die Erzählstrukturen bei Weerasethakul nicht einfach auf das politisch komplexe Szenario in Trương Minh Quýs Werk übertragen. Jede Einstellung in diesem tieftraurigen Film erzählt von den Traumata eines gespaltenen und doch nach Zusammenhalt suchenden Landes, symbolisiert durch die (wenig subtil benannten) zerrissenen Liebenden Việt und Nam. In ihren einfühlsamen und zugleich rauen Begegnungen scheint der Film nach einer neuen, von Konventionen befreiten Kommunikation zu suchen. Etwa, wenn einer dem anderen nach dem Analsex das Blut zärtlich über den Bauch verstreicht. Oder in der vielleicht provokantesten Szene des Films, wenn schwarzer Ohrenschmalz mit sichtbarer Lust hervorgeholt und verschlungen wird. Die Körper der Liebenden sind in diesen Momenten von der Kohle dunkel geworden und geben kurz Hoffnung, dass eine zärtliche Verbindung mit der verminten, zerstörten Erde des Landes möglich ist.
Die Geister stecken in der Erde

Eine solche Verbindung ersehnt sich auch Nams Mutter Hoa (Thị Nga Nguyễn). Zusammen mit den beiden Liebenden und einem weiteren Freund namens Ba (Viet Tụng Le) sucht sie den unbekannten Sterbeort ihres Ehemannes, den sie kurz zuvor noch im Traum gesehen hat. Ihre spirituelle Reise vom Norden des Landes in den Süden stört auch immer wieder den ansonsten ruhigen Erzählton des Films, denn in den dichten Wäldern sind die Toten der 70er-Jahre plötzlich sehr nahe. Ein weißgeschminktes Medium, auf das die Gruppe trifft, zeigt ihr schreckverzerrtes Gesicht und aus einem Erdloch scheint plötzlich der tote Vater zu starren. Sein Sohn Nam bekommt heftige Angst. Dann ertönt aus dem Nichts ein lauter Schuss. In diesen Momenten funktioniert Việt und Nam als surrealer Horrorfilm, mitsamt Jumpscare.

Regisseur Trương Minh Quý (geboren 1990) hat den Vietnamkrieg selbst nicht miterlebt. Im Interview mit dem US-amerikanischen National Public Radio verrät er aber, dass er sowohl mit Hollywoodfilmen über diesen Krieg als auch mit vietnamesischen Propagandafilmen aufgewachsen war. In Việt und Nam lässt er beide Erinnerungen einfließen. Dieser reiche Fundus an Referenzen erklärt vielleicht auch die Sprünge im Tonfall des Films, der traurig, lethargisch, aber auch grotesk und spielerisch wirkt. Ein einfache Seherfahrung ist Việt und Nam sicherlich nicht – zumindest nicht für ein westliches Publikum. Die Handlung entwickelt sich unvorhersehbar und die von ihren Visionen und Traumata geleiteten Figuren handeln oft sprunghaft. Es scheint, als würde der Film ganz gezielt zu den Menschen in Vietnam sprechen wollen – die ihn jedoch aufgrund des Verbots seitens der Regierung nicht sehen können. Es ist zu hoffen, dass der zärtliche wie verstörende Việt und Nam nicht nur hierzulande, sondern irgendwann auch in seinem Produktionsland sein Publikum finden wird.
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