Utama. Ein Leben in Würde – Kritik
Das Wasser wird knapper, der Regen kommt nicht: Das bildgewaltige Regiedebüt Utama erzählt von einem Ehepaar im bolivianischen Hochland, das vor der Frage steht, ob es seine Heimat verlassen oder die Tradition um jeden Preis bewahren will.

Der Wind faucht bitterlich und eine einsame Glocke erklingt. Ein alter Cowboy wankt durch eine menschenfeindliche Wüstenlandschaft, der untergehenden, eigelben Sonne entgegen. Dieser Alte ist Virginio (José Calcina), Angehöriger des andischen Aymara-Volkes, der mit seiner Frau Sisa (Luisa Quispe) im bolivianischen Hochland lebt. Ihr kleines Haus steht alleine am Rande des ewigen Plateaus. Zwei Zimmer, Wüste, Bad. Hier leben sie schon ewig, von und mit ihrer Horde Lamas, deren orange-pinke Ohrenschleifchen über die Absperrung der Koppel zucken.
„Was bleibt uns übrig, außer zu gehen?“

Allmorgendlich legt das alte Ehepaar los. Wenn Sisa in Richtung Dorf aufbricht, um Wasser zu holen, ist Virginio schon mit den Lamas weg. Wie jeden Tag, wie jedes Jahr. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Mann vorstellen. Aber dieser Sisyphos hustet, Virginio ist krank. Die harte, körperliche Tagesarbeit wird nicht mehr lange gut gehen. Da hilft selbst das gepflegteste Auftreten, das sanfteste Wesen nicht.

Und auch das Wasser wird immer knapper, der so nötige Regen kommt und kommt nicht. Der Klimawandel ist auch hier im Altiplano lebensbedrohlich. Mit ihren Nachbarinnen sitzt Sisa am Ufer eines matschbraunen Wüstenflusses. „Was bleibt uns übrig, außer zu gehen?“, sorgen sich die Damen, während sie in feinen Hüten und blau-gelben Kleidern Wäsche waschen. Sie, Sisa, wäre wohl längst dem Sohn in die Stadt nachgezogen. Aber Virginio würde das Wasser eher aus den Bergen saugen, als ihr Heiliges Land aufzugeben und umzuziehen. Und der Regen komme sicher ohnehin bald.

Diese Geschichte könnte vor Jahrhunderten spielen. Außer der Dürre deutet nichts auf die Gegenwart hin – bis plötzlich Enkelsohn Clever (Santos Choque) auftaucht. In globalistischer Plastikjacke samt Kopfhörern und Smartphone durchbricht er die ästhetische Harmonie des Films. So plump der Kontrast auch anmuten könnte, der brutale Bruch zwischen mystischer Aymara-Tradition und synthetisch glattgezogener Design-Moderne sitzt.
Der Blick geht in Richtung Berge

Clever ist ein Alien, der mit der Andenkultur nichts mehr zu tun hat, aber er ist auch Enkel. Und als dieser hört er das bedrohliche Husten des Großvaters, während der den verzogenen Städter für Wissen und Weisheit der Ahnen sensibilisieren will. Virginio weicht Fragen nach seinem Husten aus, wie immer, und verweist auf den heiligen Kondor, den Andenboten, der beispielhaft lebt und stirbt. Denn wenn das Tier merkt, dass es nicht mehr nützlich ist, zieht es sich in die Berge zurück und stürzt sich dort in den Tod. Dass Virginio es genauso machen will, steht außer Frage und wirkt so schlüssig wie alles andere, was man von ihm sieht.

Doch Clever protestiert, sie müssten in die Stadt, zum Arzt, und auch das Wasserproblem werde nicht verschwinden. Selbst im Dorfrat sind nur noch wenige Virginios Meinung, man müsse hierbleiben, um jeden Preis die Tradition bewahren und beten. Nicht mal Sisa. Doch die schweigt, würdevoll und trotzig, auch wenn sie das weit entfernte Wasser kaum noch holen kann. Brunnen von der Regierung, die würden helfen, doch auf die ist hier wohl wirklich kein Verlass. Und so bleibt es an Clever, sich weiter mit dem Alten zu reiben und ihm nach heftigem Streit dem Arzt nach Hause zu bringen. Und dort muss er ertragen, wie der Großvater sich treu bleibt, modernen Vorstellungen zum Trotz. Aber auch Clever ist da schon halb verwandelt, die Plastikkleidung längst verschwunden. Sein Blick geht Richtung Berge.
Brachiale Naturschönheit

In seinem bildgewaltigen Regiedebüt verbindet Alejandro Loayza Grisi die einzigartige Szenerie des bolivianischen Altiplanos mit einer universellen Geschichte über Heimat, Liebe und Tod. Im Miteinander der Aymara-Gemeinde tritt eine spirituelle Verbundenheit mit Natur und Brauchtum in den Vordergrund, die den Menschen Sinn und Erdung zu verleihen scheint und unsere durchrationalisierte Moderne kalt erscheinen lässt. Immer wieder gelingt es dem als Kameramann für Dokumentarfilme geschulten Grisi, Bilder von großer Symmetrie und brachialer Naturschönheit zu produzieren, von denen viele auch für sich alleine stehen könnten. Wenn die weiten Landschaften dann in Porträts übergehen und hier von zutiefst menschlichen Konflikten erzählt wird, lebt etwas von dieser zeitlosen Natur auch in den Figuren weiter, vertieft ihre Verbindung zusätzlich. Könnte man jetzt doch nur den Regen ins Altiplano schicken.
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