To the Ends of the Earth – Kritik

Im Karussell des sozialen Unbehagens: Kiyoshi Kurosawa schickt seine junge Protagonistin mit einem scheinbar feindseligen Team zu absurd anmutenden Dreharbeiten nach Usbekistan. To the Ends of the Earth ist ein ruhiger Film, in dem doch allerlei Flieh- und Rotationskräfte wirken.

Das Karussell ähnelt einer Schaukel. Nur wippt diese nicht hin und her, sondern dreht sich unablässig um die kompletten 360 Grad. Zudem ist es kein fester Sitz, auf dem Yoko (Atsuko Maeda) festgeschnallt ist. Er dreht sich vielmehr ebenso um die eigene Achse, allerdings nicht kontinuierlich, sondern entsprechend der Kräfte, die von der konstanten Umdrehung auf ihn einwirken. Mal wird er durch die Zentrifugalkraft halbwegs festgesetzt, mal überschlägt er sich in rasender Abfolge, mal ändert er abrupt seine Bewegung. Es ist eine Jahrmarktsattraktion kurz vor Raumfahrttraining.

Psychische Kräfte in banaler Fremde

Dreimal macht Yoko diese Grenzerfahrung durch, und To the Ends of the Earth (Tabi no owari sekai no hajimari, 2019) versucht die enormen Flieh- und Rotationskräfte und die schnellen Richtungswechsel aus verschiedenen Perspektiven einzufangen. Wird der erste Durchgang noch in einer stoischen Totalen gezeigt, nährt sich der Film zusehends den Bewegungen an und lässt zuletzt affektive, nahe Einstellungen von Yoko und der sich um sie drehenden Welt aufblitzen. Womit Regisseur Kiyoshi Kurosawa kondensiert, was in seinem Film insgesamt zu sehen ist: wie Yoko durchgewirbelt wird.

Nur sind es ansonsten nicht die physischen Kräfte, die auf sie einwirken, sondern die psychischen. Yoko ist Teil eines japanischen Fernsehteams, das in Usbekistan eine Reportage dreht und nach kleinen, billigen Schauwerten sucht – sobald ein Museum oder ähnliches für Aufnahmen vorgeschlagen wird, lehnt der Regisseur kategorisch ab. Für große Teile des Films ist Yoko in dieser sehr banalen Fremde lost in translation. Nicht nur gegenüber den Einheimischen, sondern auch innerhalb ihres ansonsten ausschließlich männlichen Teams. Ihre Wegbegleiter scheinen in ihr oft ein notwendiges Übel wahrzunehmen, das ihres Aussehens wegen mitgeschleppt wird, aber eigentlich nur Scherereien macht.

Für den Betreiber des Karussells ist klar, dass Yoko von den Männern zum Dreh gezwungen wird. Für eine Frau sei so etwas schließlich nichts. Und tatsächlich: Während Yoko nach dem ersten Durchgang mit gesenktem Kopf sichtlich gebeutelt dasitzt, haben ihre drei Mitstreiter schon beschlossen, dass mehr Material nötig ist und es gleich weitergeht. Und was bleibt ihr anderes übrig, als mitzumachen, will sie nicht als schwache Frau oder Diva dastehen. Zugleich sind diese Projektionen und Ansprüche latent genug, dass sie möglicherweise nur in ihrem Kopf zu finden sind. Vielleicht ist ihr Umfeld nicht so herablassend und feindselig, wie es ihr erscheint. So ist es zwar, als werde Yoko ständig von den Ansässigen getrollt. Aber Yoko ist es eben auch, die jeder Kommunikation aus dem Weg geht und sich kategorisch an Männergruppen nur unter panischer Angst vorbeitraut. Sie ist es, die stets Angriffe erwartet.

Paranoides Drama, menschliche Komödie

Ruhig, mit wenigen Dialogen und stilvoll distanziert verfolgt To the Ends of the Earth Yoko an den Sets oder bei Streifzügen durch die Fremde. Zwischen den kargen Dialogen herrscht eine Stille voller Spannung, die sich zuweilen nach einem unterdrückten Schreien anfühlt. Während die nur wenig dramatischen Handlungen so beredt sind, dass sie den sehr schön fotografierten Film dann doch mit Ahnungen, Projektionen und Mitgefühl vollstellen. Eine sehr simple Szene wie die mit dem Karussell wird sehr beiläufig erzählt, sie quillt aber vor Unausgesprochenem über.

An jeder Ecke ist dabei zu spüren, dass hier ein Regisseur arbeitet, der durch Horrorfilme bekannt wurde. Nur dass hier kein dämonisches J-Horror-Mädchen lauert, sondern der Horror im sozialen Unbehagen liegt. Einem Unbehagen, das zuweilen in Momenten von Panik und Flucht gipfelt. To the Ends of the Earth ist so das unaufgeregte Drama einer Paranoiden, die in einer nicht ganz unschuldigen Welt lebt. Der Ernst, mit dem nach wahrscheinlich nicht existenten mythischen Fischen geangelt wird, die angeblich vom Duft der Frauen vertrieben werden; wie die Reportage an der usbekischen Realität vorbeigeht; wie Yoko Alltagserfahrungen wie in einem Horrorfilm abgehen – all das ist zugleich Kern einer sehr menschlichen, trockenen Komödie über völlig absurde Dreharbeiten.

Subtiles Marktgeschrei

Einer Komödie, deren eigentümlicher Witz auch in der Offenheit liegt, mit der Kurosawa mit seiner Symbolik und seiner Botschaft umgeht. Yoko fühlt sich eingesperrt, also wird die Befreiung einer Ziege für sie zum emotionalen Akt. Eine streunende Katze verfolgt sie voller kindlicher Freude. In einem Konzertsaal sieht sie sich am Ende einer märchenhaft entrückten Szene selbst ihrem Traum, dem Singen, nachgehen. Und von einem usbekischen Polizisten bekommt sie gesagt, dass ihr niemand etwas Böses wolle und dass sie auch mal mit Leuten reden solle, bevor sie vor ihnen wegrennt. So subtil To the Ends of the Earth ansonsten ist, immer wieder bekommt das, was gesagt werden möchte, noch einen Marktschreier anheimgestellt.

Yoko muss so auch ohne Karussell-Folter schwindelig und übel werden, weil in diesem Hauch einer Handlung sichtlich viel in ihr arbeitet, weil viel von außen auf sie einwirkt. Weil Furcht und Witz in vielen Szenen zusammenfallen. Wenn das Karussell sich dreht, sehen wir auch, wie es sich in ihr dreht. Weshalb diese Szene am besten versinnbildlicht, dass To the Ends of the Earth ungemein ruhiger wirkt als das Karussell. Mit seinen eigenen Flieh- und Rotationskräften wirft der Film uns aber nicht weniger umher.

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