Der schwarze Diamant – Kritik
Hand in Hand schaffen sie Erfahrung, Werk und Miniaturen: Josh und Benny Safdie, Adam Sandler, Darius Khondji und Daniel Lopatin. Eine andere Art Starkino.

Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never ist vom ersten Moment an spürbar der Star hinter Der schwarze Diamant (Uncut Gems), gleichberechtigt neben Adam Sandler und den Safdie-Brüdern. Es ist selten, dass der Soundtrack eines Films so wichtig für die filmische Erfahrung ist. Dieser Eindruck, der sich ganz ähnlich beim letzten Film der beiden Regisseure, Good Time (2017), einstellte, hat etwas mit Exzentrik zu tun, die Musik gestaltet Momente, gestaltet Montage, gestaltet die Bilder, das Spiel.
Oft wirkt die Musik kontrapunktisch eingesetzt, schleicht sich etwa ein Jazz-Motiv in die Elektro-Komposition, die Musik setzt eine Pause, wo in den Bildern und im Schnitt nichts langsamer zu werden scheint. Doch schon bald reagiert auch die Handlung auf die Musik, und die unterschiedlichen Mittel finden wieder einen gemeinsamen Rhythmus. Der Score kann im Wechsel Teil des Werks sein und eigenständig, es ist eine Vorgehensweise, die für die künstlerische Ambition der Safdie-Brüder spricht.
Ihr unbedingter Werkanspruch, der Wille zur Gestaltung einer monumentalen filmischen Erfahrung, verhindert nicht, dass die einzelnen Teile immer wieder kenntlich werden, die Einzelleistungen sicht- und spürbar herausgestellt. Was genauso selbstverständlich für die Kamera von Darius Khondji (Amour, Se7en, Okja …) gilt wie für die Montage von Benny Safdie und Ronald Bronstein (der gemeinsam mit den Brüdern auch das Drehbuch verantwortet).
Wenn im Kino Gegenwart provoziert wird

Der schwarze Diamant teilt mit seinem Vorgänger die Dringlichkeit, die Faszination für Stress, für den Augenblick, der aufgeladen ist mit der Nervosität einer Kette an schlechten Entscheidungen. Mit dem Unterschied, dass die Safdies ein größeres Panorama, vor allem an Figuren und Lebenswelt aufmachen, Adam Sandler als jüdischen Familienvater, als Schmuckhändler und als Basketballfan inszenieren. Es ist ein wilder Ritt durch eine kurze Zeit seines Lebens, ein Deal steht im Mittelpunkt, der glorreich aufgehen könnte. Umso mehr muss schiefgehen, um den Rhythmus aufrechtzuerhalten, um von eine Idee zur nächsten zu stolpern, ganz dicht am Geschehen dran.
Dass Der schwarze Diamant für Netflix entstand, ist mehr als eine Randnotiz, weil der Film sich geradezu nach der großen Leinwand verzehrt, das 35mm-Material, auf dem er entstand, virtuos nutzt, um eine Welt zu erschaffen, die sich ertastbar anfühlt. Klar, das ist auch retroschick und darin ganz Kind seiner Zeit. Wichtiger als alles andere ist natürlich, dass der Film überhaupt entstehen konnte. Und doch wünsche ich vielen anderen, ihn auch im Kino sehen zu können. Mit der Kamera in den sonderbar funkelnden Stein aus Afrika einzutauchen und das Gesicht von Sandler zu erforschen, der nicht mehr beweisen braucht, was für ein nuancierter Schauspieler er ist. Der schwarze Diamant triggert mich wie wenig andere Filme, ich durchschaue das. Aber ich will gern getriggert werden von der Aufregung, die es heißt, wenn im Kino Gegenwart provoziert wird.
Stress wird zum Vergnügen

Immer wieder muss ich an Xavier Dolan denken, weil Konfliktdichte, Nervosität und Humanität so schön Hand in Hand gehen, weil die Gestaltung der Mittel mit großer Lust am Effekt betrieben wird, weil authentisch ist, was hergestellt wird, in seiner subjektiven Zurichtung. Der Film kann im Nachbeben noch besser sein: Die Szenen, die in der Erinnerung verweilen, es sind gebaute Blickachsen, Bilder, die aufgeladen sind durch ihre Bedeutung für die Figuren. Bilder als Vektoren. Es passt sich perfekt in den Drang des Thrillers ein, Antizipation herzustellen.
Räumliche Arrangements spielen dabei eine besondere Rolle. Da wäre etwa der großartige Durchgang zum Juwelierladen, zum Eigenschutz gibt es nicht nur eine Klingel und einen Buzzer, sondern eine Schleuse. Wer in den Laden will, der muss sich zuerst vor der Überwachungskamera zu erkennen geben und tritt dann in einen Vorraum, eine Schleuse aus gepanzertem, durchsichtigem Glas. Und weil bei dem Kleinganoven auch mal was schiefgeht, klemmt die Türmechanik im entscheidenden Moment, und die wichtigen Kunden stecken im Zwischenraum fest. In solchen Szenen greift alles ineinander, der Stress wird zum Vergnügen von Montage, Kamera und Musik, das Schauspiel fügt sich als Puzzlestück hinein, und die Blicke entschlüsseln sich affektiv wie narrativ.
Das Absurde verstärkt die Anspannung

Josh und Benny Safdie bauen den ganzen Film aus solchen Miniaturen. Sie sind der Kern, auch emotional, weil nichts herankommt an dieses Auf-180-Sein. Weil Howard Ratner, so heißt Sandlers Figur, in lauter Beziehungen verstrickt ist, aber nichts wichtiger für ihn als das Tricksen ist. Im Gegensatz zu Good Time, wo die brüderliche Bindung wie ein Kitt wirkt, um das Extravagante zu erden und zu verbinden, ist Der schwarze Diamant kühler, näher an den Transaktionen, die Howard orchestriert, und an der Komik, die das Gesicht von Sandler genauso wie die tölpelhafte Anlage der Figur mitbringen.
Die Safdies wechseln nicht die Register, wechseln nicht vom Komischen in den Thrill und zurück, sondern verschmelzen beides miteinander. Selten gibt es einen Augenblick von comic relief, Erleichterung durch den Humor. Eher verstärkt das Absurde und Lächerliche mancher Momente noch die Anspannung. So wie der hyperbolische Score, die ständige Bewegung der Kamera und die geschmeidig-schnelle Montage den Druck aufrecht halten: Hand in Hand dafür sorgen, dass die Erfahrung immer neue Gegenwart darstellt, der Puls oben bleibt, sich der Blick schärft für die Details.
Neue Kritiken

Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes

Kung Fu in Rome

Dangerous Animals

Versailles
Trailer zu „Der schwarze Diamant“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (14 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.