Until Tomorrow – Kritik

Berlinale 2022 – Panorama: Eine junge Frau irrt durch Teheran, um ihr uneheliches Kind vor ihren Eltern zu verstecken. Ali Asgaris Until Tomorrow spielt mit den Grenzen des Zeigbaren.

Die Studentin Fereshteh (Sadaf Asgari) hat drei Probleme: ein uneheliches Kind, einen Erzeuger, der sich aus dem Staub gemacht hat, und einen kurz bevorstehenden Besuch ihrer Eltern, die vom Nachwuchs noch nichts wissen. Und dann wäre da noch ein übergreifendes Problem: Fereshteh lebt im Iran, weshalb die obigen Sorgen sich zu einer handfesten Krise vermengen. Die Lösung: Der Säugling muss für eine Nacht weg – ebenso die Windeln, das Spielzeug, der Babybrei und überhaupt alles, was irgendwie auf das Kind hindeuten könnte.

Also klopft die junge Frau bei den Nachbarn an – doch einige machen einer alleinerziehenden, unverheirateten Mutter gar nicht erst auf, andere lehnen jegliche Unterstützung ab. Und so irrt Fereshteh gemeinsam mit ihrer besten Freundin Atefeh (Ghazal Shojaei) quer durch Teheran und versucht, irgendeine Bleibe für das Kind zu finden. „Du könntest ja zum Parlament fahren und darum bitten, dass die rechtliche Lage von Frauen verbessert wird“, scherzt Atefeh einmal bitter, als sich eine weitere Option zerschlagen hat.

Der Preis der Unterdrückung

Ähnlich wie Alles über Elly (Darbareye Elly, 2009) oder Lantouri (2016) beleuchtet auch Ali Asgaris Panorama-Beitrag Until Tomorrow (Ta farda) eine Situation, die erst durch die gesellschaftlichen Umstände im Iran zu einer veritablen Notlage mutiert. Den Eltern einfach die Wahrheit zu sagen ist angesichts des Stigmas, ein uneheliches Kind zu haben, überhaupt keine Option. Bekannte verweigern ihre Hilfe, weil sie fürchten, ihren Ruf zu gefährden. Und selbst Atefeh kann ihrer Freundin nicht helfen: Aus dem Studentenheim würde sie rausfliegen, falls jemand das Baby bei ihr entdeckt – und in ein Hotel kann sie auch nicht gehen, weil Hotels keine alleinstehenden Frauen mit Kindern aufnehmen.

Ali Asgari macht deutlich, welchen Preis die gesetzliche und moralische Ordnung fordert, die die iranische Theokratie den Menschen auferlegt: Fereshteh verstrickt sich in ein Netz aus Lügen und gefährdet letztlich andere Menschen, um ihr Problem zu lösen, das in anderen politischen Systemen vergleichsweise banal wäre.

Ein Spiel mit den Grenzen des Machbaren

Filmisch ist das Ganze nicht übermäßig spannend, da die Story über die gesamte Spielzeit mit trockenem Handkamera-Realismus erzählt wird. Dafür geht Until Tomorrow in einzelnen Aspekten weiter als manch anderer iranische Film: Eine Freundin, die bereits ihre Unterstützung zugesagt hatte, fällt als Option aus, da sie gerade ohne Angabe von Gründen verhaftet wurde. „Obwohl sie Anwältin ist?“, wundert sich Atefeh. „Gerade weil sie Anwältin ist“, kontert Fereshteh. Auch die Art und Weise, wie explizit Asgari die sexuelle Erpressung durch eine Machtfigur thematisiert, ist ungewöhnlich für das iranische Kino. So wie viele Frauen im Iran täglich ausprobieren, wie weit sie ihr Kopftuch angesichts der Religionspolizei zurückschieben können, so ist auch die Integration solcher provokanten Filmszenen ein stetes Spiel mit den Grenzen des Zeigbaren.

Wie sich das Land mit der Unterdrückung großer Teile der eigenen Bevölkerung letztlich – in Form von brain drain – selbst schadet, zeigt eine Unterhaltung der beiden Frauen während einer Busfahrt: Der Hauptzweck ihres Studiums scheint für beide darin zu bestehen, ihre Chancen auf Auswanderung zu erhöhen. Die eine will nach Kanada emigrieren, die andere lieber nach Alaska, weil man dort keine anderen Iraner treffe. „Da sei dir mal nicht so sicher“, scherzt Fereshteh, „nachher stolperst du da über einen Kebab-Laden – und der gehört dann einem Verwandten.“ Vor der Flucht ins Ausland steht die Flucht in Verzweiflung und Zynismus.

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