U.F.O. Abduction – Kritik

Direct to Video: Die VHS-Kassette wirkte wie das Beweisstück eines Verbrechens. Bevor Found-Footage-Horror mit The Blair Witch Project zum eigenen Genre wurde, lieferte Dean Aliotos U.F.O. Abduction (1989) die Blaupause dafür.

Das Haus der verwitweten Van-Heese-Matriarchin (Shirly McCalla) wirkt wie eine Höhle: Draußen die von der Dunkelheit verschlungenen Berge Connecticuts und drinnen ein gelblich wärmendes Licht, das die am Esstisch zusammengerückte Familie mit ihren rustikalen Flanellhemden und nordisch gemusterten Strickpullis erhellt. Anlass der Zusammenkunft ist der 5. Geburtstag der kleinen Michelle (Laura Tomas). Aber als eigentliche Attraktion erweist sich Onkel Michaels (Dean Alioto) neue Videokamera, durch deren Linse wir das vertraute Beisammensein verfolgen. Die Mutter warnt die anderen noch, bloß nicht in der Nase zu bohren, weil hier alles festgehalten werde. Und tatsächlich wird die Kamera im Laufe des Abends noch Ungeahntes dokumentieren.

Hingerotzter Look mit Methode

U.F.O. Abduction (1989) – auch bekannt als The McPherson Tape – wirkt mit seinen banalen Beobachtungen, den pixeligen, verwackelten Bildern und den harten Cuts wie ein x-beliebiges Heimvideo. Der hingerotzte Look hat jedoch Methode. Nicht nur die Privatheit der Situation wird dadurch betont, sondern der Zuschauer auch eingelullt, damit das Grauen nachher umso wirkungsvoller einziehen kann. Zunächst ist es nur ein rotes, vom Himmel strahlendes Licht, das die Feierlichkeiten stört. Während eines Spaziergangs entdecken die Van-Heese-Männer aber schließlich ein Raumschiff, dessen Besatzung nichts Gutes im Schilde führt.

Bevor der Found-Footage-Horrorfilm mit The Blair Witch Project (1999) zu einem eigenen, ziemlich erfolgreichen Subgenre wurde, lieferte Dean Aliotos mit knapp 6000 Dollar gedrehtes Regiedebüt bereits die Blaupause dafür. Auch vor U.F.O. Abduction gab es schon Horrorfilme, die vermeintlich dokumentarisches Material präsentierten. Berühmte Beispiele wären etwa Ruggero Deodatos Nackt und zerfleischt (Cannibal Holocaust, 1980) oder die japanische, auf möglichst scheußliche Folterszenarien spezialisierte Guinea Pig-Reihe (1985-90), die teilweise wie ein Snuff Film aussieht – und, einer (leider nur erfundenen) Geschichte nach, von Schauspieler Charlie Sheen auch für einen solchen gehalten wurde.

Besonders an U.F.O. Abduction ist jedoch, wie konsequent er sein Konzept durchzieht und wie offensiv er dabei mit seiner vermeintlichen Authentizität kokettiert. Vor Filmbeginn werden wir etwa darüber informiert, dass wir gleich ein ungeschnittenes Dokument sehen, und wenn die Aufnahme nach einer guten Stunde abbricht, wird eine (falsche) Telefonnummer für Hinweise zum Verbleib der Familie eingeblendet. Lediglich der charmant billige Abspann mit seiner Retro-Computerspiel-Ästhetik offenbart, dass wir es mit einem fiktiven Werk zu tun haben.

Rougher Analog-Horror mit Do-it-Yourself-Note

Der Found-Footage-Film ist nicht unbedingt das aufregendste unter den Horrorgenres. Mit seinem ständig zur Schau getragenen Wirklichkeitsanspruch setzt er sich selbst Grenzen, die nur bedingt erfinderisch machen. Jüngere Produktionen wie Adam Wingards Blair Witch (2016) wirken vor allem deshalb verspielter, weil sie ihre Erzählweise durch technische Neuerungen wie Drohnen multiperspektivisch erweitern. U.F.O. Abduction ist dagegen noch rougher Analog-Horror mit Do-it-Yourself-Note. Die kleinwüchsigen Außerirdischen – Wikipedia verrät mir, dass dieser populäre, bis auf den Autor H.G. Wells zurückgehende Typus mit seinen langen Armen und schmal zulaufenden Gesichtern Grey genannt wird – sind verkleidete Kinder, das Raumschiff ist in der Unschärfe kaum zu erkennen, und das war es dann auch schon mit Requisiten und Effekten.

Entscheidender für die Wirkung ist ohnehin das, was unsichtbar ist. Das Tape bricht ab, bevor es zur titelgebenden Entführung kommt, und auch davor lassen die oft viel zu dunklen Bilder genug Raum für die Fantasie. Man kann das alles ein wenig simpel und naiv finden, aber letztlich reichen dann doch ein paar Störstreifen, ein Blick in die Kamera und die Ungewissheit, was noch folgen wird, um uns einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen. Getragen wird der Film auch von der anschwellenden Erregung innerhalb der Familie, die dem Ganze einen irrationalen Vibe verleiht. Kaum haben die Van Heeses mit viel Geschrei eines der Aliens erschossen und in einem Hinterzimmer untergebracht, setzen sie sich auch schon wieder an den Esstisch, um zur Beruhigung eine Runde Karten zu spielen.

Filmische Version einer urban legend

Mehr noch als von solchen inneren Dynamiken profitiert U.F.O. Abduction jedoch von seiner geheimnisvollen Aura. Statt in einem vollen Kino sah man den Film damals intim und verschwörerisch bei sich zu Hause. Die VHS-Kassette musste dabei wie das Beweisstück eines Verbrechens gewirkt haben. Wie es der Zufall will, wurde Aliotos Debüt zunächst nur von dem kleinen Label Axiom Films veröffentlicht und die Masterbänder bei einem Lagerbrand zerstört. Für den Film – von dem 1998 das höher budgetierte TV-Remake Alien Abduction: Incident in Lake County entstand – begann damit ein Schattendasein, das seinem ominösen Ruf nur zuträglich wurde. Selbst Anfang der Nullerjahre musste man das Werk noch per E-Mail beim Regisseur bestellen. Ein Bootleg ohne Credits wurde in der auf paranormale Phänomene spezialisierten TV-Show Encounters (1995–96) angeblich sogar als authentisches Material diskutiert.

U.F.O. Abduction steht für ein im Found-Footage-Genre nicht seltenes Phänomen, bei dem die unheimliche Wirkung vor und nach dem Sehen des Films fast intensiver ist als währenddessen. Der unprofessionelle Look scheint uns dabei trotz besseren Wissens ein Stück weit überlisten zu können. Ein krisseliges Bild wirkt nicht unbedingt echter, während man es sieht, scheint sich aber durch unsere Konditionierung auf Nachrichtenbilder und Amateuraufnahmen stärker ins Gedächtnis einzubrennen. U.F.O. Abduction wirkt dadurch wie die filmische Version einer urban legend: Man weiß eh, dass alles nur erfunden ist, aber allein die Vorstellung, dass es wahr sein könnte, bereitet wohligen Nervenkitzel.

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