Too Old to Die Young – Kritik

Nicolas Winding Refn nutzt das Serienformat von Too Old To Die Young für Variationen seines Fetischs für Gewalt und Sinnlichkeit – und für eine phänomenale Autoverfolgungsjagd.

Die großen Künstlergesten sind das, was viele bei Nicolas Winding Refn abschreckt. Wer sie in Too Old To Die Young finden will, wird nicht lange suchen müssen. Vorangestellt ist den Folgen der Hashtag #byNRW: Konsequent hat Refn in den Jahren seit seinem großen Erfolg mit Drive (2011) seine Künstlerpersona zur Marke gemacht, liefert bei Premieren großkotzige Sprüche und seine Protagonisten dürfen ohnehin auf dicke Hose machen. Vielleicht kann man auch als solche selbstherrliche Geste verstehen, dass er von seiner zehnteiligen Amazon-Serie zum Festival von Cannes nicht die ersten zwei Folgen geschickt hat, wie das sonst gängig ist, sondern die vierte und die fünfte.

Die Politisierung Refns

Diese beiden Folgen, zusammen sind sie über zwei Stunden lang, geben einen Eindruck von dem, was die Figuren in ihrer Mitte umtreibt, und schnell hat man vergessen, dass dem Ganzen eigentlich mehrere Stunden Erzählzeit vorangehen. Einerseits weil das, was Refn hier zeigt, problemlos für sich steht, andererseits weil die gesamte künstlerische Anlage der Serie auf Durchlässigkeit setzt. Die Methode seiner letzten Filme Only God Forgives (2013) und The Neon Demon (2016) führt er hier fort: markige Sprüche, die nachhallen, in Dunkelheit und farbige Schatten getauchte Schauplätze, lange Flächen erzählerischer Statik, die sich für Projektion, Meditation oder Emphase anbieten. Und doch ist Too Old to Die Young eine andere Erfahrung: eine der größeren Bandbreite und der Politisierung Refns.

Herbeisehnen und Wegfürchten

Martin (Miles Teller) ist Sheriff und vielleicht der einzige Gesetzeshüter in Los Angeles ohne rechtes Gedankengut. In einer grotesken, aber glaubwürdigen Szene buchstabiert sein Chef F-A-S-C-H-I-S-M-U-S und bald schon stimmen alle in den Kampfesgesang ein. Alle außer Martin. Seine Waffe setzt er dennoch mit Vorliebe privat ein, gegen Geld und für Vigilante-Justiz, etwa für in seinen Augen berechtigte Hitjobs, bei denen die Opfer nichts anderes als den Tod verdienen. In Refns Los Angeles, und später in Albuquerque, gibt es plötzliche Gewalt, schnelle Morde und sehr viel Antizipation.

Das Warten aufs Unheil ist sogar das dominante Motiv der Serie, auch im Sinne der Suspense, wenn wir etwa wissen, wer vergewaltigt oder gleich draufgehen soll, es aber Minute um Minute hinausgezögert wird. Affektiv oszilliert Too Old to Die Young zwischen Herbeisehnen und Wegfürchten des Grauens, das durch Taten beendet werden kann, häufiger aber durch den Schnitt erlöst wird. Und natürlich ist auch der Gewaltausbruch selbst oft die eigentliche Befriedigung. Was die Explizitheit der Gewaltausbrüche angeht, sind Folgen vier und fünf zwar zahmer als andere Werke von Refn. Was ihrer psychologischen Wirkung aber keinen Abbruch tut, im Gegenteil.

Stimmige Arrangements mit willkommenen Brüchen

Die USA, die Refn mit Industrie-Chic, langen Korridoren und verlassenen Plätzen gestaltet, sind die eines (weitgehend) urbanen Horrorfilms. Angespannt und bedrückend ist die Atmosphäre, die Too Old to Die Young heraufbeschwört, nur ab und an durchkreuzt von einem Humor, der auf die Selbstentlarvung seiner Figuren hinausläuft – durch manchen Kalenderspruch-Dialog und eine eigenartige Situationskomik, die sich mal mehr, mal weniger bewusst aus der Differenz von Handlung und Stimmung ergibt. Gerade weil die ästhetischen Arrangements, deren integraler Bestandteil der wieder von Cliff Martinez beigesteuerte Soundrack ist, so sichtbar durchkomponiert und auf Stimmigkeit angelegt sind, können schon kleine Abweichungen in der Kohärenz oder Nachvollziehbarkeit der Handlungen einen willkommenen Bruch provozieren. Oftmals werden sie durch Perspektiv- und Rhythmuswechsel sogar noch herausgestellt.

Refns romantische Ader

Es ist ein großes Vergnügen, in Too Old To Die Young zur Elektro-Musik von Martinez wieder ins Auto zu steigen, durch die Frontscheibe zu schauen, abzuheben, schneller zu werden, die Geschwindigkeit nicht mehr zu verstehen, weil die Perspektive die Erfahrung verzerrt und nichts scheint, wie es ist. Phänomenal wird die Autoverfolgungsjagd in Episode fünf aber erst dadurch, dass sie den fiktionalen Boden neu bestellt und einen Raum jenseits der Zeit schafft, oder eine Zeit jenseits der Handlung.

Dann geht es erstmal nicht darum, wer am schnellsten fährt, und dass das eine Auto amerikanisch ist und Benzin schluckt, während das andere mit Elektroantrieb wohl aus Fernost kommt. Nachdem zwei Ganoven sich übers Autoradio entzweit haben und sie überraschend bei “Mandy” von Barry Manilow landen, hüllt sich die Nacht in das Versprechen, dass mancher Kampf auch ausgesetzt werden kann und niemand drunter leidet. Es ist die romantische Ader von Refn, die man vor lauter Faszination für Sadismus und Masochismus schnell mal vergisst.

Die komplette Serie kann man bei Amazon Prime schauen

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