Und morgen die ganze Welt – Kritik

Friedliches antifaschistisches Engagement reicht Luisa nicht: Und morgen die ganze Welt erzählt die Geschichte einer Radikalisierung. Die Revolution versetzt Heldin und Handkamera in Aufregung, doch zum Glück wissen die Boys, wie’s läuft.

Und morgen die ganze Welt ist einer jener Filme, die oft lobend als „wahnsinnig aktuell“ bezeichnet werden. Dabei trifft das Prädikat gar nicht das, was in Julia von Heinz’ in Venedig uraufgeführtem Film thematisch verhandelt wird: nämlich die immerwährende Frage von Gewalt und Gegengewalt. Es sind Versatzstücke, die den Film von Regisseurin von Heinz an aktuelle Diskurse anschlussfähig machen: Angesichts brennender Geflüchtetenunterkünfte, rassistisch motivierter und gewalttätiger Übergriffe sowie des Erstarkens der rechten Partei „Liste 14“ (deren blau-rot-weißes Design der Alternative für Deutschland nachempfunden ist) will Jura-Studentin Luisa (Mala Emde) endlich etwas unternehmen.

Was passiert da bloß mit dem Kind?

Die junge Frau aus wohlhabendem Haus hängt sich an Freundin Batte (Luisa-Céline Gaffron), die in einem linken Wohnprojekt unterwegs ist. Dort lernt Twentysomething Luisa Alfa (Noah Saavedra) und Lenor (Tonio Schneider) kennen. Während der skeptische IT-Typ Lenor heimlich für Luisa schwärmt, drängt Macho-Revoluzzer-Posterboy Alfa nach vorne. „Zugucken ist nicht“, erklärt er Rookie Luisa einmal, „mitmachen oder abhauen!“. Der tatendurstigen Luisa geht das friedliche antifaschistische Engagement des Wohnprojekts dann auch bald nicht mehr weit genug. Bei einer Demonstration prügelt sie sich mit einem Nazi, steckt sein Handy ein. Gemeinsam mit Alfa und Lenor bemerkt sie Verbindungen von rechter Szene, Polizei und Politik – und die Freundinnen Batte und Luisa entfernen sich angesichts der Frage, ob Gewalt ein legitimes Mittel zum Widerstand ist.

Und morgen die ganze Welt will eine Geschichte der Radikalisierung erzählen. Deswegen hängt sich die Kamera an das Gesicht von Mala Emde (Bildgestaltung: Daniela Kapp), als wollte sie verstehen, was da mit dem Kind bloß passiert. Die wackelige Handkamera, die die Aufnahmen von Konzerten, Demos, Sachbeschädigungen und tätlichen Auseinandersetzungen prägt, erzeugt Spannung, stellt das Gefilmte spektakelartig aus. Die Bildgestaltung in von Heinz’ Film teilt die Aufregung der Protagonistin bei dem Versuch, Widerstand zu erproben, ein bisschen Revolution zu machen. „Ist das eigentlich laut, wenn man Reifen zersticht?“, fragt Luisa Lenor und Alfa, als das Trio einen Übergriff auf eine rechte Versammlung plant. Zum Glück wissen die Boys, wie’s läuft.

Die Rückkehr der Jule aus Weingartners 303

Das Klischee der bürgerlichen Tochter, die nicht mehr bei Mama wohnen will und auf die Barrikaden geht, stellt der Film offensiv aus und thematisiert so, wer sich welches politisches Engagement leisten kann. Hauptdarstellerin Mala Emde spielte zuvor in Hans Weingartners 303 (2018), in dem die beiden Studierenden Jule (Emde) und Jan (Anton Spieker) sich bei einem Roadtrip nach Portugal und philosophischen Gesprächen näher kommen, ein Film, der den Traum des Aussteigens aus der Gesellschaft lebte. Fast scheint es, als wäre diese Jule zurückgefahren nach Deutschland und aus dem Mercedes Hymer 303 ausgestiegen, als hätte sie das FLOW-Magazin mal beiseite gelegt, sich umgesehen und fix in Luisa umbenannt.

Dass indessen die Fragen, mit denen sich Und morgen die ganze Welt beschäftigt, nicht so „wahnsinnig aktuell“ sind, wie es andere Rezensionen nahelegen, zeigen vor allem die Alten im Film, die die Sprüche liefern, die sie schon immer geliefert haben (Beispiel: „Wer mit 20 Jahren nicht links ist, hat kein Herz. Wer mit 30 Jahren noch links ist, hat keinen Verstand“). Und morgen die ganze Welt verbindet den ernst gemeinten politischen Findungsprozess von Luisa mit ihrer Ablösung vom Elternhaus, ist Coming-of-Age-Film, obwohl die Protagonistin ein wenig zu alt dafür ist. Dennoch will der Film betonen, dass Luisas Handlungen keine Trotzreaktionen sind, sondern eigene Entscheidungen. Neben der Familie besetzen die weiteren, wenigen Figuren in von Heinz’ Ensemblefilm je gesellschaftliche Positionen, ähnlich einem Brecht’schen Lehrstück. Das wird nicht zuletzt durch Alfa (pro Gewalt gegen Nazis) und Lenor (weniger pro Gewalt) markiert. Holzschnittartig verkörpern beide Männer gegensätzliche Meinungen, zwischen denen Luisa pendelt und sich entscheiden muss.

„Die wollen Tote sehen“, sagt Luisa einmal, als sie die Fassungslosigkeit über rechte, organisierte Gewalt und deren Ausmaß überwältigt – mehr braucht der Film als Erklärung für ihre Motivation nicht, und das ist durchaus angenehm. Aber die heterosexuelle ménage à trois in Und morgen die ganze Welt wird für diese Setzung zum Problem, weil sie die Protagonistin einfängt, sie überschreibt. Zusehends interessiert sich Luisa für den aufmüpfigen Alfa, sodass fraglich erscheint, ob ihr Tun tatsächlich selbstbewusster Ausdruck ist oder eher dazu dient, den Mann mit den braunen Wuschelhaaren zu beeindrucken.

Selbstentlarvung, Selbstdistanzierung

Und morgen die ganze Welt verstrickt sich in stereotype Darstellungen, von Menschen, Affekten, Themen. Es ist ein ärgerlicher Film, weil er betont, wie einfach es sei, die Welt anders, solidarischer, zu gestalten, als Film selbst allerdings schon vor dem Andersmachen kapituliert. Bemerkenswert ist hier unter anderem die Inszenierung des Wohnprojekts, in das Freundin Batte involviert ist und das als Kombination aus penibler Vereinsmeierei und aggressivem Kampfsportstudio vorgeführt wird; ein Ort, wo schon mal geübt werden kann, wie sich Nazis am besten vermöbeln lassen (als würde das immer in linken Wohnprojekten passieren), und den der Film als Schauplatz nutzt, um Körper zu zeigen, die nicht weiß, nicht normschön, nicht cis-geschlechtlich sind (als würde es diese Körper nur in linken Wohnprojekten geben). Sie entlarven die Besetzungspolitik des Filmes, nach der es diese Körper nicht in den Hauptcast schaffen werden.

Der Filmtitel entspringt Hans Baumanns Es zittern die morschen Knochen, das 1935 zum nationalsozialistischen Propagandalied wurde und inzwischen verboten ist. Die vollständige Liedzeile lautet: „Heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt“. Die Titelwahl ist eine Aneignung des rechten Größenwahnsinns, der sich in Baumanns Lied vollzieht, ein Affront, vielleicht gar Drohung gegen die, die sonst dieses Lied singen. Im Filmtitel kommt das Stürmische und Drängende mit dem Feeling einer Jugendbewegung zusammen, die sich neu aufstellt, die erobern will. Und zugleich bringt sich der Film durch seinen Titel hufeisenmäßig in Stellung, stellt möglicherweise rechte und linke Gewalt auf eine Ebene. Vielleicht ist es das, was Und morgen die ganze Welt so „wahnsinnig aktuell“ macht: Nicht die Frage nach der (Un-)Rechtmäßigkeit von gewaltsamen Protest, nicht seine Darstellung von Antifaschismus, der doch immer mehr als ein trending topic sein muss, nicht das filmische Personal, das schon mal da war, sondern die Haltung eines Films, die entschieden daherkommt, aber bei genauerem Hinsehen dann doch die Möglichkeit zulässt, sich easy von sich selbst distanzieren zu können.

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