Thunder Force – Kritik

Neu auf Netflix: Superheldinnen-Komödie mit slackerhafter Attitüde. Thunder Force kümmert sich nicht groß darum, seine guten Ansätze produktiv zu nutzen. Inspiriert zeigt er sich dafür von Jason Batemans Krabbenscheren.

Bei ihrem ersten Einsatz als Superhelden geht für Lydia Berman (Melissa McCarthy) und Emily Stanton (Octavia Spencer) noch nicht alles glatt. Eines der dabei auftretenden Missgeschicke besteht darin, dass Emily dem Gangster Kenny (Ben Falcone) mit einem Elektroschocker Teile seines Gesichts wegbrennt. Ein kurzfristiger Running Gag von Thunder Force wird es sein, dass Kenny von seinen Kollegen wegen seiner Entstellung geneckt wird. – und sie später fragt, ob ihnen noch etwas in seinem deutlich gekennzeichneten Gesicht auffällt. Der Witz liegt in der kläglichen Figur, die er dabei macht. Dieser wiederkehrende Witz macht aber selbst nicht die beste Figur. Am besten lässt sich dessen hartnäckiges Verbleiben im endgültigen Film damit erklären, dass Kenny vom Regisseur gespielt wird. Und anscheinend fehlte innerhalb der Produktion die Instanz, die für Qualitätskontrolle und nötige Straffungen sorgt, die dem Regisseur mal gesagt hätte, dass sein Auftritt größtenteils mehr als unnötig ist.

Die Grundidee ist schön. Seit den 1980er Jahren – vielleicht nicht ganz zufällig die Zeit der Reaganomics – sind Superschurken Realität geworden. Es traten Mutationen auf, aber nur bei Leuten mit einer Veranlagung zur Soziopathie. Emilys Eltern gehörten zu den ersten Opfern der sogenannten Miscreants, worauf die Tochter zur verbissenen Wissenschaftlerin wird, um als Gegengewicht Superhelden zu erschaffen. Sie baut ein ganzes Forschungsimperium auf, und als sie sich an ihrem Ziel wähnt, ist es ihre hilfsbereite, aber völlig antriebslose Jugendfreundin Lydia, die aus Versehen die Injektion für die Superstärke erhält. Emily muss sich damit begnügen, sich unsichtbar machen zu können.

Gross-out-Momente

Später im Film wird Lydia ihrer Freundin vorwerfen, dass die Unsichtbarkeit zu ihr passe, weil sie sich immer verstecke, sobald Probleme auftauchten. Es stimmt zwar, dass Emily sich nicht ganz so hemmungslos ins Kampfgetümmel gegen die Miscreants wirft – auch bedingt dadurch, dass sie eben nicht die Unbesiegbare der beiden Amateurheldinnen ist. Es stimmt aber genauso, dass es der Film selbst ist, der Emily beständig an den Rand drückt. Meist wird Melissa McCarthy der Platz überlassen – bezeichnenderweise Produzentin des Films und Ehefrau des Regisseurs. Ellenlang darf sie beispielswiese vor den „Nerds“ im Labor stehen und sich um Kopf und Kragen reden, weil niemand ihre Anspielungen auf Steve Urkel versteht; niemand außer ihr kennt die Family-Matters-Figur. Besser als diese ständigen Augenblicke sozialen Unbehagens sind die Gross-out-Momente, wenn McCarthys Figur zum Beispiel durch ihren umgestellten Stoffwechsel Heißhunger auf rohes Hühnerfleisch entwickelt und sich die glibbrige rosa Masse immer wieder in den Mund stopft.

Das Problem bei alledem ist, dass die Chemie nicht stimmt. Octavia Spencer (Ma, 2019) wird nicht nur weggedrängt und verschenkt. Sie zeigt auch zu viel mütterliches Verständnis, um ein effektiver Straight man zu Melissa McCarthys Idiosynkrasien zu sein. Und McCarthy selber ist so hit-and-miss wie Thunder Force selbst, bei dem sich anscheinend niemand wirklich anstrengte, die guten Ansätze zu etwas richtig Komischen zu entwickeln. Stattdessen ewiges Geplapper von Figuren, die einen mit Fremdscham belustigen sollen, was nur zu mäßigen Erfolgen führt. Die Protagonistinnen sind als klare Gegensätze angelegt: Fortschritt vs. Tradition, Popkultur vs. Wissenschaft, Beständigkeit vs. Improvisation. Dass im Film nichts davon wirklich produktiv gemacht wird, gibt Thunder Force zumindest etwas sympathisch Slackerhaftes.

Kulinarisch-kannibalistische Freuden

Nach fast einer Filmhälfte, in der die Thunder Force von Gegenspielern ungestört Gestalt annimmt, setzt dann auch noch der generische Actionfilmplot ein. Ein Widersacher (Bobby Cannavale) tritt auf, der sich The King nennt und Bürgermeisterkandidat ist. Er schickt Miscreants auf Plündertouren durch die Stadt, um dann für seine Law-and-Order-Politik gewählt zu werden. Dass The King selbst ein Miscreant ist, überrascht wenig, da beständig auf gängige Plotmechanismen zurückgegriffen wird und der Film sich auch hier wenig ins Zeug legt, um Spannung zu erzeugen.

Die zu Schau gestellte Unmotiviertheit ist vor allem deshalb verwunderlich, weil sich Thunder Force streckenweise sehr inspiriert zeigt: nämlich wenn Lydia auf den (Halb-)Miscreant The Crab (Jason Bateman) trifft, einen Mann mit den Armen einer Krabbe. Er ist Mitarbeiter von The King, aber flüchtet vor jeder Konfrontation, und die Neigung zur Soziopathie scheint bei ihm auch nicht so sehr ausgeprägt. Wenn er während ihres ersten Einsatzes auf Lydia trifft, verlässt der Film umgehend die Realität und wird ein romantisches 1980er-Jahre Musikvideo-Musical. Sie haben Dates, bei denen Lydia heiße Butter auf seine Scheren träufelt und die Grenzen zwischen Vorspiel und kulinarisch-kannibalistischen Freuden verwischen. Jeder Auftritt von Bateman wertet den Film umgehend auf. Wenn Thunder Force seine Prioritäten also anders gesetzt hätte und eine Liebeskomödie mit Superhelden geworden wäre, dann hätte er vielleicht mehr zu bieten gehabt. Aber auch dafür hätte er sich etwas mehr ins Zeug legen müssen. Und das scheint dann auch wieder utopisch.

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