Drei Kilometer bis zum Ende der Welt – Kritik

Drei Kilometer bis zum Ende der Welt erzählt von Homophobie in der rumänischen Provinz. Am Ende von Emmanuel Parvus Film werden wir gewahr, dass wir das Opfer gar nicht kennengelernt haben – und können dennoch mit ihm aufatmen.

Der entscheidende Gewaltakt, man kennt es, bleibt im Off. Täuscht Emmanuel Parvu zu Beginn seines Films noch an, der Grund dafür sei die Verschleierung des Täters, geht Drei Kilometer bis zum Ende der Welt (Trei kilometri până la capătul lumii) schon bald in eine andere Richtung. Denn Adis Vater (Bogdan Dumitrache) braucht nicht lange, um eher gegen als mithilfe des örtlichen Polizisten (Valeriu Andriuță) herauszubekommen, dass es die beiden Söhne eines Nachbarn waren, die seinen eigenen Sohn derart übel zugerichtet haben. Auch das Motiv geben die beiden unverblümt zu: Adi sei ein Homo, der mit einen anderen Mann rumgemacht habe.

Die Dämonen austreiben

Das Whodunit ist also schnell beendet, und wie in vielen rumänischen Filmen der letzten Jahre und Jahrzehnte ist die Straftat nur Anlass, um gesellschaftliche und moralische Konflikte freizulegen, hier die strukturelle Homophobie in der Provinz. So sind Adis Hämatome mit dem Geständnis der Täter nicht mehr zu sühnende Tat, sondern Markierung des Opfers. Sogar und vor allem für Adis Eltern verschiebt sich die Aufmerksamkeit von den Verletzungen des Sohnes auf den 17-Jährigen selbst, der auf einem Internat zur Schule geht und nur in den Sommerferien in die heimische Provinz zurückkehrt. Bald wird Adi gefesselt und eingesperrt, ein Priester soll ihm die Dämonen austreiben, und eine Frau vom Jugendamt, die aus der Stadt anreist, ist fortan die einzige, an die sich unsere Hoffnungen klammern, dass hier am Ende die Gerechtigkeit siegt.

Drei Kilometer bis zum Ende der Welt bleibt ästhetisch ganz dem rumänischen Kino verhaftet, wie wir es in den letzten Jahren in Cannes bei Cristian Mungiu oder Radu Muntean kennengelernt haben. Die Einstellungen sind statisch, Dialoge wie Sound Design präzise, die Kamera meist halbnah dabei, manchmal wechselt sie in nahe Einstellungen, in denen sie per Schärfenverlagerung zwischen den Gesichtern behutsam Akzente setzt, manchmal geht sie per Totale auf Distanz. Wer diese Filmsprache mag, wird auch daran Gefallen finden, wie Emmanuel Parvu sie spricht. Ich bin die ganze Zeit drin in diesem Film. Allein: Viel hängen bleibt von ihm eher nicht.

Zärtlich einen Splitter aus dem Finger saugen

Außer vielleicht das Schlussbild: Adi verlässt das Dorf wieder, der Sommer ist vorbei, verabschiedet sich mit einer herzlichen Umarmung von einer treuen Schulfreundin, seine einzige Verbündete hier, würdigt die Eltern, die nur dabeistehen, keiner Berührung. Dann steigt er ins Motorboot und fährt los, in der letzten Einstellung sehen wir nur seinen Rücken – und werden nochmals gewahr, dass wir diesen Adi überhaupt nicht kennengelernt haben, keinen Einblick bekommen haben in seine Gedanken und Gefühle, nur diesen schönen Moment aus der Distanz, als er mit einem Touristen aus Bukarest nach einer Party nach Hause geht und der Flirt ihm zärtlich einen Splitter aus dem Finger saugt.

Man mag dem Film vorwerfen, dass er der Perspektive des Opfers keinen Raum gibt, man kann diese Entscheidung aber auch für konsequent befinden. Diese Szene, die das Publikum, das Parvu sich vorstellt, als zärtlich wahrnimmt, nehmen Filmfiguren als Provokation wahr, und diese letztere Interpretation ist es, die dort Gesetz ist, wo Parvus Film spielt. Und macht es den Schluss nicht umso kraftvoller? Obwohl wir diesen Adi nicht kennenlernen, atmen wir mit ihm auf, wenn er das Boot startet, sich von den eigenen Eltern endlich entfernt, die er dem Staat gegenüber zwar nicht verpfeifen konnte, das homophobe System damit perpetuierend, die er aber zumindest erst mal wohl nicht mehr wiedersehen muss.

Neue Kritiken

Trailer zu „Drei Kilometer bis zum Ende der Welt“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.